30 Jahre Deutsche Einheit. Im Umkehrschluss für mich: 27
Jahre meines Lebens war Deutschland geteilt, für mich war, wie Reinhard Mey das
mal besungen hat, Leipzig weiter weg als Rom (eine meiner Lieblingsstädte) oder
New York (wo ich auch erst vor 2 Jahren war). Einfach exotischer als der Rest
der für mich zugänglichen Welt.
Und dann kam der 9. November vor 31 Jahren, für mich der
eigentliche Feiertag: die Mauer fiel.
Ein Jahr vorher waren wir noch mit dem Auto nach Berlin
gefahren, voller Angst über die Transitautobahn, nach dem wir wegen eines
Passfotos Stunden an der Grenze verbracht hatten (eine Mitfahrerin hatte an dem
Tag einen Pferdeschwanz statt der Zöpfe vom Passbild). Auf der Fahrt nach
Ostberlin wurde mein Bruder am U-Bahnhof stundenlang festgehalten, weil er sich
einen Bart hatte wachsen lassen – die Angst fuhr also immer mit. Vor dem Berliner Dom wurde mein Mann gebeten,
doch seine Jeans auszuziehen, er könne dafür mehrere Dosen echten russischen
Kaviar bekommen – was er natürlich nicht getan hat, uns aber sehr fasziniert.
Bereits Ende der 70er war ich einmal in Berlin gewesen – mit
der Klasse – und hatte mein Geld in Noten investiert und war den Zwangsumtausch
doch nicht losgeworden…
Das waren meine einzigen Berührungen mit der DDR, bis dahin –
und das Ostberlin, dass ich kennengelernt habe (einschließlich mit: wir haben
keinen Platz in offensichtlich leeren Cafés) irgendwie strange, aber sicher
nicht repräsentativ.
Wir reisen gerne, auch innnerhalb Deutschlands. In den
Folgejahren sind wir immer mal in den „neuen“ Bundesländern gewesen, weil es
uns dort landschaftlich ungeheuer gut gefällt. Und haben eine Entwicklung
beobachten können: vom teilweisen totalen Verfall bis hin zu Städten und
Dörfern, die mit sanierten Häusern und Straßen sich durchaus sehen lassen
können. Parallel dazu konnten wir beobachten, dass es im Westen immer mehr
Verfall gab, weil es den Städten an Geld fehlt – und aus meiner Arbeit im
Stadtrat weiß ich, dass der Soli zumindest mit schuld daran ist. All das sind aber
persönliche Eindrücke, keine generellen Erfahrungen.
Jetzt, nach dreißig Jahren, frage ich mich durchaus: warum
gibt es immer noch dieses Lohngefälle? Aber das frage ich mich nach über 70
Jahren, in denen der Gleichheitsgrundsatz ins Grundgesetz eingeführt wurde,
auch bezüglich der Bezahlung Männer/Frauen) Aber auch: warum gibt es dieses
Infrastrukturgefälle teilweise andersrum? Und wenn ich dann genau hinsehe,
merke ich: es gibt diese Unterschiede überall in Deutschland, es gibt überall
strukturschwächere und strukturstärkere Gegenden – diesbezüglich gibt es keine
Einheit, aber die Grenze ist nicht mehr Ost/West, sie geht bunt durch unser
Land. Das ist bedauerlich und muss dringend angepackt werden – ist aber keine
Frage der Einheit an sich.
Ich glaube, manche Menschen verwechseln Einheit mit Gleichmacherei. Aber das, was wir heute Deutschland nennen, ist, wie das, was wir vorher Bundesrepublik nannten, ein Konglomerat von ganz verschiedenen Einzelteilen – schon Rheinländer*innen und Westfalen sind ziemlich unterschiedlich, wenn man pauschalisieren will (ich kann das beurteilen, ich lebe am Niederrhein mit einem Westfalen, der ziemlich westfälisch ist bzw. zumindest mal war). Und der Niederrheiner an sich ist nicht mit dem Kölner gleichzusetzen. Bayern sind keine Preussen und und und. Vielleicht ist der Ansatz einfach falsch.
Wenn wir begreifen, dass wir alle Menschen sind, die in
diesem Land leben, unterschiedlich wie Menschen nun mal sind, der ein oder die
andere so oder anders geprägt, egal, wo unsere Wurzeln auch immer liegen (als
Rheinländerin weiß ich, dass wir Deutschen gar nicht so deutsch sind, wie
manche das gerne hätten), und dass unsere Regionen ebenfalls unterschiedlich
sind, Bayern ist nicht Mecklenburg Vorpommern und Mittelgebirge sind keine
Alpen, der Rhein ist nicht die Elbe und der Meeresstrand liegt nicht am
Baggersee) und daher verschieden geprägt sind und auch verschiedene
Voraussetzungen haben: wenn wir das kapieren, dass es nur eine Einheit in der
Vielfalt geben kann, dann können wir uns, vorbehaltlos, über die Deutsche
Einheit freuen.