Gedanken zu Pfingsten – nicht nur für Christen

Viele bezeichnen Pfingsten als Geburt der Kirche. Kann man machen.

Für mich ist Pfingsten zunächst einmal der Hinweis darauf, dass es geht: das Menschen sich untereinander verstehen, auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen.

Kommunikation ist Glücksache, heißt es so oft. Ja, die Erfahrung habe ich auch schon gemacht, denn: nicht nur in fremden Ländern werden fremde Sprachen gesprochen, sondern uns hier geht es auch oft so: wir reden, obschon beide dialektfreies Deutsch, nicht dieselbe Sprache. Mir z.B. wird oft vorgeworfen, dass ich zu juristisch denke und rede. Theologen haben oft eine theologische Sprache, die sich dem „normalen Christen“ nicht erschließt. Und Christen haben oft eine Sprache, die der Nichtchrist nicht versteht. Sozialpädagogen reden anders als Naturwissenschaftler, Menschen verschiedener Schulen oder Regionen sprechen auch verschieden. Wenn ich hier am Niederrhein sage, es schmeckt (das Essen), dann ist das ein Kompliment für den Koch, in Osttirol aber das genaue Gegenteil. Der Beispiele gibt es viele, und jeder und jede von uns kennt das aus eigenem Erleben.

Und da kommt in der Apostelgeschichte der Heilige Geist ins Spiel – er sorgt dafür, dass die Menschen in Jerusalem verstehen, was die Jünger sagen. Obwohl sie eine fremde, eine andere Sprache sprechen. Wir können das auch: wir müssen nur empfänglich dafür sein. Wir müssen uns nur klarmachen, dass der andere vielleicht nicht versteht, was uns so eindeutig klingt, weil seine Sprache nicht die unsere ist. Oder dass er was anderes meint, als wir hören. Dazu gehört ein guter Schuss Empathie, der Wille, sich auf den anderen einzulassen, und der Mut, nachzufragen, wenn wir uns missverstanden fühlen.

Und ich bin fest davon überzeugt, dass da, wo wir uns um gegenseitiges Verstehen bemühen, Frieden herrschen kann, ja, dass das eine Grundlage zum Frieden ist.

Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch

Seit einiger Zeit verfolge ich in der Presse die Art und Weise, wie von Radfahrunfällen berichtet wird – insbesondere die Rechtsabbiegerunfälle mit PKW und LKW nehmen, zumindest in meiner Wahrnehmung, drastisch zu, und das in einer Zeit, in der es doch immer wichtiger wird, dass immer mehr Menschen aufs Rad umsteigen. Da heißt es dann: Der Radfahrer „verletzte sich“ schwer, der LKW-Fahrer „übersah“ den Radler und ähnliche Formulierungen. Insbesondere stoße ich in dem Zusammenhang dann immer auf „aus ungeklärter Ursache“, dabei ist diese gerade bei solchen Unfällen in der Regel eindeutig: der KFZ-Fahrer, der LKW-Fahrer nimmt dem Radfahrer die Vorfahrt, warum auch immer. Aber diese Wortwahl setzt den verletzten oder getöteten Radler irgendwie ins Unrecht, schiebt ihm eine Mitschuld zu, verringert die eigentliche Schuld des anderen.

Und dabei fällt mir auf: ganz oft setzt schon allein unsere Wortwahl eine Interpretation fest. Insbesondere in der Diskussion um Flüchtlinge, Asylbewerber, Migranten etc fällt mir das auf. Ich meine jetzt nicht die Entmenschlichung durch Worte wie Flüchtlingswelle oder ähnliches – da ist es ja relativ eindeutig. Ich meine das, was wir wahrscheinlich alle tun, und was auch im Fernsehen und den seriösen Medien immer wieder festzustellen ist: Wir reden von uns – und von denen. Dadurch stellen wir eine Gegensätzlichkeit her, die man entweder überwinden kann oder eben nicht, je nachdem, aus welcher politischen Richtung man kommt. Wenn ich darüber spreche, dass Migranten einen größeren Beitrag zum Sozialsystem leisten, als sie daraus bekommen, so stelle ich Menschen als gewisse Bevölkerungsgruppe dar: als die, deren Eltern/Großeltern/Urgroßeltern nicht in Deutschland geboren sind, unabhängig davon, ob sie vielleicht Deutsche sind oder nicht.

Ich bin Niederrheinerin. Wenn mich jemand fragt, bin ich Deutsche (und Europäerin, aber das wieder ist eine andere Diskussion). Trägt jemand einen nicht so deutsch klingenden Namen, so geht in unseren Köpfen sofort die Schublade „Migrant“ auf, erst recht, wenn er nicht so aussieht, wie man sich einen Deutschen vorstellt. Und da kann er noch so Deutscher sein wie ich, er ist immer auch „einer von den anderen“. Und damit ist er derjenige, der die Bringschuld hat: er muss sich integrieren, und es spielt keine Rolle, ob ich da einen weiten oder engen Integrationsbegriff bis hin zur Assimilation verfolge. Ein deutscher Jude bleibt immer auch Jude und damit irgendwie nicht richtig deutsch, obwohl seine Vorfahren vielleicht trotz aller Widrigkeiten schon immer in Deutschland gelebt haben, das gleiche gilt erst recht für einen deutschen Muslim, so er nicht als Deutscher zum Islam konvertiert ist. Dabei interessiert auch nicht, ob sie in Wirklichkeit religiös sind oder eher nicht. Ich dagegen muss mich nie als Christin outen und werde es auch nicht, wenn ich es will.

Wir machen da, ob wir es wollen oder nicht, Unterschiede, und diese Unterschiede führen dazu, dass wir unterschiedliche Erwartungen haben und Eindrücke, egal, ob wir wohlwollend oder bösgläubig sind. Sie führen dazu, dass wir das Gegenüber nicht einfach als Menschen wahrnehmen, sondern in Kategorien einordnen, die im Kontext eigentlich gar keine Rolle spielen, diesen aber verändern.

Und das fällt dann auf, wenn wir plötzlich von Jugendlichen, deren Vorfahren etwa aus der Türkei stammen, erwarten, dass sie sich hier wie „Gäste“ verhalten und daher höhere Ansprüche an sie stellen als an von uns als Deutsche erkannte Gleichaltrige, die ja genauso wenig alle Engel sind.

Ich meine, das ist genau das, was wir überwinden müssen. Jeder Mensch ist einzigartig, sicher nicht aus seinem kulturellen Kontext zu lösen, aber mit den gleichen Rechten zu leben ausgestattet. Auch mit den gleichen Pflichten, natürlich. Aber eben mit exakt denselben. Nicht mit mehr, nur weil sein Name unseren Ohren fremd klingt, oder sein Aussehen nicht vertraut ist.

Hören wir auf, die Menschen einzuteilen. Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch.

Was ihn ausmacht, ist sein Charakter. Und nur darauf kommt es an. Und dann stellen wir fest: es gibt überall sonne und solche.

75 Jahre nach Kriegsende

Kriegsende. 8. Mai 1945

Ich stelle es mir mal vor, so, wie es die Mitglieder meiner Familien erlebt haben müssen, die gerade keine Mitläufer waren: endlich raus aus der Angst, endlich wieder frei leben können.

Und es war Frühling, die Natur wagte einen Neuanfang – das half.

Die Situation damals war sicher alles andere als gut: zu wenig Nahrungsmittel, die Familie meiner Mutter nach dem Großangriff auf Krefeld einquartiert bei, Gott sei Dank wohlwollenden, Verwandten in St. Tönis: beengte Verhältnisse, Mangel überall, aber, wie sagte meine Mutter, damals 14 heute Morgen: „es war eine Befreiung. Die grässlichen Nazis waren weg, wir mussten keine Angst mehr haben, dass uns irgendein Nachbar, Verwandter oder vermeintlicher Freund anzeigte wegen irgendwelcher Kleinigkeiten“ Und die Hoffnung stieg, dass die Soldaten zurückkehren mögen – meine Großväter haben den Krieg alle überlebt.

8.Mai 2020

75 Jahre später. Wir können uns den Mangel, der damals herrschte, und die Angst, die umging, heute überhaupt nicht vorstellen. Dennoch vergleichen viele Menschen unsere heutige Situation mit dem Krieg: Ausgangssperren, man kann nicht alles kaufen (nun ja, Klopapier und Desinfektionsmittel, Mehl und Hefe – aber keiner, der in halbwegs geregelten Verhältnissen lebt, musste auch nur ansatzweise hungern, und da es Wasser und Seife gibt, konnte man sich dennoch gut reinigen…)

Immer lauter werden die Stimmen, man solle endlich vergessen. Einen Schlussstrich ziehen. Ich meine, gerade das darf nicht geschehen. Schon an den Vergleichen der Kontaktbeschränkungen mit der Nazizeit kann man erkennen, dass man eher gedenken sollte – so, dass es bei allen ankommt.

Was wissen wir heute schon, wie sich Krieg anfühlt? Deshalb ja können wir auch sagen, die Flüchtlinge sollen lieber für ihr Land kämpfen und es wiederaufbauen, so wie unsere Eltern und Großeltern das getan haben – wie sagte meine Mutter: „hätten wir weggekonnt, wir wären geflohen“

Was wissen wir heute schon davon, wie die Angst gewesen sein muss? Sicher heute gibt es auch Nachbarn, die das Ordnungsamt anrufen, weil sie glauben, da halte sich jemand nicht an die Coronaregeln. Aber ist das wirklich das gleiche? Was erwartet einen denn? Im schlimmsten Fall ein Bußgeld, in den Knast kommt man höchstens als infizierter Flüchtling aus einer Massenunterkunft, wenn man sich gegen die Unterbringung mit Gesunden wehrt…

Ich fühle mich nicht schuldig an dem, was in der Nazizeit in Deutschland passiert ist. Nicht nur, weil meine Vorfahren keine Mitläufer waren, sondern auch, weil ich mit Mitte 50 einfach zu jung bin, um schuldig zu sein. Ich fühle mich aber verpflichtet, die Erinnerung ins Gedächtnis zu rufen: die Erinnerung daran, dass entsetzliche Taten geschehen sind, nur weil Menschen einen anderen Glauben hatten oder später, als es dann auch die Konvertiten gab, einfach nur die falschen Vorfahren (denn Deutsche waren es ja, seit Jahrhunderten waren die Familien in Deutschland ansässig). Nur, weil Menschen eine andere sexuelle Ausrichtung hatten als üblich. Nur weil Menschen sich sozial für andere engagierten. Nur weil Menschen ihre Meinung laut äußerten (ja, das darf man heute in Deutschland. Manchmal bekommt man starken Widerspruch, und Hass ist keine Meinung, aber man darf die Regierung kritisieren wie man will…) Oder weil sie dem falschen, angeblich minderwertigen Volk angehörten. Oder….

Am 8.Mai wurde Deutschland vom Naziregime befreit. Nicht von den Nazis, sicher nicht. Aber von diesem Regime, das versucht hat, die Welt zu unterdrücken und ganze Völkerscharen auszurotten. Das Menschen in lebenswertes und lebensunwertes Leben einteilten.

Am 8.Mai wurde Deutschland und die Welt vom Naziregime befreit. An uns ist es heute, Deutschland auch endlich von den Nazis zu befreien – und der ganzen Welt zu zeigen, dass ein Miteinander in Frieden und Freundschaft lebenswerter ist als Abgrenzung nach außen.

Die Zeitzeugen werden älter und weniger: meine Mutter wird demnächst 90, und sie gehört ja zu den Kindern der Nazizeit. Sie hat auch erzählt, wie leicht für Kinder die Verführung war: die Freundin, ein Jahr älter und damit ein Jahr früher im BDM erzählte immer vom Turnen – der Jahrgang meiner Mutter machte nur langweiligen Kram, so dass sie nach anfänglichem Enthusiasmus zur Erleichterung ihrer Eltern nicht mehr hinwollte. Deshalb müssen wir uns erinnern und diese Erinnerung an die kommenden Generationen weitergeben, intensiv und frühzeitig: damit schon die Schüler verstehen, wie fatal es damals war.

Deshalb bin ich dafür, den 8.Mai zum Feiertag zu machen: Der Tag der Befreiung der Welt von den Nazis, als Zeichen, dass der Kampf gegen den Faschismus nie enden darf.

Gedanken zu Corona

Corona, Corona über alles – sorry, so kommt es mir inzwischen vor.

Vorab: ich bleibe fast immer zu Hause, mein Mann, der eh arbeitet, macht die Außenkontakte.

Wir haben meine Eltern im Haus, wir sind vorsichtig.
Ich hadere auch nicht mit all den Maßnahmen an sich, die angeordnet werden. Ich habe weder das Gefühl, in einer Diktatur zu leben, noch dass die Meinungsfreiheit abgeschafft ist.
Dennoch scheint es verpönt, sich Gedanken über die andere Seite der Maßnahmen zu machen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mich traue, diesen Text zu veröffentlichen.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich etwaigen Spott und Beschimpfungen, Ablehnung auch durch Personen, die ich schätze, aushalte.
Aber es muss erlaubt sein, über die Kehrseite der Maßnahmen nachzudenken.

Ich muss in letzter Zeit immer häufiger an ein menschenverachtendes Experiment denken, dass Friedrich II zugeschrieben wird: er ließ Babies in zwei Gruppen aufteilen, die eine ohne Ansprache und mehr als die notwendigsten Berührungen, die anderen mit liebevollen Ammen, die sich „normal“ um sie kümmerten. Die Kinder aus der ersten Gruppe starben.

Das Beispiel ist weit hergeholt, keine Frage. Aber es zeigt doch deutlich, was in unserer Gesellschaft vielen Menschen seit Wochen fehlt: direkte, reale menschliche Zuwendung. Ich habe einen Mann, der mich in den Arm nimmt, und meine Eltern im Haus. Ich gehe regelmäßig zur Physiotherapie – damit hat es sich dann. Immerhin habe ich in der Zeit mehrere Freundinnen und Freunde und auch jedes meiner Kinder einmal auf Abstand sehen können – ich bin also deutlich glücklicher dran als viele andere.
Und genau darum geht es mir jetzt: die Familien, die am Ende ihrer Kräfte angekommen sind. Die Kinder, die jetzt noch mehr abgehängt sind, weil ihre Eltern ihnen nicht bei der „Schule zu Hause“ helfen können – oder denen gar das Equipment fehlt, um am virtuellen Klassenzimmer, so es denn existiert, teilnehmen zu können. Die Familien, in den Gewalt eskaliert, die Opfer, die ihren Peinigern nicht mehr wenigstens stundenweise entfliehen können, die Menschen, die sich vor Ausweglosigkeit das Leben nehmen. Die, die Depressionen entwickeln und die, deren physische Erkrankungen sich verstärken. Die an anderen Krankheiten erkrankten, die sich aus Angst vor Ansteckung nicht zum Arzt trauen, deren Operationen verschoben wurden, die sich lebensnotwendigen Behandlungen nicht unterziehen können – aus Angst oder weil der Arzt den Termin abgesagt hat – letzteres geschieht auch in vielen Fällen bei doch angeblich so notwendigen Vorsorgeuntersuchungen.
Die, die nicht damit klarkommen, dass ihr Therapeut nur noch Bildschirmtherapie anbietet. Die, die an Einsamkeit zu Grunde gehen, die alleine sterben, weil (längerer) Besuch in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen auch im Sterbefall nicht erlaubt ist, und alle, die einen geliebten Toten nicht würdig beerdigen können und damit nicht gut trauern vermögen.
Ich könnte diese Liste jetzt noch endlos weiterführen, es fehlen noch alle die, für die die Krise vielleicht das wirtschaftliche Ende bedeutet, und, und, und.
Bei all dem mag es sich um Minderheiten handeln – zusammen sind es viele menschliche Schicksale, die man sicher nicht aufrechnen kann gegenüber Coronatoten oder solchen, die bleibende Schäden zurückbehalten: aber Tote sind tot, egal auf welche Art und Weise sie gestorben sind und bleibende Schäden sind auf beiden Seiten zu erwarten.
Vorsicht: ich will nicht, dass jetzt alle Maßnahmen ausgesetzt werden und alles wieder wird wie vorher. Was ich möchte, ist, dass darüber nachgedacht wird. Und was ich mir wünschen würde, ist, dass die Wissenschaftler, Politiker und Journalisten, die darüber nachdenken (und ich meine ausdrücklich nicht die Verschwörungstheoretiker, genauso wenig wie die, die meinen, die „Alten“ müssten halt „geopfert werden“) genauso ernst genommen werden wie die Virologen – denn es geht beiden um die Menschen – oder zumindest auch um die Menschen.
Das das nicht geschieht, sieht man daran, dass für Fußballer alle drei Tage eine Testung ins Auge gefasst wird, damit der Spielbetrieb wieder losgehen kann – aber nicht einmal für Kontaktpersonen, wenn diese keine Symptome haben: ich dachte, wir tragen Masken, weil auch symptomfreie Menschen ansteckend sein können?

Und dann ist da noch die rechtliche Seite. Immer mehr Gerichte entscheiden, dass die Maßnahmen so in ihrer Gänze, ohne definierten Endpunkt, ständige Überprüfung ihrer Notwendig- und Verhältnismäßigkeit, nicht rechtens sind – und werden dafür ebenfalls an den Pranger gestellt.
Gerade in diesem Bereich herrscht Willkür: warum ist eine Menschenkette auf Abstand und mit Maske im Braunkohlerevier verboten, rechte Demonstranten aber lässt man gewähren? Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

Nochmal: ich rufe nicht danach, sofort alles abzubrechen. Ich möchte genau wie jeder andere, dass unser Gesundheitssystem in der Lage bleibt, die Pandemie zu beherrschen.
Für mich sind Virologen Wissenschaftler, die nicht dauernd ihre Meinung ändern, sondern die auf Grund neuer Erkenntnisse zu neuen Einschätzungen kommen.

Ich behaupte auch nicht, die Lösung zu kennen.

Was ich möchte, ist, dass die Diskussion sachlicher wird, das beide Seiten in den Blick genommen werden und somit immer mehr Anordnungen auf Sinn, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft werden – und das fortdauernd.