Was ich in den letzten Tagen über Rassismus gelernt habe – und über mich

Seit Tagen wird hin und her diskutiert: was ist Rassismus? Wer ist Rassist? Und wie groß ist das Problem eigentlich bei uns?


Zur Verdeutlichung: in den USA ist die Wahrscheinlichkeit, durch die Polizei zu sterben, wenn man POC ist, deutlich höher als wenn man Weißer ist, und zwar auch dann, wenn man absolut nichts getan hat. Bei uns passiert so etwas auch, aber eher seltener. Mir geht es in meinem Text aber um etwas anderes: mit geht es um den Nährboden, der überall vorhanden ist – und ohne denn diese Probleme vielleicht deutlich leichter in den Griff zu kriegen sind. Das heißt nicht, dass das, was in den USA passiert ist und immer wieder passiert, und was es auch bei uns gibt: das Menschen anderen Gewalt antun aus dem einfachen Grund, dass sie keine Weißen sind, nicht ungleich schlimmer ist als der Alltagsrassismus, aber: so lange wir Menschen in „Rassen“ einteilen (die es ja gar nicht gibt), so lange haben wir ein Problem, eine Grundlage, auf der der Rassismus wachsen kann.

Vorab: ich bin eine weiße Frau Mitte 50, ich weiß also, dass ich das Problem nur von der Täterseite kenne – auch wenn ich natürlich schon mal diskriminiert wurde als Frau.

Und mir fallen auf Anhieb drei Begebenheiten ein, die das Problem beleuchten:

Der Sohn, der nach der Schule fragte, ob er den asiatischen Schüler x doof finden darf oder dann ein Rassist ist – da war die Erklärung noch einfach: „wenn Du das „doof“ an seinem Verhalten und seinem Charakter festmachst, darfst Du ihn doof finden, keine Frage, wenn es aber an seiner Herkunft liegt, könnte das Rassismus sein.“

Die Tochter, die nicht verstand, warum die Freundinnen aus Migrantenfamilien immer wieder über die Deutschen als blöd, doof, dumm etc herfallen durften und Witze dazu machen – der umgekehrte Witz aber Rassismus sein sollte: da war die Erklärung schon deutlich schwieriger – die Kinder waren 11. Die Freundschaft ist darüber zerbrochen, von Seiten der anderen, und ich konnte nur schwer erklären, was da passiert ist.

Und dann die junge Frau, die uns durchs „persische Köln“ geführt hat, in Deutschland geboren, Studentin, die sagt, es nervt, dass sie immer gefragt wird „wo sie wirklich herkommt“ (aus Köln) und dass man ihr ein „gutes Deutsch“ bescheinigt – nun ja, sie ist Kölnerin. Da ist es ziemlich eindeutig: dass ist der Alltagsrassismus, der nicht einmal böse gemeint ist, aber zeigt, dass im Kopf immer noch unterschieden wird: Du bist anders, also muss ich nachfragen.

Man teilt die Menschen in verschiedenen Gruppen ein, je nach Aussehen. Da kann sich sicher keiner von freisprechen, auch, wenn ich von mir behaupten kann, dass mich Aussehen überhaupt nicht interessiert – was aber wohl auch daran liegt, dass ich an einer leichten Form der Prosopagnosie, der Gesichtsblindheit leide: ich kann Gesichter, die mir nicht sehr vertraut sind, auch nicht gut erkennen. Da richtet man den Fokus wahrscheinlich generell auf andere Dinge. Ich für meinen Teil schau den Menschen gerne in die Augen, beobachte, wie sie sprechen – und was sie sagen, natürlich auch.

In den letzten Wochen habe ich oft gelesen: alle Weißen sind Rassisten. Den Satz kann und will ich so nicht stehen lassen, weil es einfach auch nicht stimmt, auch nicht unbedingt unterbewusst: Pauschalisierungen führen nie weiter. Ich schäme mich auch nicht, weiß zu sein: da kann ich nämlich nichts für. Was aber stimmt: wir haben Privilegien, derer wir uns überhaupt nicht bewusst sind. Wir haben Namen, die als „deutsch“ erkannt werden, die allermeisten sehen auch so aus, als wären sie Deutsche, und so fallen wir von vornherein schon durch bestimmte Raster: man geht einfach davon aus, dass wir, wie soll ich das mal ausdrücken, „gute Menschen“ sind, denen man Wohnungen vermietet, die man einstellt – und bei anderen geht man erst mal davon aus, dass es Schwierigkeiten gibt. Das sollten wir immer parat haben. Und auch, dass der Charakter eines Menschen nicht am Aussehen, der Herkunft, der Sprache erkennbar ist. Und wir sollten wissen, dass ein nett gemeintes „Aber wo kommst Du ursprünglich her“ genauso weh tun kann, wie ein vermeindliches Lob: „Du bist aber hübsch“ (für eine POC) oder „Du sprichst aber gut Deutsch.“ Auch das ist Rassismus.

Ich habe gelernt: wir haben ein großes Problem mit Rassismus, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, da wir nicht alle gleichbehandelt werden. Ich kenne zwei deutsche Männer, die aussehen, als wären sie Türken bzw. muslimische Südländer – die werden tatsächlich öfter kontrolliert als andere. Das muss nicht böse gemeint sein, das hat vielleicht nicht mal ein System, aber es passiert. Es passiert, weil wir in unseren Köpfen immer noch nicht klar haben, dass Mensch gleich Mensch ist.

Was da hilft: Bildung und Begegnung. Bücher lesen von und über Menschen, die eben keine privilegierten Weißen sind. Menschen kennenlernen, die als anders empfunden werden, weil sie nicht „weiß genug“ aussehen. Und der Wille, sich selbst zu reflektieren, immer wieder zu prüfen, wo man selbst Schubladen aufmacht. Und, das allerwichtigste: den Mund aufmachen, wenn wir in Situationen kommen, wo Rassismus klar erkennbar ist. Dem Rassismus entgegentreten, nicht nur bei Demos und auf dem Papier, sondern auch im wirklichen Leben.

Wenn wir das klar haben und lernen, Menschen danach zu beurteilen, wie sie sind, was sie tun, wie sie sich verhalten und nicht nach irgendeiner Schublade, dann, ja dann kann es besser werden im Zusammenleben. Dann gehen wir endlich in Richtung Gleichberechtigung, und alle Menschen, die das möchten, können bei uns eine Heimat finden.