Gedanken zu den Kar- und Ostertagen, letzter Teil: Ostermontag 2020

Die Emmausgeschichte. Sie geht, in Kurzform, ungefähr folgendermaßen: Zwei Jünger wenden Jerusalem nach Jesu Tod den Rücken zu und gehen, traurig, enttäuscht und mutlos nach Hause. Da kommt ein Fremder zu ihnen, diskutiert mit ihnen, gibt ihnen ihren Mut zurück – und erst, als er weg ist, merken sie, dass es Jesus war.

Ich werde oft gefragt, was mir mein Glaube bedeute, über die Nachfolge Jesu in Sachen Nächstenliebe etc. hinaus. Warum ich Kerzen anzünde und für mich oder andere bete, ob ich denn glaube, dass Gott dann vor Unheil bewahrt? Wenn jemand zu früh stirbt: „Wo ist denn jetzt Dein Gott“? Mit dem Blick aufs Mittelmeer: „Wo ist er da, Dein Gott, beten die Menschen nicht genug?“

Mir scheint, er ist da, wenn wir es nicht merken, ähnlich wie in der Emmausgeschichte, als die Jünger hinterher merken „brannte uns nicht das Herz…“

Was mich trägt, ist Gottes Beistand. Das Gefühl, nicht alleine zu sein, dass man, wenn man sich drauf einlässt, wirklich merken kann. Ich habe das Glück, genau das gemerkt zu haben zu einer Zeit, als sich meine Gewissheiten gerade auflösten: ich merkte, es kommt, wie es kommt. Aber ich bin nicht alleine.

Das ist etwas, was man nicht erklären kann. Das ist etwas, was man oft erst hinterher merkt: meine Mutter sagt: „es wird irgendetwas Gutes draus werden, nicht so, wie wir es wollen, aber es wird“ und versichert mir, dass das die Erkenntnis ihres Lebens ist.

Ist es nicht oft in der Rückschau so? Sicher nicht immer, sicher stecken wir oft auch so tief in Not und Verzweiflung fest, dass wir es gar nicht merken, vielleicht auch nicht im Nachhinein. Dennoch glaube ich: wir sind nicht allein, und wer um Beistand bittet, der wird ihn auch erhalten. Nicht in Form eines Gottes, der aktiv in unser Leben eingreift – an so einen Gott habe ich nicht mal als Kind geglaubt. Aber Gott kann uns Stärke geben und Kraft, die Situation, die Not, die Verzweiflung auszuhalten oder zu überwinden, je nachdem.

Und Gott ist bei denen, die seiner bedürfen. Er ist, jetzt, an Ostern, bei denen, die im Mittelmeer ertrinken, weil wir wegen Corona die ohnehin unzureichende Rettung ganz eingestellt haben. Er ist nicht bei denen, die ihre Häfen zu unsicheren Häfen erklären, weil man dort Corona fangen könnte – und es offensichtlich richtiger finden, dass die, die man angeblich schützen will, ertrinken. Er ist nicht bei denen, die große Reden schwingen und die vergessen, die nicht im Fokus sind. Er ist auch nicht bei denen, die Nächstenliebe predigen – diese aber nur bestimmten Leuten zukommen zu lassen.

Er ist bei denen, die seinen Beistand benötigen. Bei uns, und überall auf der Welt, da, wo Menschen sich, und sei es auch nur in der Not, auf ihn einlassen. Da ist er, unser Gott, Jesus, Heiliger Geist, da ist Allah, Jehova oder wie wir ihn auch immer nennen. Und damit ist er auch bei uns – wir müssen uns nur drauf einlassen und ihn einladen, so, wie die Emmausjünger es getan haben.

Das bedeutet mein Glaube mir, deshalb bete ich für mich und andere und zünde Kerzen an: ich glaube an einen Gott, der uns stärkt, der uns begleitet. Bis tief hinab in die Hölle unseres Lebens.

Damit beende ich nun meine Gedanken zu den Kar- und Ostertagen, auch, wenn mir sicher noch vieles dazu einfallen würde.

Bleibt alle gesund, habt Kraft, diese und alle Krisen Eures Lebens zu überstehen und seid gewiss: Ihr seid nicht alleine.

Auferstehung 2020

Ostern 2020

Corona hat die Welt im Griff

Kotaktsperren

Ausgangssperren

Haltet Abstand

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern 1944

Der zweite Weltkrieg hat die Welt im Griff

Ausgangssperren

Verdunkelungen

Bomben fallen

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern im 20./21. Jahrhundert

Kriege und Klimawandel halten die Welt im Griff

Nicht genug zu essen

Nichts zu trinken

Dürrekatastrohphen

Schüsse fallen

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern zur Zeit Jesu

Sklaverei

Kriege

Unterdrückung

Hass

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Jesus ist auferstanden.

Für uns Menschen

Die Hoffnung auf Auferstehung

Steht über dem Tod.

Zeit, Ostern zu feiern

Heute, hier und jetzt:

Zeit, Ostern zu feiern.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Ostersamstag 2020

Ostersamstag – in der Kirche der Tag, an dem nichts passiert. In manchen Kirchen kann man das sogenannte Grab Jesu besuchen und daran beten – Gottesdienste gibt es bis zur Osternacht keine. Der Tag der Grabesruhe.

Für mich der Tag, der mit unserer jetzigen Situation vielleicht am meisten zu tun hat: die Grabesruhe, aber eine Grabesruhe, die endlich ist. Mit der Auferstehung verlässt Jesus das Grab. Wann wir die jetzige Grabesruhe verlassen, weiß keiner. Aber genau wie wir wissen, das Jesus auferstanden ist, wissen wir, dass die jetzige Situation mit ihren Kontaktsperren und Empfehlungen, doch zu Hause zu bleiben, mit dem Verbot von Veranstaltungen und Gottesdiensten, geschlossenen Schulen und Unis, aber auch geschlossenen Restaurants, Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen, Besuchsverbot in Senioren- und Pflegeheimen und in den allermeisten Krankenhäusern auch auf der Palliativstation, die uns allen so sehr zusetzt, egal, ob wir mit den Maßnahmen bis ins letzte einverstanden sind oder nicht, dass diese Situation ein Ende haben wird. Das ist die Hoffnung, die ich allen wünsche: irgendwann ist das alles vorbei. Vielleicht erlebe ich es nicht mehr, ist ein Gedanke, der wohl vor allem die Ältesten unter uns nicht fremd ist, aber sicher ist, es wird irgendwann vorbei sein.

Und das ist das, was Jesu Grabesruhe mit den jetzigen Zeiten verbindet: es gibt eine Hoffnung. Sei es nun auf Herdenimmunität, Medikament oder Impfstoff – es wird ein Ende kommen, und es wird irgendwie weitergehen.

Die Jünger hätten diese Hoffnung haben können. Schließlich hatte Jesus oft genug davon gesprochen. Sie hatten sie aber nicht – sie weinten um ihn. Auch da sehe ich eine Perspektive: wir wissen, dass ein Ende kommen wird – nur nicht wann und wie. Aber wir haben Angst: Angst davor, die Zeit nicht zu überstehen, Angst um Angehörige oder uns selbst, Angst vor der Zukunft. Genau, wie die Jünger damals. Diese Angst ist real, sie ist auch berechtigt, ich selbst habe sie durchaus auch. Aber ich möchte Mut machen, die Hoffnung jenseits der Angst zu finden, die Hoffnung auf eine Auferstehung zum Leben nicht nur nach unserer Zeit, sondern hier in dieser Welt. Die Hoffnung darauf, dass das Leben wieder kommen wird, anders, aber Leben. Das kann die Sorge um die Zukunft nicht ausräumen. Die Jünger haben sich weiter versteckt, auch, als sie wussten, das Jesus auferstanden ist, und wir werden uns weiter Gedanken machen müssen darum, wie es weitergehen kann.

Aber ich hoffe einfach, dass es uns gelingt, auf diesem Weg alle mitzunehmen. Alle mitzunehmen zu dem Silberstreif am Horizont, der da heißt: Es wird weitergehen. Irgendwie.

Ich wünsche Euch allen und mir, dass es uns gelingt, die Hoffnung über die Angst zu stellen, dass es uns gelingt, getragen von dieser Hoffnung, weiter alles dafür zu tun, dass möglichst viele Menschen hier in diesem irdischen Leben überleben können – denn das ist zutiefst christlich.

Und allen, die darunter leiden, die Osterfeiertage nicht wie gewohnt gemeinsam begehen zu können, die meinen, Ostern wäre abgeschafft, wünsche ich, dass sie erkennen können, dass Jesus keine Gottesdienste braucht, keine großen Foren, damit er auferstehen kann. Es war keiner dabei. Er war ganz alleine in seinem Grab, und ist dennoch auferstanden.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen eine Spur dieser zu tiefst christlichen, aber doch auch so menschlichen Hoffnung, damit die Angst Euch nicht im Griff hat.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Karfreitag 2020

Heute ist alles anders als sonst. Der „stille“ Karfreitag ist so still wie alle Tage vorher und auch nachher: Restaurants, Cafés, Kino, Freizeiteinrichtungen: längst geschlossen. Geschäfte – die meisten haben zu. Sogar Spielplätze sind zu, Treffen mit mehreren Personen verboten: stiller, als jeder stiller Feiertag sonst sein könnte.

Und vielen Christen fehlt etwas: der Gottesdienst, in dem die Passion Christi bedacht wird, traditionell oder modern, im Kreuzweg in der Kirche oder auch in einer Prozession, etwa auf die Halde.

Aber die Passion bedenken kann man auch ohne Gottesdienst. Vielleicht kommen einem sogar ganz neue, eigene Gedanken – die einem durchaus weiterhelfen können

Wir bedenken die Passionsgeschichte normalerweise aus 2 Richtungen – der momentanen, also dem Leiden und Sterben und, davon kann sich keiner freisprechen, aus der Osterperspektive.

Deshalb möchte ich hier auch zu beidem etwas bemerken, denn es gehört zusammen:
Die Theologen streiten sich, wie das „Jesus starb für unsere Sünden“ zu erklären ist, zu verstehen ist und ob man das überhaupt so sehen darf. Für mich war immer schon ein völlig anderer Aspekt viel wichtiger: Jesus ist seinen Weg konsequent gegangen bis in den Tod. Er hat das getan, was ihm wichtig war: Gottes Wort als frohe Botschaft (nicht als Drohbotschaft, das ist ja gerade das Neue, Schöne!) verkündet und bedingungslose Gottes- und Nächstenliebe nicht nur gepredigt, sondern auch praktiziert. Gerade dies letztere, dass Er lebte was Er sagte, war ja das, was die Menschen um ihn faszinierte – und was ihnen Angst machte: da war einer, der predigte nicht Wasser, um selbst Wein zu trinken – er hatte überhaupt nichts gegen das gute Leben, solange es aus dieser Liebe heraus keinem anderen schadet. Er war ganz Mensch: er hatte Angst vor dem Sterben, er war verletzt, als seine engsten Freunde nicht bei ihm warteten, sondern einschliefen, aber er hatte die Hoffnung, dass es stimmt, was er predigte: dass Gott ihn nicht hängen lassen würde. Trotz seines Todes. Das ist für mich die Botschaft der Passion schlechthin (ja, möglicherweise nicht gut katholisch, aber dennoch): das Jesus sich nicht hat Abschrecken lassen von den Widrigkeiten des Lebens, von seinen Gegnern, ja, von dem Tod: er hat die Wahrheit gelebt, konsequent bis zum Ende.

Und da kann er uns Vorbild sein, ein Vorbild, was uns nicht erdrückt, sondern erhebt: Wir dürfen hoffen auf die Zukunft bei Gott, egal, was uns in dieser Welt widerfährt. Dabei will ich gar nicht sagen, der Tod ist egal, weil nach dem Tod ist alles besser. Auch, wenn ich an ein Leben bei Gott glaube: dazu ist mir das Leben auf dieser Erde viel zu wichtig. Und wenn es das nicht wäre: warum sollte Gott den Menschen erschaffen haben? Wir sind kein Spielzeug, wir sind das Ebenbild Gottes in dieser Welt. Aber das Vorbild Jesu hilft mir, konsequenter zu sein. Mich Anfeindungen entgegenzustemmen, zu tun, was ich glaube, dass es auch getan hätte.

Das ändert nichts daran, dass ich durchaus meine Bequemlichkeit dem, was eigentlich zu tun wäre, vorziehe. Dass ich manchmal resigniere und meine, eh nichts ausrichten zu können. Dass ich manchmal die Freundin bin, die schläft – und manchmal der Pharisäer, der da, wo es konkret wird, wegsieht. Es ändert nichts daran, dass ich manchmal die Regeln über den Menschen stelle, wo doch umgekehrt richtiger wäre. Aber: es ändert etwas an meiner Einstellung. Ich kann mein Tun immer wieder überprüfen, neujustieren und ändern. Auch, wenn es vielleicht nur vorübergehend ist. Denn das ist das Schöne am Christsein: ich kann jeden Tag umkehren, immer wieder neu.

Und wem jetzt der Gottesdienst mit Passionslesung fehlt:
Lest sie doch, Ihr findet sie in der Bibel z.B. unter Johannes 18 folgende (die wird in der katholischen Kirche meines Wissens immer an Karfreitag gelesen), Markus 14 ff, Lukas 22 ff und Matthäus 26 ff.
Vielleicht mit verteilten Rollen, wenn Ihr zu mehreren seid, so werde ich es mit meinen Eltern machen. Und vielleicht wird aus Eurem Karfreitag dann doch noch ein richtiger Karfreitag: Gottesdienst geht auch mit wenigen. Und für die Katholiken unter Euch, die vielleicht Bedenken haben: Karfreitag „geht“ auch ohne Priester. Auch zu normalen Zeiten.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Gründonnerstag 2020

In der katholischen Kirche wird erstaunlicherweise an Gründonnerstag das Evangelium der Fußwaschung gelesen, nicht das des letzten Abendmahles, obwohl an diesem Tag genau darum geht: das letzte Abendmahl, bei dem Jesus uns Christen auffordert, in der Erinnerung an ihn gemeinsam Mahl zu halten, für Katholiken die Einsetzung der Eucharistie.

Sicher, die Fußwaschung gehört dazu. Wenn man in Judäa zu einem Treffen ging oder nach Hause kam, dann wurden, erst recht vor einem Mahl, zunächst die Füße gewaschen, waren die Straßen doch staubig und feste Schuhe unbekannt.  Allerdings hatte man in den besseren Häusern dafür Diener, man machte sich selbst die Hände nicht schmutzig. Es war sicher kein gehobener Dienst, jemandem die Füße zu waschen, sondern eher am unteren Ende der Dienstskala angesiedelt.

Und jetzt das ungeheuerliche: Jesus, der Herr und Meister, den die Jünger Rabbi nennen, der tut diesen Dienst für seine Jünger. Er hockt sich vor sie hin, wäscht ihre Füße, ganz, als wäre er ihr niederrangigster Diener. Ich finde das sehr eindrucksvoll, zeigt es doch eigentlich die Quintessenz aus Jesu Leben: der Dienst am Menschen steht im Mittelpunkt, nicht die Stellung, die man einnimmt. Es gibt keinen Dienst, der zu gering ist, als dass man ihn seinem Mitmenschen tun kann. Jesus ist sich für nichts zu schade. Und das lässt mich auf unsere jetzige Situation schauen: es gibt eine Menge Menschen, deren Dienst wir im normalen Leben nicht wirklich bemerken: Fachpflegekräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Müllwerkerinnen und -werker, Briefträgerinnen und Briefträger, Paketboten, Reinigungskräfte – jeder und jede von Euch und Ihnen wird die Liste leicht ergänzen können, denn jetzt bemerken wir sie, und wir merken, wie wichtig all diese Menschen für unser Leben sind. Menschen, denen wir sonst die lebensnotwendige Anerkennung nicht zollen, bei deren Beruf oft ein „nur“ davorsteht, zumindest in Gedanken, oder die wir, nehmen wir die Lehrer, alle gerne beschimpfen, weil wir es doch besser könnten…

Wenn wir also das Evangelium von der Fußwaschung lesen, dann zeigt es uns: alle Menschen sind gleich. Es gibt keine „niederen Dienste“, jeder trägt an seiner Stelle zum Gemeinwesen bei, er und seine Dienste sind gleichwertig mit den Berufen, denen wir Anerkennung zollen, ja vielleicht sogar wertvoller. Wenn wir das lernen und beherzigen, dann haben wir viel verstanden. Und ganz vielleicht führt das dann ja auch dazu, dass diese unverzichtbaren Menschen endlich besser bezahlt werden?

Nocheinmal zum Kern des heutigen Tages, dem Abendmahl. Sicher schmerzt es nicht nur mich, dass wir nicht gemeinsam Mahl halten können, heute, an Gründonnerstag, dem Tag, an dem mich als Kind schon die Worte unseres Priesters: „und das ist heute“ fasziniert haben: weil es Jesus und Jesu Leben mehr als alles andere hineinholt in unsere Welt.

Wir können das Abendmahl dennoch begehen. In dem wir vielleicht im Brief des Paulus an die Korinther lesen: (1 Kor 11,23-26)

Schwestern und Brüder! Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde,
Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte:
„Das ist mein Leib für euch.
Tut dies zu meinem Gedächtnis!“
Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch
und sagte:
„Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut.
Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!
Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt,
verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“

Und dann Brot und Wein, oder Traubensaft, segnen, wenn nicht alleine sind, teilen und genau das tun, was Jesus uns aufgetragen hat – egal, ob wir nun evangelisch oder katholisch sind.

Wir können Mahl halten in Seinem Gedenken – und das sollten wir auch tun.

Gedanken in der 3 Woche. Teil 3: Man sollte ein Problem immer von allen Seiten anschauen

Wir sind, es lässt sich nicht leugnen, in einer Krise. Alles dreht sich um Corona, wir bleiben zu Hause, und, um das vorab klarzustellen: ich finde das auch durchaus richtig.

Dennoch kommen mir immer wieder Bedenken: erstens bin ich der Ansicht, dass eine gesetzliche Grundlage fehlt, solch umfassende Grundrechtseinschränkungen zu erlassen: Das hierzu gerne zitierte Infektionsschutzgesetz erlaubt Grundrechtseinschränkung für Erkrankte bezüglich Meldung, Quarantäne, Berufsausübung. Die Einschränkungen, die hier alle Bewohner der Bundesrepublik betreffen und teilweise bis hin zum „Berufsverbot“ gehen, sind meines Erachtens davon nicht gedeckt. Schon gar nicht, weil es kein definiertes Ende dieser Maßnahmen gibt. Und das macht mir Sorge: ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung da rechtsstaatlich sauberer gearbeitet hätte, denn was einmal funktioniert hat, kann man wieder versuchen, auch wenn die Notlage vielleicht weniger drastisch ist.

Das Demonstrationen auch dann nicht zugelassen werden, wenn man sich an die entsprechend für das Bundesland geltenden Regeln hält, wie z.B. die geplanten Demos der Seebrücke zur Evakuierung der Flüchtlingslager am letzten Sonntag, finde ich erst recht erschreckend: ein wichtiger Baustein der Demokratie, eine wichtige Äußerungsmöglichkeit der Bürger wird außer Kraft gesetzt, obwohl die Einschränkung von Grundrechten immer einhergehen muss mit der Prüfung, ob es mildere Mittel gibt. Und die hätte es gegeben: nämlich die Auflage, sich an die vor Ort geltenden Einschränkungen zu halten (was die Demonstranten auch gemacht haben). Das muss doch möglich sein in einem Land, das so viel Wert auf seine gelebte Demokratie legt.

Was mir aber vor allem Angst macht, ist nicht die Tatsache, dass andere Menschen andere Rechtsauffassungen vertreten als ich. Was mir Angst macht, ist, dass Menschen, die laut darüber nachdenken, verprügelt werden (im Zeitalter von social distancing nur mit Worten, aber dennoch): Es scheint, man darf Zweifel nicht mehr äußern in dieser Welt.

Das gilt auch, wenn man verlangt, dass abgewogen wird, welche Folgen die Maßnahmen für andere haben. Ich will da gar nicht die Wirtschaft zitieren: Ärzte beklagen, dass Menschen nicht zum Arzt gehen, wenn sie an anderen Krankheiten und Symptomen leiden, aus Angst, sich mit Corona anzustecken. Die zu lebensnotwendigen Untersuchungen nicht kommen, weil Arztpraxen und Krankenhäuser als Seuchenherd gelten – oder weil sie die Ärzte nicht von „wichtigeren“ Dingen, also von Corona, abhalten wollen. Polizisten berichten von sprunghaft angestiegener häuslicher Gewalt – und sie erfahren, gerade jetzt, ja nur die Spitze des Eisberges Davon Betroffene und auch vom Missbrauch betroffene haben keine Möglichkeit mehr, ihren Peinigern zu entfliehen. Menschen mit Depressionen werden kränker, Menschen, die ihre Arbeit verlieren, oder die keine realen Kontakte mehr haben, erkranken psychisch und physisch. Kinder und Jugendliche, die dringend auf Begleitung z.B. der Familienfürsorge angewiesen sind, fallen zurück in alte Muster – und werden möglicherweise den Weg ins geordnete Leben nicht packen. Selbstmorde nehmen zu. Die Liste könnte ich jetzt endlos verlängern – wenn man darüber redet, wird man behandelt, als wolle man, dass Menschen an Corona sterben – und es wird einem gesagt, diese Kollateralschäden müsse man jetzt halt in Kauf nehmen.

Politikern und Fachleuten, die anfangen, darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann, versucht man einen Maulkorb umzuhängen: es sei noch zu früh, darüber zu sprechen. Ich finde: nein, man muss drüber reden, man muss die Maßnahmen immer wieder überprüfen, selbst dann, wenn man meint, rechtlich wäre alles sauber. Weil diese Maßnahmen nur die allerletzte Möglichkeit sein können – man muss immer wieder schauen, ob mildere Mittel nicht auch zum Ziel führen und ob der Schaden immer noch kleiner ist als der Nutzen.

Nochmal: ich will nicht entscheiden müssen, wann wie welche Maßnahmen aufgehoben werden können oder müssen. Ich kann über die rechtlichen Grundlagen nachdenken, alles andere steht mir nicht zu. Aber ich möchte, dass das darüber Nachdenken nicht verpönt wird. Wir leben immer noch in einer Demokratie. Da muss das einfach möglich sein.

Gedanken in der 3.Woche. Teil 2: Der Blockwart in mir

„Da sitzen 3 auf der Bank, die sehen nicht so aus, als ob die in einen Haushalt gehören.“ – „Die Kinder sehen so aus, als wären sie nicht aus der gleichen Familie, die da mit dem einen „Vater“ spazieren gehen“. – „Die Mutter da nimmt einfach ihre Kinder mit in den Supermarkt“. – „Da vor dem Haus unterhalten sich drei – das ist doch verboten“. – „Bei unseren Nachbarn ist schon seit 2 Wochen Besuch aus Berlin, das erkennt man am Autokennzeichen“. – „Da sitzt doch tatsächlich die Tochter bei ihrer Mutter im Garten“ – „Großeltern fahren mit ihren Enkeln Rad – die haben wohl nix kapiert“ – „Da der Kunde kauft 2-mal Klopapier, das ist doch nicht erlaubt…“

So und so ähnlich schallt es durch die Welt in Zeiten von Corona. In den „sozialen“ Medien, durchs Telefon, schnell mal das Ordnungsamt angerufen oder lauthals seinen Unmut kundgetan.

Ich gestehe: manchmal sehe ich auch Dinge und frag mich „darf dat dat?“ Und manchmal packe ich mir an den Kopf und frage mich: warum?

Woran erkenne ich, dass Menschen zu einem Haushalt gehören? Wenn meine 3 Kinder hier noch leben würden, man würde es nicht erkennen. Der Vater? Nun, vielleicht hat er tatsächlich so viele Kinder, vielleicht passt er aber auch auf die Nachbarskinder auf, weil die Eltern beide arbeiten, aber mangels sogenannter „Systemrelevanz“ keine Betreuungsplätze haben? Die Mutter lebt allein mit ihren Kindern und kann nur einkaufen, in dem sie sie mitnimmt? Der Sohn aus Berlin ist zu seinen Eltern gezogen, um nicht alleine zu sein? Die Tochter zur Mutter? Der Käufer kauft für die Seniorin von nebenan mit ein?

Der Gipfel sind dann Fotos, die man beim Einkauf auf dem Markt macht oder auf dem Parkplatz am Badesee – muss man nicht selbst vor Ort sein, um solche Fotos zu machen?

Ja, es gibt Idioten, die halten sich an nix. Aber all die anderen, die könnten Gründe haben. Die man ja vielleicht im Gespräch erfahren könnte – aber man will ja keinen ansprechen.
Vor einigen Tagen ging es darum, man müsse Menschen, die trotz hohen Alters in den Supermarkt gehen, die vielleicht neben einem auf die Ware zugreifen, die Kinder auf dem Einkaufswagen sitzen, nur laut genug bloßstellen, dann täten sie das nie wieder. Tatsächlich? Ist Bloßstellen der richtige Weg? Wäre nicht vielleicht ein freundlicher Hinweis viel zielführender, weil der andere dann nicht das Gesicht verliert?

Und muss ich wirklich das Ordnungsamt zu meinen Nachbarn schicken, weil der Sohn dort eingezogen ist? Weil die alte Dame trotzdem Besuch ihrer Tochter bekommt, weil einer auf einer Bank sitzt und liest?

Ich würde mir wünschen, wir schalteten alle mal einen Gang zurück. Und dann würden wir die Sache so angehen:
1. Ich halte mich an die Regeln. 2. Wenn ich einen vermeintlichen Verstoß sehe, spreche ich die Menschen freundlich an – und höre mir an, was sie zu sagen haben. 3. Bevor ich das Ordnungsamt oder die Polizei rufe, oder die sozialen Medien kirre mache frage ich mich: wenn das, was ich da sehe, nicht 100prozentig richtig ist – welchen Schaden kann es wirklich anrichten? Oder: haben die anderen weniger Rechte als ich, jetzt hier zu sein?

Wenn wir alle aufeinander achten, freundlich miteinander umgehen und immer drauf bedacht sind, dass auch unser Gegenüber sein Gesicht wahren kann, dann läuft direkt schon viel mehr richtig.

Und, sind wir mal ganz ehrlich: Idioten wird es trotzdem geben. Es gibt immer Menschen, die sich nicht an Regeln halten – unsere Gefängnisse sind voll davon. Trotzdem stellen wir nicht die gesamte Menschheit unter Generalverdacht…

Gedanken in der 3. Woche. Teil 1: Schützenswerte Alte, die sich nicht schützen lassen wollen

Erinnert Ihr Euch noch an die ersten Tage dieses Jahres? Als der größte Aufreger ein Kinderlied war, das vermeintlich eine ganze Generation 55 – 120jähriger Frauen beschimpfte, insbesondere die, die im Krieg ihre Kinder allein großgezogen und gleichzeitig ebenfalls allein Deutschland wieder aufgebaut haben? Ich will die Diskussion hier nicht wiederholen, Ihr erinnert Euch, ich bin mir sicher.

Ich will eher auf eins hinweisen: Merkt Ihr, wie jetzt nach und nach real passiert, was damals falsch verstandene Satire war? Immer mehr Menschen schimpfen auf ihre Eltern/Großeltern/Nachbarn ab einem gewissen Alter, weil sie noch selber einkaufen gehen – und dass, wo man doch nur um sie zu schützen nicht mehr arbeiten und feiern darf. Wenn man Verständnis zeigt, wird man quasi als Mörder oder zumindest als leichtsinnig dargestellt – das ist mir bereits mehrfach passiert.

Ich gebe zu: am Anfang hab ich mich auch ausgeheult bei meiner Freundin. Weil meine Mutter selbst einkaufen gehen wollte, weil mein Vater fand, es stehe ihm zu, selbst in die Apotheke zu gehen, weil, weil, weil…

Nun sind sie brav. Aber meine Einstellung hat sich deutlich geändert:

Meine Eltern sind 89 und haben 4 Kinder und 10 Enkel. Diese melden sich mehr oder weniger regelmäßig telefonisch oder schreiben Karten, und sonntags abends spielen wir gemeinsam mit der Oma Schreibspiele über Skype. Ich, die ich im Haus wohne, trinke jeden Morgen eine Tasse Kaffee mit ihnen und bete mit ihnen in Hausgottesdiensten – eine strickte Trennung wäre eh nicht möglich. Dafür macht mein Mann die Außenkontakte, und ich verlasse das Haus nur noch zum Walken/Spazieren/Radeln. Es geht einigermaßen gut, meine Eltern wissen sich allerdings im Zweifamilienhaus mit Garten auch auf der Sonnenseite der Senioren.

Sie begreifen langsam, und das führte auch zu anfänglichen Streitigkeiten, dass sie ihre Freunde, ihre Geschwister, ihre Enkel und einen Teil ihrer Kinder und Schwiegerkinder möglicherweise nie mehr real treffen werden, und dass macht mürbe. Man kann sich das schön reden, man kann resignieren. Wenn man gut aufgefangen ist, so wie bei uns, ist das vielleicht sogar noch einigermaßen ertragbar. Aber wer hat schon so einen Luxus? Viele leben in Wohnungen, teils ohne Balkon. Viele haben keine Kinder oder Enkel, die sich ständig melden. Viele sind schlicht und ergreifend alleine oder zu zweit einsam. Und was ist die Perspektive? Wann sehen Sie ihre Freunde, Nachbarn, Verwandten wieder?
Wenn ich, Mitte/Ende 50, darüber nachdenke, was ich nachher tun werde, so ist das relativ sicher, dass, sollte ich nicht an Corona sterben, es für mich ein nachher geben wird (ich kann natürlich auch morgen überfahren werden, ich weiß…). Meine Eltern erleben vielleicht das letzte Frühjahr, den letzten Sommer, quasi eingesperrt, wenn auch in den eigenen vier Wänden. Andere erleben es in der engen Wohnung. Kann man da wirklich sagen: sie kapieren es nicht, wenn sie doch noch das Haus verlassen, um wenigstens ab und zu mal einen realen Menschen zu sehen? Ich finde: Nein. Es sind erwachsene Menschen, im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, und wir bevormunden sie und sperren sie ein, ohne Hoffnung auf Besserung, ohne Perspektive. Auch ich musste das erst mühsam lernen, dass wir uns als Gefängniswärter aufspielen aus ihrer Sicht…

Mein Vorschlag: bevor man sich das nächste Mal aufregt über „die Alten, die es nicht kapieren“: redet mit ihnen. Hört Euch an, was sie zu sagen haben. Und habt Verständnis. Vielleicht reicht es ja bereits, täglich zu telefonieren. Oder beim Überbringen der Einkäufe am Zaun stehen zu bleiben und in gebührender Entfernung ein wenig zu plaudern. Wichtig ist: nicht schimpfen, sondern verstehen. Dann wird das Miteinander sicher auch wieder ein besseres werden.  

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Palmsonntag

Jesus zieht in Jerusalem ein. Menschenmengen jubeln im zu, Hosianna, legen ihm Palmwedel und Kleider zu Füßen – quasi als roten Teppich. Jedes Jahr am Palmsonntag feiern wir das. Wir singen Hosianna dem König Davids und jubeln, so, wie die Menge damals vielleicht. Wir wissen, wie es weitergeht – aber im Jubelgeschrei geht alles unter. Jesus zieht ein wie ein König in die Stadt, in der er den Tod eines Verbrechers sterben wird – ist es die gleiche Menge, die ihm heute zujubelt und später seine Kreuzigung fordern wird? Egal, heute ist Palmsonntag, und der König zieht ein in seine Stadt, triumphal, wie es sich für einen König gehört. Wobei – ein König reitet auf einem Pferd, auf einem Schlachtross. Jesus dagegen auf einer Eselin mit Füllen – man mag fast meinen, eher die Karikatur eines Königs – er ist kein König des Schlachtfeldes, er ist ein König des Friedens. So weit, so altbekannt, so alljährlich gefeiert, von Menschenmengen verteilt über den ganzen Erdkreis.

Nur: dieses Jahr ist es anders. Angefangen mit dem Vatikan wird es wohl in den wenigsten Pfarreien dieser Erde Palmprozessionen geben, werden wohl in den wenigsten Pfarreien dieser Erde Menschen gemeinsam Palmsonntag feiern: Corona hat uns fest im Griff, sozialdistancing heißt das neue Wort, dass wir alle schmerzhaft lernen müssen. Die einen früher, die einen später: Versammlungen sind rund um die Welt nicht mehr vereinend im Glauben, sondern möglicherweise tödlich. Kann man jetzt überhaupt Palmsonntag feiern, kann man die Kar- und Ostertage überhaupt feiern?

Ich meine: ja. Für mich steht Palmsonntag immer schon für das Wechselbad der Gefühle, durch das wir Menschen gehen und Jesus, ganz Mensch, eben auch: mal hoch gefeiert, mal tief gefallen und verachtet, mal über alles triumphierend.

Hier zieht einer ein, hier wird einer gefeiert, der genau das weiß: er weiß, wie es weitergehen wird, er weiß, dass diese Feierei vorübergehend ist, ein Hoch, dass auf tönernen Füßen steht. Er weiß aber auch, dass auch das schreckliche vorbeigehen wird, dass alles endlich ist.

Wir können nicht gemeinsam seinen Einzug nach Jerusalem feiern – das schmerzt. Aber das hilft vielleicht auch, sich daran zu erinnern, genau hinzusehen: mehr Schein als Sein, beabsichtigt bereits durch die Wahl des Esels. Es hilft, darüber nachzudenken, was Palmsonntag eigentlich bedeutet, jenseits aller Feierlichkeiten und Hosiannarufe. In der katholischen Liturgie wird am Palmsonntag zum ersten Mal die Passion gelesen. Damit wir nicht beim oberflächlichen Hosianna stehen bleiben. Ich meine: In einer Zeit, wo wir nicht real zusammenkommen können, können wir uns vielleicht sogar intensiver zusammenfinden: in dem wir getrennt, aber doch gemeinsam beten, in dem wir getrennt aber doch in der Gemeinschaft vereint den Palmsonntag feiern, in dem wir vielleicht anders aufeinander zugehen als sonst: bedingt durch die Trennung viel intensiver, viel offener, in Telefonaten, in Briefen, in dem wir die Möglichkeiten nutzen, die uns bleiben. Sorgen wir gerade heute für Gemeinschaft mit denen, die es brauchen. Dann ist bleibt unser Hosianna nicht oberfllächlich, dann feiern wir tatsächlich den, der da kommt.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Euch allen einen gesegneten Palmsonntag.