Tag der deutschen Einheit

Ich sitze an meinem Schreibtisch und frage mich: was bedeutet er für mich? Klar, vor 30 Jahren, die Berichterstattung über die Montagsdemos, die ging mir unter die Haut. Die DDR kannte ich bis dahin nur von 2 Kurzausflügen nach Ostberlin. Da war sie mir deutlich fremder als das westeuropäische Ausland, dass ich bis dahin kennengelernt hatte. Ich wusste, dass meine Patentante dort Freundinnen hatte und schon mal Pakete schickte, irgendwelche kirchlich engagierten Frauen, die sie irgendwann mal irgendwie kennengelernt hat. Ansonsten kannte ich da keinen – Ostverwandtschaft haben wir nicht.
Ich habe wie alle geheult und gehofft, dass es friedlich ausgeht, meinen Ältesten unter dem Herzen, und gewünscht, dass dieser nun fast 30jährige und alle, die ihm nachfolgen, in einer besseren Welt leben werden.

Aber sonst? Ich habe nun mehrfach Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen bereist, zuletzt waren wir in Brandenburg. Auch in Berlin war ich nun schon häufiger.

Vor einigen Jahren war ich in Leipzig zur Kur, irgendwie Exotin als „Westdeutsche“ und habe da einen netten Kreis von Menschen kennengelernt, vom 10 Jahre jüngeren Landwirt, der bei der Wende noch Jugendlicher war, bis zur 10 Jahre älteren Postbotin waren sehr verschiedene Menschen in diesem Kreis zusammen, religiös und nicht religiös, studiert oder nur einfacher LKW-Fahrer, und wir haben uns gut verstanden. Sie haben mir erzählt, wie sie die Wende aus ihrer Sicht erlebt haben, ich habe meine Seite dargestellt – und es war hochspannend. Aber eins ist mir damals aufgefallen: obwohl die Wiedervereinigung damals fast 20 Jahre her war, wussten sie auffällig wenig über „den Westen“. Sie hatten ihn bereist, die ein oder andere Sehenswürdigkeit gesehen – aber in ihren Köpfen war der Westen immer noch das gelobte Land, dass sie nie erreichen würden, wenn sie im Osten blieben. Ich habe dann von der Schule meiner Kinder erzählt, die Stadt hatte angeblich kein Geld zur Instandhaltung der Fenster bis diese dann aus den Rahmen fielen, habe Bilder gezeigt von westdeutschen Städten und Orten, die deutlich heruntergekommener waren als der Ort, wo wir uns befanden – sie verstanden es nicht. Ich wiederum verstand nicht, wieso man so schnell für den Anschluss gewesen sein konnte, wegen der D-Mark und wegen der Rosenduftseife…

Der ein oder andere Kontakt hat sich, wenn auch lose, über Facebook und WhatsApp gehalten oder wiederaufgefrischt. Wir haben uns auch noch einmal getroffen – aber ich merke, die getrennte Vergangenheit trennt in vielen Teilen bis heute. Das kann man in Gesprächen merken – man fällt noch leicht in Formulierungen „Ihr“ und „wir“ und „bei Euch/bei uns“. Ich glaube nicht, dass alle, die in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen die AfD wählen, Rassisten sind. Ich glaube eher, dass die Angst vor den Fremden und vor dem Fremden real ist, ebenso wie die Angst, nicht mithalten zu können, abgehängt zu sein. Und Erzählungen und Argumente helfen da wenig – es geht irgendwie tiefer. Und es gibt ja Ungerechtigkeiten: sie verdienen immer noch weniger, bekommen weniger Rente etc. – 29 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es immer noch ein Sozialgefälle, trotz aller Gelder, die – aus unserer „westlichen“ Sicht – z.B. über den Soli in „den Osten“ geflossen sind.

Was also bedeutet mir die Einheit? Ich bin froh, dass es ein freies und demokratisches Deutschland gibt, mit funktionierender Presse- und Meinungsfreiheit, klar. Ich sehe mit Sorge, dass die AfD offensichtlich in den „östlichen Bundesländern“ einen größeren Nährboden hat als bei uns hier am Rhein. Aber dies gilt durchaus auch fürs reiche Bayern – auch wenn die Ursachen da andre sein mögen.

Ich habe allerdings die Hoffnung nicht verloren, dass wir dennoch ein Deutschland werden können – die Generation unserer Kinder kennt es nicht anders. Und dass das Ganze dann auch für Europa gilt und überhaupt für die ganze Welt: mein Traum ist, dass es überall auf der Welt möglich wird, in Freiheit und Demokratie menschenwürdig leben zu können.

Wenn der Tag der Deutschen Einheit ein Symbol dafür wird, dass alle Menschen das gleiche Recht zu leben haben und die Würde des Menschen unantastbar ist: ja, dann bedeutet mir der Tag der deutschen Einheit tatsächlich etwas.