Schlafschaf und Gutmensch

„Gutmensch“, „Erklärbär“, „Schlafschaf“, „Gretagläubige“, „Mainstreamtante“, „Medienhörig“, und, vor allem: „zu blöd zum Selberdenken“ und „nicht mal in der Lage Zähne zu putzen“, „im Leben nix erreicht“: Das ist nur ein Teil der Unterkommentare, die auf meinen gestrigen Kommentar mit Gratulation zu Greta Thunbergs neuerlichem Preis antworteten. Das ist nun wahllos herausgegriffen, Coronakommentare, das Begrüßen einer Verlängerung der Maskenpflicht, Flüchtlingspolitik: wer keine Argumente hat, greift inzwischen zu solchen Mitteln.

Eigentlich ein Grund, aufzuhören. Es ist mühsam, beleidigend, schmerzhaft, sollte man meinen, so etwas immer wieder zu lesen. Deshalb gehe ich auf solche Dinge in der Regel nicht ein.

Allerdings mache ich mir manchmal den Spaß, genauer hinzuschauen:

„Gutmensch“ ist ja eigentlich ein Kompliment: das Gegenteil von gut ist schlecht. „Erklärbär“ geht in die gleiche Richtung: es wurde schon erkannt, dass ich was erklärt habe (ich mache mich immer vorher schlau und nenne auch Quellen, wo es notwendig und möglich ist) – aber man will keine Erklärung.

„Gretagläubige“, nun ja, ich glaube an Gott. Und leider auch an den Klimawandel, und das schon seit meiner Schulzeit: bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte jedem klar sein, was da auf uns zukommt. Wobei glauben da das falsche Wort ist: die Wissenschaft ist sich ja einig.

„Mainstreamtante“ – nun, das bin ich ja leider nicht. Wäre ich das, würde ich ja die Mehrheitsmeinung transportieren, dem Mainstream folgen. Das aber wiederum würde bedeuten, dass die Mehrheit der Menschen was gegen den Klimawandel tun möchte, Flüchtlinge willkommen heißt, die Seenotrettung unterstützt… Leider scheint das nicht der Fall zu sein, zumindest unsere Regierung rennt da einem anderen „Mainstream“ hinterher…

„Medienhörig“ heißt – ich glaube den sogenannten „Systemmedien“, zu denen manchmal auch die BILD gehört, wenn sie etwas schreibt, dass ihren Lesern nicht passt, ansonsten ist sie eine der vielen „seriösen“ Quellen, die man so hat, neben der YouTubeUni, verschiedensten selbsternannten Superwissenschaften, Köchen, Musikern und sonstigen Menschen, die das „zerlegen“, was in den Medien, die „mich stillhalten“, so steht. Und natürlich alle mehr wissen als die eigentlichen, echten Fachleute.

„Zu blöd zum Selberdenken“ ist oft ein „Argument“ von Menschen, die ungeprüft alles teilen, was ihnen in den Kram passt – manchmal, ohne mehr als die Überschrift gelesen zu haben. Das macht dann Spaß: wenn sie ihre Quellen posten und ich ihnen anhand dieser Quelle zeigen kann, dass ich recht habe. Das ist ein bisschen, wie dicke Verbrenner an der Ampel leise und souverän mit meinem winzigen E-Auto hinter mir zu lassen…

„Schlafschaf“ – nun, manchmal wäre ich gerne ein solches. Anstatt zu lesen, versuchen mich kundig zu machen, Zuzuhören und Nachzudenken könnte ich selig schlafen, die Welt kümmerte mich nicht…

Warum, werdet Ihr nun fragen, kommentiere ich überhaupt? Manchmal frage ich mich das auch. Die Beleidigungen interessieren mich eher nicht. Meine Zähne gehen keinen was an, meine Bildung nicht und auch das nicht, was ich im Leben erreicht habe oder auch nicht. Deshalb sollen sie nur machen, sie entlarven sich selber.

Aber ich weiß, dass es auch die anderen gibt: die, die nur lesen. Die, die sich im Internet Argumente für ihre Meinung zusammensuchen: die sogenannten „stillen Mitleser“. Für die kommentiere ich. Und dafür, dass der Hass im Netz zumindest nicht unwidersprochen stehenbleibt.

Manchmal, ganz manchmal, hat man Erfolg: wenn einer, der völlig anderer Meinung ist als man selbst, die Beleidigung derer verurteilt, die doch eigentlich seine Meinungsgenossen sind. Oder wenn man eine PN bekommt, in der sich jemand bedankt. Vielleicht ja auch öfter, und man merkt es nicht?

Deshalb mach ich weiter. Damit das Netz nicht nur noch aus Hass besteht. Und weil ich lieber Gutmensch bin als Schlechtmensch.