Gedanken in der 3 Woche. Teil 3: Man sollte ein Problem immer von allen Seiten anschauen

Wir sind, es lässt sich nicht leugnen, in einer Krise. Alles dreht sich um Corona, wir bleiben zu Hause, und, um das vorab klarzustellen: ich finde das auch durchaus richtig.

Dennoch kommen mir immer wieder Bedenken: erstens bin ich der Ansicht, dass eine gesetzliche Grundlage fehlt, solch umfassende Grundrechtseinschränkungen zu erlassen: Das hierzu gerne zitierte Infektionsschutzgesetz erlaubt Grundrechtseinschränkung für Erkrankte bezüglich Meldung, Quarantäne, Berufsausübung. Die Einschränkungen, die hier alle Bewohner der Bundesrepublik betreffen und teilweise bis hin zum „Berufsverbot“ gehen, sind meines Erachtens davon nicht gedeckt. Schon gar nicht, weil es kein definiertes Ende dieser Maßnahmen gibt. Und das macht mir Sorge: ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung da rechtsstaatlich sauberer gearbeitet hätte, denn was einmal funktioniert hat, kann man wieder versuchen, auch wenn die Notlage vielleicht weniger drastisch ist.

Das Demonstrationen auch dann nicht zugelassen werden, wenn man sich an die entsprechend für das Bundesland geltenden Regeln hält, wie z.B. die geplanten Demos der Seebrücke zur Evakuierung der Flüchtlingslager am letzten Sonntag, finde ich erst recht erschreckend: ein wichtiger Baustein der Demokratie, eine wichtige Äußerungsmöglichkeit der Bürger wird außer Kraft gesetzt, obwohl die Einschränkung von Grundrechten immer einhergehen muss mit der Prüfung, ob es mildere Mittel gibt. Und die hätte es gegeben: nämlich die Auflage, sich an die vor Ort geltenden Einschränkungen zu halten (was die Demonstranten auch gemacht haben). Das muss doch möglich sein in einem Land, das so viel Wert auf seine gelebte Demokratie legt.

Was mir aber vor allem Angst macht, ist nicht die Tatsache, dass andere Menschen andere Rechtsauffassungen vertreten als ich. Was mir Angst macht, ist, dass Menschen, die laut darüber nachdenken, verprügelt werden (im Zeitalter von social distancing nur mit Worten, aber dennoch): Es scheint, man darf Zweifel nicht mehr äußern in dieser Welt.

Das gilt auch, wenn man verlangt, dass abgewogen wird, welche Folgen die Maßnahmen für andere haben. Ich will da gar nicht die Wirtschaft zitieren: Ärzte beklagen, dass Menschen nicht zum Arzt gehen, wenn sie an anderen Krankheiten und Symptomen leiden, aus Angst, sich mit Corona anzustecken. Die zu lebensnotwendigen Untersuchungen nicht kommen, weil Arztpraxen und Krankenhäuser als Seuchenherd gelten – oder weil sie die Ärzte nicht von „wichtigeren“ Dingen, also von Corona, abhalten wollen. Polizisten berichten von sprunghaft angestiegener häuslicher Gewalt – und sie erfahren, gerade jetzt, ja nur die Spitze des Eisberges Davon Betroffene und auch vom Missbrauch betroffene haben keine Möglichkeit mehr, ihren Peinigern zu entfliehen. Menschen mit Depressionen werden kränker, Menschen, die ihre Arbeit verlieren, oder die keine realen Kontakte mehr haben, erkranken psychisch und physisch. Kinder und Jugendliche, die dringend auf Begleitung z.B. der Familienfürsorge angewiesen sind, fallen zurück in alte Muster – und werden möglicherweise den Weg ins geordnete Leben nicht packen. Selbstmorde nehmen zu. Die Liste könnte ich jetzt endlos verlängern – wenn man darüber redet, wird man behandelt, als wolle man, dass Menschen an Corona sterben – und es wird einem gesagt, diese Kollateralschäden müsse man jetzt halt in Kauf nehmen.

Politikern und Fachleuten, die anfangen, darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann, versucht man einen Maulkorb umzuhängen: es sei noch zu früh, darüber zu sprechen. Ich finde: nein, man muss drüber reden, man muss die Maßnahmen immer wieder überprüfen, selbst dann, wenn man meint, rechtlich wäre alles sauber. Weil diese Maßnahmen nur die allerletzte Möglichkeit sein können – man muss immer wieder schauen, ob mildere Mittel nicht auch zum Ziel führen und ob der Schaden immer noch kleiner ist als der Nutzen.

Nochmal: ich will nicht entscheiden müssen, wann wie welche Maßnahmen aufgehoben werden können oder müssen. Ich kann über die rechtlichen Grundlagen nachdenken, alles andere steht mir nicht zu. Aber ich möchte, dass das darüber Nachdenken nicht verpönt wird. Wir leben immer noch in einer Demokratie. Da muss das einfach möglich sein.

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