Europa vor der Wahl

Eine Zeitung, deren Abonnementin ich bin, bittet um Zuschriften, was für den Leser Europa bedeutet. Grund genug für mich, einmal darüber nachzudenken…
Meine erste bewusste Begegnung mit Europa ist schon ziemlich lange her – ich war fünf oder sechs, meine Mutter hatte eine Freundin direkt an der niederländischen Grenze und da hab ich dann einen Fuß ins Nachbarland gesetzt und zu hören bekommen: das darf man nicht einfach so, da ist eine Grenze, das darf man nur an offiziellen Übergängen. Später dann fuhren wir nach de Efteling oder auch mal nur nach Venlo – und in unserem alten R4 war es immer wieder spannend, wenn die Grenzer prüfend guckten. Haben Sie was zu verzollen hieß es, wenn wir mit dem Diesel meiner Eltern mal eben zum Tanken über die Grenze hüpften – und da haben wir gelernt, dass ein alter, kaputter, ausgedienter Fernseher im Kofferraum etwas ist, was man anmelden muss. Grenzerfahrungen auch an der Grenze zu Lothringen, wo Verwandtschaft wohnte – noch ein bisschen spannender, weil die fremde Sprache doch alles irgendwie unheimlicher machte.

Dann die Staus auf dem Weg in den Sommerurlaub nach Osttirol. Immer vorher klären, was man an Lebensmitteln gerade mitnehmen durfte und was nicht – und wenn der Grenzer dann fragte, warum wir mehr Kleidung mithatten, als man in 3 Wochen tragen kann (die wurde an arme Bergbauernfamilien weitergegeben), dann kamen meine Eltern ins Schwitzen.

Und dann plötzlich war das alles vorbei. Man konnte überall hinfahren, solange es nicht Richtung Osten ging – aber auch das wurde ja dann besser. Keine Staus mehr an den Grenzen, keine unkalkulierbaren endlosen Wartezeiten mehr, keine peinlichen Fragen der Grenzer – die Welt war zusammengerückt. Rund 15 Jahre später rückte alles noch etwas mehr zusammen: der Euro kam, in den meisten Ländern war das Geldumtauschen Geschichte, man brauchte keine Umrechnungstabellen mehr.

Was für mich Europa bedeutet? Dass wir gemeinsam das stemmen, was ein Land alleine nicht hinbekommt. Das nicht jedes Land das Rad neu erfinden muss. Dass Handel und Reisen leicht gemacht werden und jeder da studieren und arbeiten kann, wo es für ihn richtig und wichtig ist. Das ein Parlament, was von den einzelnen Staaten unabhängig ist, dafür sorgt, dass es einheitliche Standards gibt, die nicht unterlaufen werden dürfen. Das wir gemeinsam versuchen, den Klimawandel und die Umweltzerstörung in den Griff zu bekommen – und dabei dem einen oder anderen auch auf die Finger geklopft wird. Es bedeutet gemeinsam stark, in der Vielfalt der Länder. Ich bin in erster Linie Rheinländerin vom Niederrhein. Das darf ich bleiben. Dann bin ich Deutsche, auch das bin ich gern. Aber als solche bin ich eben auch Europäerin – es ist mir nicht egal, wie die Menschen in Griechenland oder Rumänien mit ihrem Leben klarkommen. Wir gehören zusammen.

Es gibt ne Menge, was nicht richtig funktioniert. Es gibt wenige Instrumente, die wirklich Dinge regeln. Aber die Richtung stimmt – jedenfalls dann, wenn wir das wollen und Europa positiv unterstützen.

Happy birthday, Grundgesetz!

Unser Grundgesetz wird 70 Jahre alt. Ganz schön alt für ein Provisorium, aber wir wissen alle: Provisorien halten länger.

Beim Schulabschluss haben die meisten von uns eins in die Finger gedrückt bekommen – und mein Mann heute auf der Straße in die Hand gedrückt.  Hand aufs Herz, wer außer den Jurastudenten hat sich schon mal intensiv damit befasst? Sicher die wenigsten.

Dabei lohnt es sich, mal näher reinzuschauen. Da sind zunächst einmal die Artikel 1 – 19: unsere Grundrechte.

Das fängt an mit dem, wie ich finde, allerschönsten Satz: „die Würde des Menschen ist unantastbar“, aus dem im Satz 2 die natürliche Konsequenz gezogen wird: „sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art.1,1). Da steht: die Würde des Menschen. Damit ist nicht der (oder die) gesunde Deutsche gemeint, damit sind schlicht und ergreifend alle Menschen gemeint: egal, ob mit oder ohne Staatsbürgerschaft, ob alt oder jung, ob krank oder gesund, ob reich oder arm, ob Mann, Frau oder divers. Und es gilt sogar auch für Straftäter und rechte Hetzer: alle Menschen haben die gleiche Würde. Alle.

In Absatz 2 bekennt sich das deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Nun gut, es ist noch lange nicht umgesetzt, im Augenblick wird die Situation sogar etwas schlechter siehe das Sterben im Mittelmeer, die Ausbeutung der Menschen in den ärmeren Ländern etc. Hier sollten unsere Politiker sich das Grundgesetz noch mal genauer anschauen. Aber dennoch, dieses Bekenntnis steht im Grundgesetz und daran kann man die Maßnahmen der Regierung immer wieder messen.

Besonders interessant ist dann der 3.Absatz, in dem festgehalten ist, dass die nachfolgenden Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung binden. Das überprüft das Bundesverfassungsgericht, immer wieder auch bei allen drei Gewalten.

Dann folgen die Grundrechte, ich will sie hier nicht alle aufzählen, z.B. in Art 4 die Freiheit des Menschen, die nur durch die Freiheit der anderen eingeschränkt werden darf, die Freiheit des Glaubens und des Gewissens, darunter besonders geregelt die Religionsfreiheit, die im übrigen nicht besagt, dass Deutschland frei von Religion sein muss, sondern dass jeder Mensch seine Religion frei und ungestört ausüben darf – wobei er sich immer im Rahmen des Grundgesetzes bewegen muss. Und dass keiner zum Kriegsdienst gezwungen werden darf – die Ausgestaltung dieses Grundrechtes der Gewissensfreiheit hatte immer mal wieder kuriose Züge – wie will man ein Gewissen prüfen – aber immerhin, es ist ein Grundrecht, dass in Artikel 12a nochmal konkretisiert wird.

Der Schutz von Ehe und Familie ist ebenfalls etwas, was für alle Menschen gilt, also auch für Flüchtlinge in den sogenannten Ankerzentren etc – hier muss man ebenfalls mal wieder genauer hinschauen, das wird gerne übersehen, dass auch hier alle gemeint sind, nicht nur die Bundesbürger.

Überhaupt lohnt es sich, genauer hinzuschauen: „Eigentum verpflichtet“ (Art 14) wird ausgeführt mit den Worten: „sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Da wird doch der Vorschlag der Enteignung von Wohnungsspekulanten mit über 3000 Wohnungen noch mal ganz anders eingeordnet…

Die Meinungsfreiheit (Art 5) gilt übrigens auch für jeden, ebenfalls die Presse- und Kunstfreiheit, solange niemand in seiner persönlichen Ehre verletzt wird. Das zeigt noch mal deutlich: Hetze ist keine Meinung. Allerdings: hier geht es um Zensur durch den Staat. Wenn ich eine Internetseite betreibe, muss ich dort nicht jede Meinung zulassen, und auch nicht jede Äußerung, die ich da nicht haben möchte. Das wird von vielen Kommentatoren im Internet gerne missachtet: dass die „Eigentümer“ der Seiten durchaus zensieren dürfen. So wie ich Menschen aus meinem Wohnzimmer schmeißen darf, deren Meinung ich nicht teile und nicht hören will. (ob ich das wirklich mache, ist eine andere Sache, auch die Frage, was ist klug). Aber man darf in der Öffentlichkeit seine Meinung frei äußern, ohne Repressalien befürchten zu müssen – und die Journalisten dürfen frei schreiben, auch wenn es der Regierung nicht passt.

Wichtig erscheint mir auch, dass die deutsche Staatsbürgerschaft niemandem entzogen werden darf (Art 16), auch nicht dem IS-Kämpfer, insbesondere nicht, wenn er oder sie damit staatenlos würde. Und eine Auslieferung eines Deutschen an ein anderes Land ist grundsätzlich verboten. Da gibt es zwar Ausnahmen – die gelten aber nur dann, wenn dabei das Rechtsstaatlichkeitsprinzip gewährleistet bleibt.

Interessant finde ich auch Art 3: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das heißt: sowohl in der Exekutive als auch in der Judikative (also von Polizei/Ordnungsbehörden und vor Gericht) müssen sie gleich behandelt werden, es darf keine Rolle spielen, ob man Deutscher ist oder nicht, nett aussieht oder unsympathisch… In Absatz 2 ist die Gleichheit von Mann und Frau geregelt: das war äußerst umstritten bei den Vätern des Grundgesetzes, diesen Grundsatz haben wir dem Umstand zu verdanken, dass auch Frauen in der Kommission waren, die hartnäckig gekämpft haben. Das ist zudem ein Grundsatz, an dem immer noch zu arbeiten ist, auch wenn Männer ihren Frauen heute nicht mehr verbieten dürfen zu arbeiten. Geschlechtergerechtigkeit ist ein langer Weg. Aber immerhin: es steht im Grundgesetz.

Ab Art. 20 ist dann die Staatsordnung geregelt. Ganz wichtig: Legislative, Exekutive und Judikative sind unabhängig voneinander. Das heißt: Die Regierung darf weder die Polizei, noch die Justiz anweisen, sich anders zu verhalten, als Recht und Gesetz es hergeben. Und da finde ich in Art. 20 doch tatsächlich in Absatz 4 die ausdrückliche Erlaubnis zum Widerstand: „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.

Und, Fridays for future aufgepasst: in Art. 20a ist ausdrücklich der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere geregelt: auch hier sollten unsere Politiker noch mal ins Grundgesetz schauen…

Damit will ich meine Übersicht beenden. Es stehen noch viele wichtige Dinge in diesem Grundgesetz, was längst vom Provisorium zu unserer Verfassung geworden ist, die wir schützen sollten. Ich lade dazu ein, selbst mal reinzugucken: die meisten von uns haben es irgendwo im Bücherschrank…

Der Zweck heiligt die Mittel. Heiligt der Zweck die Mittel?

Es geht um den Fall Strache, der ja die Medien zur Zeit beherrscht: der Vizekanzler der FPÖ wurde in eine Situation gelockt, in der er dann versucht hat, mit einer angeblichen russischen Erbin ins Geschäft zu kommen, um die Presse in Österreich beherrschen zu können und Spenden zu erhalten.

Eins vorweg: es ist gut, das Strache zurücktritt. Es ist gut, dass es in Österreich Neuwahlen gibt – in der Hoffnung, dass sich dadurch was ändert.

Aber: darf man die „Bösen“ mit ihren eigenen Mitteln schlagen?

Bei Diskussionen im Internet erlebe ich das häufig: die einen fallen pauschal über die Zuwanderer her („Messereinwanderer“) – die anderen genauso pauschal über die Wähler von AfD und FPÖ. Die einen werden in die grünversifftelinksradikale Ecke gestellt und der „bösen, gewaltbereiten Antifa“ zu geordnet, die anderen in die rechte und als Nazis abgestempelt.

Ich finde: das geht auf keinen Fall. Wenn ich Pauschalisierung verurteile, kann ich nicht sagen: „Ihr alle pauschalisiert“ – da bin ich ganz klar. Ich diskutiere mit Argumenten, alles andere lasse ich außen vor, wenn ich unsachlich angegangen werde versuche ich das in der Regel entweder zu überhören und überlesen oder ich geh mit einem Satz drauf ein ohne den anderen zu verunglimpfen, je nachdem, was gerade passt – und bleibe dann doch ganz bei mir.

Aber wie sieht das nun aus, wenn hier rechte Politiker in die Falle gelockt werden, damit sie über sich selbst stolpern? Und ein solches Video dann punktgenau vor den Europawahlen publik wird?

Abgesehen davon, dass Strache sich jetzt als Opfer sieht – genau das ist er nicht, und sein Zurückrudern: „alkoholbedingtes Machogehabe um einer schönen Frau zu gefallen“ (wäre ich die Seine, würde ich jetzt gehen…) ist mehr als peinlich.

Und abgesehen davon, dass sich die Ersteller des Videos möglicherweise strafbar gemacht haben könnten (ich wüsste allerdings nicht genau wie, es ist zwar verboten, so vorzugehen, aber nicht alles was verboten ist, ist auch direkt eine Straftat) – das haben sie dann wohl billigend in Kauf genommen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass das Video wohl in einem Gerichtsverfahren als Beweis zugelassen würde, weil es illegal entstanden ist.

Bleibt die Frage: darf man mit unlauteren Mitteln arbeiten, wenn man lautere Ziele hat – in einem Rechtsstaat, der Österreich ja schon immer noch ist? Darf man Menschen reinlegen, damit sie sich nachweislich so verhalten, wie man es ihnen zutraut (und vielleicht bisher nur nicht beweisen konnte). In meiner Studienzeit habe ich mich immer schon über den Einsatz von Polizeispitzeln in der Drogenszene aufgeregt: es gab damals mehrere Fälle, in der bis dahin unbescholtene Jugendliche von solchen Spitzeln so unter Druck gesetzt wurden, dass sie zu Dealern wurden, eine äußerst fragwürdige Methode wie ich finde. Ist das hier auch so ein Fall? Wahrscheinlich nicht, Herr Strache ist ein erwachsener Mensch und der einzige Druck war wohl der selbstgemachte: nach seiner eigenen Erklärung „dieser Frau gefallen und imponieren zu wollen“. Und er hat Dinge geäußert, die er noch nicht mal hätte denken dürfen – aber wie heißt es so schön: Kinder und Besoffene sagen die Wahrheit.

Aber dennoch: es bleibt ein Geschmäckle, finde ich. Wir sollten weiterhin versuchen, auf legalen, argumentativen Wegen weiterzukommen – durch genaueste Beobachtung und Offenlegung, das schon, durch prüfen jeder von den rechten Parteien vorgelegten Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt, das natürlich auch. Durch das Unterbinden von volksverhetzenden Aussagen durch die Medien auf ihren Seiten, durch die Betreiber von sozialen Netzwerken, und durch die öffentliche Hand, z.B. bei Versammlungen und Plakaten.

Wir sollten auch, wie es heute so viele tun, auf die Straße gehen und laut werden.

Aber ich wünschte mir, wir könnten dabei sauber bleiben: Sauber nicht nur in Bezug auf das Strafrecht, sondern in Bezug auf unser Gewissen: wir sollten ihre Mittel nicht übernehmen.

Und doch: ich freue mich über das Beben in Österreich in der Hoffnung, dass es das Schlechte zerstört und nicht das Gute.

Es bleibt ein Dilemma.

Muttertag – Gedanken im Nachgang

Diesen Text widme ich allen Frauen, die Mütter sind. All denen, bei denen das Band zwischen Mutter und Kind allzu sehr gespannt oder gar gerissen ist – aber auch den Müttern und Kindern bei denen es hält.  All den Müttern, die nicht bei ihren Kindern bleiben konnten – aus welchen Gründen auch immer. All den Frauen, die niemals Mutter werden wollten, aber es dann doch waren. Aber auch all den Frauen, die gerne Mutter geworden wären, aber kinderlos geblieben sind. All den Frauen, die sich gegen ein Kind entschieden haben und all denen, die ein oder mehrere Kinder verloren haben. All diesen Frauen wünsche ich, dass ihr Leben, wie immer es aussieht, gelingen kann.

Eigentlich hatte der Muttertag für mich nie eine besondere Bedeutung. Klar, Mutter und Schwiegermutter bekamen Blumen, eine Zeitlang ging es zum Spargelessen zur Schwiegermutter, von den Kindern kam Selbstgebasteltes – aber so richtig anfangen mit dem Tag konnte und kann ich bis heute nichts. Auch, wenn ich mich gestern sehr gefreut habe über Blumen und „Selbstgebasteltes“ und darüber, dass – wenn auch zufällig – alle Kinder zum Mittagessen da waren. Aber ansonsten denke ich: würden sie mich nicht lieben (und mir das auch immer wieder zeigen, auf die ein- oder andere Art, verschieden wie sie sind), dann wäre so ein Muttertag nur hohl und leer.

Gestern aber war er für mich ein Anstoß, einmal über das Muttersein überhaupt nachzudenken. Ich habe 3 prächtige Kinder. Sie sind inzwischen unabhängig, leben mit Partner oder alleine in der eigenen Wohnung, alle in der Nähe – und wir haben einen guten Kontakt zueinander, real und virtuell. Ich habe eine Zeitlang mein Leben um die Kinder herumsortiert, was ganz gut ging, da mein Mann genügend verdiente, dass ich nicht (voll) berufstätig sein musste. Sicher wäre mein Leben ohne die Kinder anders verlaufen, vielleicht hätte ich Karriere gemacht als Richterin – aber eigentlich bin ich mit meinem Leben ganz zufrieden.

Was aber bedeutet Muttersein für mich? Erst mal: da gibt es Menschen, die, egal wie sie sind, in meinem Herzen leben. Ich habe sie mir genau so wenig ausgesucht wie sie mich, aber wir haben uns, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, zusammengerauft und wissen: so richtig werden wir nie voneinander loskommen. Muttersein bedeutet für mich aber auch loslassen können: wir haben immer versucht, die Kinder möglichst zur Selbständigkeit zu erziehen, zur Eigenständigkeit. Und mit sanftem Druck haben wir sie nach dem Abitur auch aus der Wohnung getrieben – mit aller Unterstützung, die sie gebraucht haben, und immer war klar: wer es nötig hat, darf natürlich auch wieder einziehen.

Muttersein bedeutet: Liebe schenken, ohne wenn und aber. Muttersein bedeutet Schmerz ertragen: das habe ich selbst erlebt, als mein erstes Kind vor der Geburt starb und mein Neffe, für mich wie ein Sohn, tödlich verunglückte. Muttersein bedeutet: sich nicht zu vergessen, aber die Bedürfnisse der Kinder im Blick zu haben, soweit sie das nicht selber können. Muttersein bedeutet: aushalten können, wenn die Kinder sich anders entwickeln, als man sich das so vorgestellt hat. Muttersein bedeutet zu tolerieren, dass die Kinder eine andere Vorstellung vom Leben haben als man selbst. Muttersein bedeutet einfach: verantwortlich sein für einen Menschen, der einen nicht drum gebeten hat, geboren zu sein, der einem nichts schuldet und dem man selbst doch soviel schuldet: Liebe und Geborgenheit, Grenzen und Freiheit, die Begleitung auf dem Weg ins Leben.

Es ist ein Geschenk. Und es ist ein Geschenk, wenn es einem mit Liebe vergolten wird.

Frieden

Seit genau 74 Jahren haben wir Frieden, hier in Deutschland. Seit fast 30 Jahren sind wir wiedervereint.

Offenbar ist das etwas, was wir nicht mehr wirklich bemerken, scheint mir. Genauso wenig wie wir merken, dass anderswo in dieser Welt, nicht nur in Syrien, auch mit deutschen Waffen immer noch Krieg herrscht, Städte und Dörfer, ja ganze Heimaten zerstört werden und Menschen, zu einem großen Teil völlig unbeteiligte Menschen, deren Fehler nur ist, da zu leben, wo sie leben, getötet oder verstümmelt werden. Kindheiten werden ausgelöscht, Zukünfte vernichtet.

Ja klar, das ein- oder andere liest man in der Zeitung. Aber es ist doch irgendwie immer weit weg, selbst, wenn es so nah kommt wie der Kosovokrieg: ich stand am Ufer der Drau und wusste, da wo sie hinfließt ist Krieg – aber so ein Wissen führt doch eher zu einer Art Schaudern, unser Leben berührt es nicht wirklich.

Da aber Frieden und Sicherheit in der Realität kein Thema sind, sucht man sich andere Baustellen: man fragt sich: sind das auch alles Kriegsflüchtlinge, die da kommen? Wieso haben die ein Handy bei, wenn sie doch alles verloren haben, angeblich? Können die überhaupt was oder wollen sie uns nur ausnehmen? Und wäre es nicht besser, sie blieben, ihr Land wiederaufzubauen. Oder, ja, um zu kämpfen? Diese Diskussion kann nur aufkommen bei Menschen, die tatsächlich nicht wissen, wie das ist, wenn einem das Haus über den Kopf zerbombt wird, wenn man Angehörige verliert, wenn man den Job und das Einkommen verliert ohne soziale Absicherung, wenn man nicht mehr weiß, wie man die Kinder satt bekommen soll oder wenigstens so, dass sie nicht verhungern…

Frieden als Freiheit von Krieg ist nichts, was man anfassen kann. Nichts, was man merkt, wenn man keinen Krieg kennt. Und dennoch ist es etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt: dass der Frieden überall ankommen kann, dass er überall wachsen kann. Und dafür kann man etwas tun: man kann aufhören, Waffen zu verkaufen. Man kann Bedingungen schaffen, unter denen die Welt gerechter wird. Man kann – im Inland und im Ausland – die Bildung verbessern.

Und ich persönlich, was kann ich tun? Ich kann z.B. bewusster einkaufen – im fairen Handel, und ansonsten regional. Ich kann bei allem was ich tue drüber nachdenken, ob mein Verhalten Konsequenzen für andere, auch in entfernten Gegenden dieser Welt hat – positive oder negative. Und ich kann mich dem Hass entgegenstellen, der uns suggerieren will, dass wir längst im Krieg leben, wegen der Menschen, die bei uns Schutz suchen. Ich kann aufstehen gegen Falschmeldungen, die immer wieder erzählt und verteilt werden, real und im Netz. Ich kann aufhören zu schweigen.

Ich kann aufklären: zeigen, dass wir gut leben, dass wir Frieden haben, und dass der Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit auch den inneren Frieden sichert.

Ich bin dankbar dafür, dass ich die 56 Jahre meines bisherigen Lebens in einem Land ohne Krieg leben durfte, in einem Land, in dem zwar vieles hakt, aber mein Leben doch weitgehend abgesichert ist.

Ich bin dankbar, dass es Frieden gibt. Und ich wünsche allen Menschen auf dieser Welt, dass sie Frieden erfahren dürfen – nicht erst, wenn sie auf dem Friedhof liegen…

Lasst es uns immer wieder bewusst machen: Wir leben im Frieden. Seit 74 Jahren. Und es liegt auch an uns, Frieden zu schaffen in dieser Welt.