Corona-Maßnahmen: Chancen?

Gedanken zur Kontaktreduzierung in Coronazeiten

Überlegungen zur (Trauer-)seelsorge und Beerdigungskultur und darüber hinaus.

Gerade verändern wir alle unseren Umgang mit anderen Menschen.

Und ich frage mich: Trauerseelsorge in Zeiten von Corona – geht das? Wie geht das?

Ein Trauergespräch am Telefon stellt mich vor ganz andere Voraussetzungen als in der realen Begegnung, es ist anstrengender, aber es gibt auch eine Chance: ich muss noch mehr auf Zwischentöne hören, auf das, was ungesagt bleibt, ich merke, dass ich mich deutlich mehr konzentrieren muss auf meine Gesprächspartner. Ich muss auch – bei mehreren Hinterbliebenen – möglicherweise mehrere Telefongespräche führen, die sich vielleicht an der ein- oder anderen Stelle doppeln, die aber den Charme haben, dass man vielleicht freier reden kann über die Oma, wenn die Mutter nicht dabei ist, über den Vater, wenn dessen Lieblingskind (oder aber das schwarze Schaf) nicht neben einem sitzen…

Wie begrüße ich als Beerdigungsdienstleiterin die Menschen vor der Trauerhalle, denen ich sonst die Hand gedrückt hätte, richtig? Es ist anders, aber auch eine Chance – manchmal gibt man den Menschen die Hand und ist doch schon in Gedanken beim nächsten – das geht jetzt nicht. Ich muss den Menschen in die Augen gucken, sie ehrlich anlächeln – so, dass auch meine Augen mitlächeln, falls ich eine Maske trage. Das heißt, ich muss mich dem Menschen, den ich begrüße, deutlich mehr zuwenden…

Generell ist die Frage, wie man zu fremden, aber vielleicht auch zu vertrauteren Menschen einen Kontakt aufnehmen kann, wenn man Abstand halten muss und Maske tragen, der über einen schnellen Gruß.

Ich glaube, wir sind in unserer schnelllebigen, bunten Welt gar nicht mehr darauf gepolt, uns ganz auf unser Gegenüber zu konzentrieren, wir sind schnell mal abgelenkt, weil wir gewohnt sind, dass die Welt um uns so funktioniert: Dauernd ändert sich was, dauernd müssen wir neue Sinneseindrücke verkraften, das Handy piept, Schnellnachrichten, mal eben gucken…
Ich lerne gerade neu, mich auf einen Menschen zu konzentrieren. Natürlich habe ich auch früher schon zugehört, mich auf die Menschen eingelassen. Aber es ist nun deutlich anders: eine kleine Ablenkung beim Telefonat, und man verliert den Faden. Wenn das Lächeln die Augen nicht erreicht, erkennt man es bei Maskenträgern nicht. Eine Begrüßung funktioniert nur noch, wenn man sich drauf konzentriert und nicht schon in Gedanken beim nächsten ist. Das alles ist auch eine Chance, finde ich: man muss mehr Antennen ausstrecken, um mitzukriegen, was der oder die andere fühlt, was zwischen den Zeilen steht – und das ist eine Wohltat. Es tut gut, wenn Menschen sich konzentrieren auf den oder die eine Gesprächspartner*in, die gerade wichtig sind – man fühlt sich deutlich anders wahrgenommen. Und es reicht nicht mehr, oberflächlich zu agieren, nur mit dem Mund zu lächeln – wenn Mimik wegfällt, werden die Augen noch mehr zum Spiegel der Seele.

Vielleicht hilft uns das, wieder authentischer zu werden, inne zu halten, konzentrierter bei der Sache zu sein – es wäre schön, wenn das über die Krise hinaus hielte.

November 2020

„Im Nebel ruhet noch die Welt“ – so beginnt ein Herbstlied, dass ich im Schulchor kennengelernt habe. November, Novembernebel, Herbststürme, frühe Dunkelheit – der November ist nicht unbedingt mein Lieblingsmonat. Aber es gibt Highlights: Martinsumzüge, Weihnachtsbasare, vielleicht auch schon ein Weihnachtsmarktbesuch, gemütliche Abende mit Glühwein, Kerzenschein und guten Freunden …

So könnte dieser Artikel anfangen, wenn nicht, ja wenn es nicht der November 2020 wäre, der heute beginnt. Lockdown light oder wie immer man das nennen will: extreme Kontaktbeschränkungen, Gastronomie, Museen, Theater, Kinos und „Vergnügungsstätten“ geschlossen, Martinszüge abgesagt, Weihnachtsmärkte ebenfalls.

Also nochmal von vorne: „Im Nebel ruhet noch die Welt“, so beginnt ein Herbstlied, dass ich im Schulchor kennengelernt habe. November, Novembernebel, Herbststürme, frühe Dunkelheit – schon unter normalen Umständen ist der November nicht unbedingt mein Lieblingsmonat. Aber das Lied geht weiter: „bald siehst Du, wenn der Schleier fällt…“ Wir wissen alle: es gibt im November Tage, da fällt der Schleier nicht. Da ist es den Tag über dämmrig, man sieht nix, und ohne elektrisches Licht geht gar nix. Es ist der Monat des Totengedenkens, der Volkstrauertage – irgendwie alles ziemlich trübe. Und in diesem Jahr sicher deutlich trüber als sonst. Aber: irgendwann fällt er doch, der Schleier. Irgendwann sieht man sie doch, die Sonne, manchmal nur ein kleiner blauer Himmelsfleck, ein paar Strahlen durch ein Wolkenloch, manchmal auch deutlich mehr – und die muss man dann genießen, diese Aufheiterungen.

Und so sollten wir es jetzt machen: Wolkenlöcher suchen. Manche kann man selbst herstellen: Endlich mal Zeit, auf dem Sofa zu sitzen und ein gutes Buch zu lesen. Ein Telefonat mit der besten Freundin, während man mit heißem Tee in eine Decke gewickelt auf dem Sofa sitzt. Oder man ruft jemanden an, von dem man weiß, er oder sie hat drauf gewartet – dann ist man selbst Wolkenloch für andere. Wenn man spazieren geht, findet man vielleicht ein besonders hübsches Herbstblatt. Oder, wie früher als Kinder, Kastanien, die mit ihrer glatten Haut auch als Handschmeichler durchgehen. Vielleicht nutzen wir die moderne Technik, um das, was uns fehlt zu kompensieren: Eine Skype Verabredung, gerne zum virtuellen Kaffee- oder Glühweintrinken, damit man sich sieht beim Ausquatschen. Man kann übers Internet zusammen spielen: Sonntags abends treffen sich in unserer Familie Kinder und Enkelkinder mit der Oma, um über Skype 2 Stunden Stadt-Land-Fluss zu spielen, und sie hat so Kontakt zu den Enkeln, die sie wegen Corona nicht besuchen können. Vielleicht lächeln wir beim Spaziergang jemanden an – und der lächelt überrascht zurück. Das wärmt das eigene Herz ungemein.

Ich bin sicher, es gibt noch ganz viele andere Wolkenlöcher, für jeden und jede ganz individuell. Das erste Lächeln des Tages bekomme ich von mir selbst, morgens, im Badezimmerspiegel, auch wenn’s manchmal schwerfällt. Das hebt die Laune schon ungemein. Und dann gibt es einen ganz einfachen Trick, sich selbst zu zeigen, dass es positive Momente gibt: Man nehme 7 Bohnen oder Murmeln oder was auch immer und stecke sie in die linke Hosentasche. Immer, wenn einem etwas Schönes begegnet, und sei es auch noch so winzig, wechselt man dann eine Bohne auf die andere Seite. Man wird aufmerksamer, denn Ziel ist es natürlich, möglichst viel Bohnen in die andere Tasche zu tun. Abends kann man sie zählen und merkt: ganz so nebelig war es nicht, es gab Wolkenlöcher. Vielleicht unterstützt man das Ganze mit einem Positivtagebuch. Oder, wenn man kann, mit einem Dankbarkeitsgebet.

„…herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen“ – ich wünsche Euch/Ihnen und mir, dass wir das sehen können, jeden Tag, auch in diesem November. Versuchen wir’s. Gutes Gelingen.