Corona-Maßnahmen: Chancen?

Gedanken zur Kontaktreduzierung in Coronazeiten

Überlegungen zur (Trauer-)seelsorge und Beerdigungskultur und darüber hinaus.

Gerade verändern wir alle unseren Umgang mit anderen Menschen.

Und ich frage mich: Trauerseelsorge in Zeiten von Corona – geht das? Wie geht das?

Ein Trauergespräch am Telefon stellt mich vor ganz andere Voraussetzungen als in der realen Begegnung, es ist anstrengender, aber es gibt auch eine Chance: ich muss noch mehr auf Zwischentöne hören, auf das, was ungesagt bleibt, ich merke, dass ich mich deutlich mehr konzentrieren muss auf meine Gesprächspartner. Ich muss auch – bei mehreren Hinterbliebenen – möglicherweise mehrere Telefongespräche führen, die sich vielleicht an der ein- oder anderen Stelle doppeln, die aber den Charme haben, dass man vielleicht freier reden kann über die Oma, wenn die Mutter nicht dabei ist, über den Vater, wenn dessen Lieblingskind (oder aber das schwarze Schaf) nicht neben einem sitzen…

Wie begrüße ich als Beerdigungsdienstleiterin die Menschen vor der Trauerhalle, denen ich sonst die Hand gedrückt hätte, richtig? Es ist anders, aber auch eine Chance – manchmal gibt man den Menschen die Hand und ist doch schon in Gedanken beim nächsten – das geht jetzt nicht. Ich muss den Menschen in die Augen gucken, sie ehrlich anlächeln – so, dass auch meine Augen mitlächeln, falls ich eine Maske trage. Das heißt, ich muss mich dem Menschen, den ich begrüße, deutlich mehr zuwenden…

Generell ist die Frage, wie man zu fremden, aber vielleicht auch zu vertrauteren Menschen einen Kontakt aufnehmen kann, wenn man Abstand halten muss und Maske tragen, der über einen schnellen Gruß.

Ich glaube, wir sind in unserer schnelllebigen, bunten Welt gar nicht mehr darauf gepolt, uns ganz auf unser Gegenüber zu konzentrieren, wir sind schnell mal abgelenkt, weil wir gewohnt sind, dass die Welt um uns so funktioniert: Dauernd ändert sich was, dauernd müssen wir neue Sinneseindrücke verkraften, das Handy piept, Schnellnachrichten, mal eben gucken…
Ich lerne gerade neu, mich auf einen Menschen zu konzentrieren. Natürlich habe ich auch früher schon zugehört, mich auf die Menschen eingelassen. Aber es ist nun deutlich anders: eine kleine Ablenkung beim Telefonat, und man verliert den Faden. Wenn das Lächeln die Augen nicht erreicht, erkennt man es bei Maskenträgern nicht. Eine Begrüßung funktioniert nur noch, wenn man sich drauf konzentriert und nicht schon in Gedanken beim nächsten ist. Das alles ist auch eine Chance, finde ich: man muss mehr Antennen ausstrecken, um mitzukriegen, was der oder die andere fühlt, was zwischen den Zeilen steht – und das ist eine Wohltat. Es tut gut, wenn Menschen sich konzentrieren auf den oder die eine Gesprächspartner*in, die gerade wichtig sind – man fühlt sich deutlich anders wahrgenommen. Und es reicht nicht mehr, oberflächlich zu agieren, nur mit dem Mund zu lächeln – wenn Mimik wegfällt, werden die Augen noch mehr zum Spiegel der Seele.

Vielleicht hilft uns das, wieder authentischer zu werden, inne zu halten, konzentrierter bei der Sache zu sein – es wäre schön, wenn das über die Krise hinaus hielte.

November 2020

„Im Nebel ruhet noch die Welt“ – so beginnt ein Herbstlied, dass ich im Schulchor kennengelernt habe. November, Novembernebel, Herbststürme, frühe Dunkelheit – der November ist nicht unbedingt mein Lieblingsmonat. Aber es gibt Highlights: Martinsumzüge, Weihnachtsbasare, vielleicht auch schon ein Weihnachtsmarktbesuch, gemütliche Abende mit Glühwein, Kerzenschein und guten Freunden …

So könnte dieser Artikel anfangen, wenn nicht, ja wenn es nicht der November 2020 wäre, der heute beginnt. Lockdown light oder wie immer man das nennen will: extreme Kontaktbeschränkungen, Gastronomie, Museen, Theater, Kinos und „Vergnügungsstätten“ geschlossen, Martinszüge abgesagt, Weihnachtsmärkte ebenfalls.

Also nochmal von vorne: „Im Nebel ruhet noch die Welt“, so beginnt ein Herbstlied, dass ich im Schulchor kennengelernt habe. November, Novembernebel, Herbststürme, frühe Dunkelheit – schon unter normalen Umständen ist der November nicht unbedingt mein Lieblingsmonat. Aber das Lied geht weiter: „bald siehst Du, wenn der Schleier fällt…“ Wir wissen alle: es gibt im November Tage, da fällt der Schleier nicht. Da ist es den Tag über dämmrig, man sieht nix, und ohne elektrisches Licht geht gar nix. Es ist der Monat des Totengedenkens, der Volkstrauertage – irgendwie alles ziemlich trübe. Und in diesem Jahr sicher deutlich trüber als sonst. Aber: irgendwann fällt er doch, der Schleier. Irgendwann sieht man sie doch, die Sonne, manchmal nur ein kleiner blauer Himmelsfleck, ein paar Strahlen durch ein Wolkenloch, manchmal auch deutlich mehr – und die muss man dann genießen, diese Aufheiterungen.

Und so sollten wir es jetzt machen: Wolkenlöcher suchen. Manche kann man selbst herstellen: Endlich mal Zeit, auf dem Sofa zu sitzen und ein gutes Buch zu lesen. Ein Telefonat mit der besten Freundin, während man mit heißem Tee in eine Decke gewickelt auf dem Sofa sitzt. Oder man ruft jemanden an, von dem man weiß, er oder sie hat drauf gewartet – dann ist man selbst Wolkenloch für andere. Wenn man spazieren geht, findet man vielleicht ein besonders hübsches Herbstblatt. Oder, wie früher als Kinder, Kastanien, die mit ihrer glatten Haut auch als Handschmeichler durchgehen. Vielleicht nutzen wir die moderne Technik, um das, was uns fehlt zu kompensieren: Eine Skype Verabredung, gerne zum virtuellen Kaffee- oder Glühweintrinken, damit man sich sieht beim Ausquatschen. Man kann übers Internet zusammen spielen: Sonntags abends treffen sich in unserer Familie Kinder und Enkelkinder mit der Oma, um über Skype 2 Stunden Stadt-Land-Fluss zu spielen, und sie hat so Kontakt zu den Enkeln, die sie wegen Corona nicht besuchen können. Vielleicht lächeln wir beim Spaziergang jemanden an – und der lächelt überrascht zurück. Das wärmt das eigene Herz ungemein.

Ich bin sicher, es gibt noch ganz viele andere Wolkenlöcher, für jeden und jede ganz individuell. Das erste Lächeln des Tages bekomme ich von mir selbst, morgens, im Badezimmerspiegel, auch wenn’s manchmal schwerfällt. Das hebt die Laune schon ungemein. Und dann gibt es einen ganz einfachen Trick, sich selbst zu zeigen, dass es positive Momente gibt: Man nehme 7 Bohnen oder Murmeln oder was auch immer und stecke sie in die linke Hosentasche. Immer, wenn einem etwas Schönes begegnet, und sei es auch noch so winzig, wechselt man dann eine Bohne auf die andere Seite. Man wird aufmerksamer, denn Ziel ist es natürlich, möglichst viel Bohnen in die andere Tasche zu tun. Abends kann man sie zählen und merkt: ganz so nebelig war es nicht, es gab Wolkenlöcher. Vielleicht unterstützt man das Ganze mit einem Positivtagebuch. Oder, wenn man kann, mit einem Dankbarkeitsgebet.

„…herbstkräftig die gedämpfte Welt in warmem Golde fließen“ – ich wünsche Euch/Ihnen und mir, dass wir das sehen können, jeden Tag, auch in diesem November. Versuchen wir’s. Gutes Gelingen.

Gedanken zu Corona

Corona, Corona über alles – sorry, so kommt es mir inzwischen vor.

Vorab: ich bleibe fast immer zu Hause, mein Mann, der eh arbeitet, macht die Außenkontakte.

Wir haben meine Eltern im Haus, wir sind vorsichtig.
Ich hadere auch nicht mit all den Maßnahmen an sich, die angeordnet werden. Ich habe weder das Gefühl, in einer Diktatur zu leben, noch dass die Meinungsfreiheit abgeschafft ist.
Dennoch scheint es verpönt, sich Gedanken über die andere Seite der Maßnahmen zu machen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mich traue, diesen Text zu veröffentlichen.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich etwaigen Spott und Beschimpfungen, Ablehnung auch durch Personen, die ich schätze, aushalte.
Aber es muss erlaubt sein, über die Kehrseite der Maßnahmen nachzudenken.

Ich muss in letzter Zeit immer häufiger an ein menschenverachtendes Experiment denken, dass Friedrich II zugeschrieben wird: er ließ Babies in zwei Gruppen aufteilen, die eine ohne Ansprache und mehr als die notwendigsten Berührungen, die anderen mit liebevollen Ammen, die sich „normal“ um sie kümmerten. Die Kinder aus der ersten Gruppe starben.

Das Beispiel ist weit hergeholt, keine Frage. Aber es zeigt doch deutlich, was in unserer Gesellschaft vielen Menschen seit Wochen fehlt: direkte, reale menschliche Zuwendung. Ich habe einen Mann, der mich in den Arm nimmt, und meine Eltern im Haus. Ich gehe regelmäßig zur Physiotherapie – damit hat es sich dann. Immerhin habe ich in der Zeit mehrere Freundinnen und Freunde und auch jedes meiner Kinder einmal auf Abstand sehen können – ich bin also deutlich glücklicher dran als viele andere.
Und genau darum geht es mir jetzt: die Familien, die am Ende ihrer Kräfte angekommen sind. Die Kinder, die jetzt noch mehr abgehängt sind, weil ihre Eltern ihnen nicht bei der „Schule zu Hause“ helfen können – oder denen gar das Equipment fehlt, um am virtuellen Klassenzimmer, so es denn existiert, teilnehmen zu können. Die Familien, in den Gewalt eskaliert, die Opfer, die ihren Peinigern nicht mehr wenigstens stundenweise entfliehen können, die Menschen, die sich vor Ausweglosigkeit das Leben nehmen. Die, die Depressionen entwickeln und die, deren physische Erkrankungen sich verstärken. Die an anderen Krankheiten erkrankten, die sich aus Angst vor Ansteckung nicht zum Arzt trauen, deren Operationen verschoben wurden, die sich lebensnotwendigen Behandlungen nicht unterziehen können – aus Angst oder weil der Arzt den Termin abgesagt hat – letzteres geschieht auch in vielen Fällen bei doch angeblich so notwendigen Vorsorgeuntersuchungen.
Die, die nicht damit klarkommen, dass ihr Therapeut nur noch Bildschirmtherapie anbietet. Die, die an Einsamkeit zu Grunde gehen, die alleine sterben, weil (längerer) Besuch in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen auch im Sterbefall nicht erlaubt ist, und alle, die einen geliebten Toten nicht würdig beerdigen können und damit nicht gut trauern vermögen.
Ich könnte diese Liste jetzt noch endlos weiterführen, es fehlen noch alle die, für die die Krise vielleicht das wirtschaftliche Ende bedeutet, und, und, und.
Bei all dem mag es sich um Minderheiten handeln – zusammen sind es viele menschliche Schicksale, die man sicher nicht aufrechnen kann gegenüber Coronatoten oder solchen, die bleibende Schäden zurückbehalten: aber Tote sind tot, egal auf welche Art und Weise sie gestorben sind und bleibende Schäden sind auf beiden Seiten zu erwarten.
Vorsicht: ich will nicht, dass jetzt alle Maßnahmen ausgesetzt werden und alles wieder wird wie vorher. Was ich möchte, ist, dass darüber nachgedacht wird. Und was ich mir wünschen würde, ist, dass die Wissenschaftler, Politiker und Journalisten, die darüber nachdenken (und ich meine ausdrücklich nicht die Verschwörungstheoretiker, genauso wenig wie die, die meinen, die „Alten“ müssten halt „geopfert werden“) genauso ernst genommen werden wie die Virologen – denn es geht beiden um die Menschen – oder zumindest auch um die Menschen.
Das das nicht geschieht, sieht man daran, dass für Fußballer alle drei Tage eine Testung ins Auge gefasst wird, damit der Spielbetrieb wieder losgehen kann – aber nicht einmal für Kontaktpersonen, wenn diese keine Symptome haben: ich dachte, wir tragen Masken, weil auch symptomfreie Menschen ansteckend sein können?

Und dann ist da noch die rechtliche Seite. Immer mehr Gerichte entscheiden, dass die Maßnahmen so in ihrer Gänze, ohne definierten Endpunkt, ständige Überprüfung ihrer Notwendig- und Verhältnismäßigkeit, nicht rechtens sind – und werden dafür ebenfalls an den Pranger gestellt.
Gerade in diesem Bereich herrscht Willkür: warum ist eine Menschenkette auf Abstand und mit Maske im Braunkohlerevier verboten, rechte Demonstranten aber lässt man gewähren? Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

Nochmal: ich rufe nicht danach, sofort alles abzubrechen. Ich möchte genau wie jeder andere, dass unser Gesundheitssystem in der Lage bleibt, die Pandemie zu beherrschen.
Für mich sind Virologen Wissenschaftler, die nicht dauernd ihre Meinung ändern, sondern die auf Grund neuer Erkenntnisse zu neuen Einschätzungen kommen.

Ich behaupte auch nicht, die Lösung zu kennen.

Was ich möchte, ist, dass die Diskussion sachlicher wird, das beide Seiten in den Blick genommen werden und somit immer mehr Anordnungen auf Sinn, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft werden – und das fortdauernd.

Auferstehung 2020

Ostern 2020

Corona hat die Welt im Griff

Kotaktsperren

Ausgangssperren

Haltet Abstand

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern 1944

Der zweite Weltkrieg hat die Welt im Griff

Ausgangssperren

Verdunkelungen

Bomben fallen

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern im 20./21. Jahrhundert

Kriege und Klimawandel halten die Welt im Griff

Nicht genug zu essen

Nichts zu trinken

Dürrekatastrohphen

Schüsse fallen

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern zur Zeit Jesu

Sklaverei

Kriege

Unterdrückung

Hass

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Jesus ist auferstanden.

Für uns Menschen

Die Hoffnung auf Auferstehung

Steht über dem Tod.

Zeit, Ostern zu feiern

Heute, hier und jetzt:

Zeit, Ostern zu feiern.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Ostersamstag 2020

Ostersamstag – in der Kirche der Tag, an dem nichts passiert. In manchen Kirchen kann man das sogenannte Grab Jesu besuchen und daran beten – Gottesdienste gibt es bis zur Osternacht keine. Der Tag der Grabesruhe.

Für mich der Tag, der mit unserer jetzigen Situation vielleicht am meisten zu tun hat: die Grabesruhe, aber eine Grabesruhe, die endlich ist. Mit der Auferstehung verlässt Jesus das Grab. Wann wir die jetzige Grabesruhe verlassen, weiß keiner. Aber genau wie wir wissen, das Jesus auferstanden ist, wissen wir, dass die jetzige Situation mit ihren Kontaktsperren und Empfehlungen, doch zu Hause zu bleiben, mit dem Verbot von Veranstaltungen und Gottesdiensten, geschlossenen Schulen und Unis, aber auch geschlossenen Restaurants, Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen, Besuchsverbot in Senioren- und Pflegeheimen und in den allermeisten Krankenhäusern auch auf der Palliativstation, die uns allen so sehr zusetzt, egal, ob wir mit den Maßnahmen bis ins letzte einverstanden sind oder nicht, dass diese Situation ein Ende haben wird. Das ist die Hoffnung, die ich allen wünsche: irgendwann ist das alles vorbei. Vielleicht erlebe ich es nicht mehr, ist ein Gedanke, der wohl vor allem die Ältesten unter uns nicht fremd ist, aber sicher ist, es wird irgendwann vorbei sein.

Und das ist das, was Jesu Grabesruhe mit den jetzigen Zeiten verbindet: es gibt eine Hoffnung. Sei es nun auf Herdenimmunität, Medikament oder Impfstoff – es wird ein Ende kommen, und es wird irgendwie weitergehen.

Die Jünger hätten diese Hoffnung haben können. Schließlich hatte Jesus oft genug davon gesprochen. Sie hatten sie aber nicht – sie weinten um ihn. Auch da sehe ich eine Perspektive: wir wissen, dass ein Ende kommen wird – nur nicht wann und wie. Aber wir haben Angst: Angst davor, die Zeit nicht zu überstehen, Angst um Angehörige oder uns selbst, Angst vor der Zukunft. Genau, wie die Jünger damals. Diese Angst ist real, sie ist auch berechtigt, ich selbst habe sie durchaus auch. Aber ich möchte Mut machen, die Hoffnung jenseits der Angst zu finden, die Hoffnung auf eine Auferstehung zum Leben nicht nur nach unserer Zeit, sondern hier in dieser Welt. Die Hoffnung darauf, dass das Leben wieder kommen wird, anders, aber Leben. Das kann die Sorge um die Zukunft nicht ausräumen. Die Jünger haben sich weiter versteckt, auch, als sie wussten, das Jesus auferstanden ist, und wir werden uns weiter Gedanken machen müssen darum, wie es weitergehen kann.

Aber ich hoffe einfach, dass es uns gelingt, auf diesem Weg alle mitzunehmen. Alle mitzunehmen zu dem Silberstreif am Horizont, der da heißt: Es wird weitergehen. Irgendwie.

Ich wünsche Euch allen und mir, dass es uns gelingt, die Hoffnung über die Angst zu stellen, dass es uns gelingt, getragen von dieser Hoffnung, weiter alles dafür zu tun, dass möglichst viele Menschen hier in diesem irdischen Leben überleben können – denn das ist zutiefst christlich.

Und allen, die darunter leiden, die Osterfeiertage nicht wie gewohnt gemeinsam begehen zu können, die meinen, Ostern wäre abgeschafft, wünsche ich, dass sie erkennen können, dass Jesus keine Gottesdienste braucht, keine großen Foren, damit er auferstehen kann. Es war keiner dabei. Er war ganz alleine in seinem Grab, und ist dennoch auferstanden.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen eine Spur dieser zu tiefst christlichen, aber doch auch so menschlichen Hoffnung, damit die Angst Euch nicht im Griff hat.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Karfreitag 2020

Heute ist alles anders als sonst. Der „stille“ Karfreitag ist so still wie alle Tage vorher und auch nachher: Restaurants, Cafés, Kino, Freizeiteinrichtungen: längst geschlossen. Geschäfte – die meisten haben zu. Sogar Spielplätze sind zu, Treffen mit mehreren Personen verboten: stiller, als jeder stiller Feiertag sonst sein könnte.

Und vielen Christen fehlt etwas: der Gottesdienst, in dem die Passion Christi bedacht wird, traditionell oder modern, im Kreuzweg in der Kirche oder auch in einer Prozession, etwa auf die Halde.

Aber die Passion bedenken kann man auch ohne Gottesdienst. Vielleicht kommen einem sogar ganz neue, eigene Gedanken – die einem durchaus weiterhelfen können

Wir bedenken die Passionsgeschichte normalerweise aus 2 Richtungen – der momentanen, also dem Leiden und Sterben und, davon kann sich keiner freisprechen, aus der Osterperspektive.

Deshalb möchte ich hier auch zu beidem etwas bemerken, denn es gehört zusammen:
Die Theologen streiten sich, wie das „Jesus starb für unsere Sünden“ zu erklären ist, zu verstehen ist und ob man das überhaupt so sehen darf. Für mich war immer schon ein völlig anderer Aspekt viel wichtiger: Jesus ist seinen Weg konsequent gegangen bis in den Tod. Er hat das getan, was ihm wichtig war: Gottes Wort als frohe Botschaft (nicht als Drohbotschaft, das ist ja gerade das Neue, Schöne!) verkündet und bedingungslose Gottes- und Nächstenliebe nicht nur gepredigt, sondern auch praktiziert. Gerade dies letztere, dass Er lebte was Er sagte, war ja das, was die Menschen um ihn faszinierte – und was ihnen Angst machte: da war einer, der predigte nicht Wasser, um selbst Wein zu trinken – er hatte überhaupt nichts gegen das gute Leben, solange es aus dieser Liebe heraus keinem anderen schadet. Er war ganz Mensch: er hatte Angst vor dem Sterben, er war verletzt, als seine engsten Freunde nicht bei ihm warteten, sondern einschliefen, aber er hatte die Hoffnung, dass es stimmt, was er predigte: dass Gott ihn nicht hängen lassen würde. Trotz seines Todes. Das ist für mich die Botschaft der Passion schlechthin (ja, möglicherweise nicht gut katholisch, aber dennoch): das Jesus sich nicht hat Abschrecken lassen von den Widrigkeiten des Lebens, von seinen Gegnern, ja, von dem Tod: er hat die Wahrheit gelebt, konsequent bis zum Ende.

Und da kann er uns Vorbild sein, ein Vorbild, was uns nicht erdrückt, sondern erhebt: Wir dürfen hoffen auf die Zukunft bei Gott, egal, was uns in dieser Welt widerfährt. Dabei will ich gar nicht sagen, der Tod ist egal, weil nach dem Tod ist alles besser. Auch, wenn ich an ein Leben bei Gott glaube: dazu ist mir das Leben auf dieser Erde viel zu wichtig. Und wenn es das nicht wäre: warum sollte Gott den Menschen erschaffen haben? Wir sind kein Spielzeug, wir sind das Ebenbild Gottes in dieser Welt. Aber das Vorbild Jesu hilft mir, konsequenter zu sein. Mich Anfeindungen entgegenzustemmen, zu tun, was ich glaube, dass es auch getan hätte.

Das ändert nichts daran, dass ich durchaus meine Bequemlichkeit dem, was eigentlich zu tun wäre, vorziehe. Dass ich manchmal resigniere und meine, eh nichts ausrichten zu können. Dass ich manchmal die Freundin bin, die schläft – und manchmal der Pharisäer, der da, wo es konkret wird, wegsieht. Es ändert nichts daran, dass ich manchmal die Regeln über den Menschen stelle, wo doch umgekehrt richtiger wäre. Aber: es ändert etwas an meiner Einstellung. Ich kann mein Tun immer wieder überprüfen, neujustieren und ändern. Auch, wenn es vielleicht nur vorübergehend ist. Denn das ist das Schöne am Christsein: ich kann jeden Tag umkehren, immer wieder neu.

Und wem jetzt der Gottesdienst mit Passionslesung fehlt:
Lest sie doch, Ihr findet sie in der Bibel z.B. unter Johannes 18 folgende (die wird in der katholischen Kirche meines Wissens immer an Karfreitag gelesen), Markus 14 ff, Lukas 22 ff und Matthäus 26 ff.
Vielleicht mit verteilten Rollen, wenn Ihr zu mehreren seid, so werde ich es mit meinen Eltern machen. Und vielleicht wird aus Eurem Karfreitag dann doch noch ein richtiger Karfreitag: Gottesdienst geht auch mit wenigen. Und für die Katholiken unter Euch, die vielleicht Bedenken haben: Karfreitag „geht“ auch ohne Priester. Auch zu normalen Zeiten.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Gründonnerstag 2020

In der katholischen Kirche wird erstaunlicherweise an Gründonnerstag das Evangelium der Fußwaschung gelesen, nicht das des letzten Abendmahles, obwohl an diesem Tag genau darum geht: das letzte Abendmahl, bei dem Jesus uns Christen auffordert, in der Erinnerung an ihn gemeinsam Mahl zu halten, für Katholiken die Einsetzung der Eucharistie.

Sicher, die Fußwaschung gehört dazu. Wenn man in Judäa zu einem Treffen ging oder nach Hause kam, dann wurden, erst recht vor einem Mahl, zunächst die Füße gewaschen, waren die Straßen doch staubig und feste Schuhe unbekannt.  Allerdings hatte man in den besseren Häusern dafür Diener, man machte sich selbst die Hände nicht schmutzig. Es war sicher kein gehobener Dienst, jemandem die Füße zu waschen, sondern eher am unteren Ende der Dienstskala angesiedelt.

Und jetzt das ungeheuerliche: Jesus, der Herr und Meister, den die Jünger Rabbi nennen, der tut diesen Dienst für seine Jünger. Er hockt sich vor sie hin, wäscht ihre Füße, ganz, als wäre er ihr niederrangigster Diener. Ich finde das sehr eindrucksvoll, zeigt es doch eigentlich die Quintessenz aus Jesu Leben: der Dienst am Menschen steht im Mittelpunkt, nicht die Stellung, die man einnimmt. Es gibt keinen Dienst, der zu gering ist, als dass man ihn seinem Mitmenschen tun kann. Jesus ist sich für nichts zu schade. Und das lässt mich auf unsere jetzige Situation schauen: es gibt eine Menge Menschen, deren Dienst wir im normalen Leben nicht wirklich bemerken: Fachpflegekräfte, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer, Müllwerkerinnen und -werker, Briefträgerinnen und Briefträger, Paketboten, Reinigungskräfte – jeder und jede von Euch und Ihnen wird die Liste leicht ergänzen können, denn jetzt bemerken wir sie, und wir merken, wie wichtig all diese Menschen für unser Leben sind. Menschen, denen wir sonst die lebensnotwendige Anerkennung nicht zollen, bei deren Beruf oft ein „nur“ davorsteht, zumindest in Gedanken, oder die wir, nehmen wir die Lehrer, alle gerne beschimpfen, weil wir es doch besser könnten…

Wenn wir also das Evangelium von der Fußwaschung lesen, dann zeigt es uns: alle Menschen sind gleich. Es gibt keine „niederen Dienste“, jeder trägt an seiner Stelle zum Gemeinwesen bei, er und seine Dienste sind gleichwertig mit den Berufen, denen wir Anerkennung zollen, ja vielleicht sogar wertvoller. Wenn wir das lernen und beherzigen, dann haben wir viel verstanden. Und ganz vielleicht führt das dann ja auch dazu, dass diese unverzichtbaren Menschen endlich besser bezahlt werden?

Nocheinmal zum Kern des heutigen Tages, dem Abendmahl. Sicher schmerzt es nicht nur mich, dass wir nicht gemeinsam Mahl halten können, heute, an Gründonnerstag, dem Tag, an dem mich als Kind schon die Worte unseres Priesters: „und das ist heute“ fasziniert haben: weil es Jesus und Jesu Leben mehr als alles andere hineinholt in unsere Welt.

Wir können das Abendmahl dennoch begehen. In dem wir vielleicht im Brief des Paulus an die Korinther lesen: (1 Kor 11,23-26)

Schwestern und Brüder! Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch dann überliefert habe: Jesus, der Herr, nahm in der Nacht, in der er ausgeliefert wurde,
Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und sagte:
„Das ist mein Leib für euch.
Tut dies zu meinem Gedächtnis!“
Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch
und sagte:
„Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut.
Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!
Denn sooft ihr von diesem Brot esst und aus dem Kelch trinkt,
verkündet ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.“

Und dann Brot und Wein, oder Traubensaft, segnen, wenn nicht alleine sind, teilen und genau das tun, was Jesus uns aufgetragen hat – egal, ob wir nun evangelisch oder katholisch sind.

Wir können Mahl halten in Seinem Gedenken – und das sollten wir auch tun.

Gedanken in der 3 Woche. Teil 3: Man sollte ein Problem immer von allen Seiten anschauen

Wir sind, es lässt sich nicht leugnen, in einer Krise. Alles dreht sich um Corona, wir bleiben zu Hause, und, um das vorab klarzustellen: ich finde das auch durchaus richtig.

Dennoch kommen mir immer wieder Bedenken: erstens bin ich der Ansicht, dass eine gesetzliche Grundlage fehlt, solch umfassende Grundrechtseinschränkungen zu erlassen: Das hierzu gerne zitierte Infektionsschutzgesetz erlaubt Grundrechtseinschränkung für Erkrankte bezüglich Meldung, Quarantäne, Berufsausübung. Die Einschränkungen, die hier alle Bewohner der Bundesrepublik betreffen und teilweise bis hin zum „Berufsverbot“ gehen, sind meines Erachtens davon nicht gedeckt. Schon gar nicht, weil es kein definiertes Ende dieser Maßnahmen gibt. Und das macht mir Sorge: ich würde mir wünschen, dass die Bundesregierung da rechtsstaatlich sauberer gearbeitet hätte, denn was einmal funktioniert hat, kann man wieder versuchen, auch wenn die Notlage vielleicht weniger drastisch ist.

Das Demonstrationen auch dann nicht zugelassen werden, wenn man sich an die entsprechend für das Bundesland geltenden Regeln hält, wie z.B. die geplanten Demos der Seebrücke zur Evakuierung der Flüchtlingslager am letzten Sonntag, finde ich erst recht erschreckend: ein wichtiger Baustein der Demokratie, eine wichtige Äußerungsmöglichkeit der Bürger wird außer Kraft gesetzt, obwohl die Einschränkung von Grundrechten immer einhergehen muss mit der Prüfung, ob es mildere Mittel gibt. Und die hätte es gegeben: nämlich die Auflage, sich an die vor Ort geltenden Einschränkungen zu halten (was die Demonstranten auch gemacht haben). Das muss doch möglich sein in einem Land, das so viel Wert auf seine gelebte Demokratie legt.

Was mir aber vor allem Angst macht, ist nicht die Tatsache, dass andere Menschen andere Rechtsauffassungen vertreten als ich. Was mir Angst macht, ist, dass Menschen, die laut darüber nachdenken, verprügelt werden (im Zeitalter von social distancing nur mit Worten, aber dennoch): Es scheint, man darf Zweifel nicht mehr äußern in dieser Welt.

Das gilt auch, wenn man verlangt, dass abgewogen wird, welche Folgen die Maßnahmen für andere haben. Ich will da gar nicht die Wirtschaft zitieren: Ärzte beklagen, dass Menschen nicht zum Arzt gehen, wenn sie an anderen Krankheiten und Symptomen leiden, aus Angst, sich mit Corona anzustecken. Die zu lebensnotwendigen Untersuchungen nicht kommen, weil Arztpraxen und Krankenhäuser als Seuchenherd gelten – oder weil sie die Ärzte nicht von „wichtigeren“ Dingen, also von Corona, abhalten wollen. Polizisten berichten von sprunghaft angestiegener häuslicher Gewalt – und sie erfahren, gerade jetzt, ja nur die Spitze des Eisberges Davon Betroffene und auch vom Missbrauch betroffene haben keine Möglichkeit mehr, ihren Peinigern zu entfliehen. Menschen mit Depressionen werden kränker, Menschen, die ihre Arbeit verlieren, oder die keine realen Kontakte mehr haben, erkranken psychisch und physisch. Kinder und Jugendliche, die dringend auf Begleitung z.B. der Familienfürsorge angewiesen sind, fallen zurück in alte Muster – und werden möglicherweise den Weg ins geordnete Leben nicht packen. Selbstmorde nehmen zu. Die Liste könnte ich jetzt endlos verlängern – wenn man darüber redet, wird man behandelt, als wolle man, dass Menschen an Corona sterben – und es wird einem gesagt, diese Kollateralschäden müsse man jetzt halt in Kauf nehmen.

Politikern und Fachleuten, die anfangen, darüber nachzudenken, wie es weitergehen kann, versucht man einen Maulkorb umzuhängen: es sei noch zu früh, darüber zu sprechen. Ich finde: nein, man muss drüber reden, man muss die Maßnahmen immer wieder überprüfen, selbst dann, wenn man meint, rechtlich wäre alles sauber. Weil diese Maßnahmen nur die allerletzte Möglichkeit sein können – man muss immer wieder schauen, ob mildere Mittel nicht auch zum Ziel führen und ob der Schaden immer noch kleiner ist als der Nutzen.

Nochmal: ich will nicht entscheiden müssen, wann wie welche Maßnahmen aufgehoben werden können oder müssen. Ich kann über die rechtlichen Grundlagen nachdenken, alles andere steht mir nicht zu. Aber ich möchte, dass das darüber Nachdenken nicht verpönt wird. Wir leben immer noch in einer Demokratie. Da muss das einfach möglich sein.

Gedanken in der 3.Woche. Teil 2: Der Blockwart in mir

„Da sitzen 3 auf der Bank, die sehen nicht so aus, als ob die in einen Haushalt gehören.“ – „Die Kinder sehen so aus, als wären sie nicht aus der gleichen Familie, die da mit dem einen „Vater“ spazieren gehen“. – „Die Mutter da nimmt einfach ihre Kinder mit in den Supermarkt“. – „Da vor dem Haus unterhalten sich drei – das ist doch verboten“. – „Bei unseren Nachbarn ist schon seit 2 Wochen Besuch aus Berlin, das erkennt man am Autokennzeichen“. – „Da sitzt doch tatsächlich die Tochter bei ihrer Mutter im Garten“ – „Großeltern fahren mit ihren Enkeln Rad – die haben wohl nix kapiert“ – „Da der Kunde kauft 2-mal Klopapier, das ist doch nicht erlaubt…“

So und so ähnlich schallt es durch die Welt in Zeiten von Corona. In den „sozialen“ Medien, durchs Telefon, schnell mal das Ordnungsamt angerufen oder lauthals seinen Unmut kundgetan.

Ich gestehe: manchmal sehe ich auch Dinge und frag mich „darf dat dat?“ Und manchmal packe ich mir an den Kopf und frage mich: warum?

Woran erkenne ich, dass Menschen zu einem Haushalt gehören? Wenn meine 3 Kinder hier noch leben würden, man würde es nicht erkennen. Der Vater? Nun, vielleicht hat er tatsächlich so viele Kinder, vielleicht passt er aber auch auf die Nachbarskinder auf, weil die Eltern beide arbeiten, aber mangels sogenannter „Systemrelevanz“ keine Betreuungsplätze haben? Die Mutter lebt allein mit ihren Kindern und kann nur einkaufen, in dem sie sie mitnimmt? Der Sohn aus Berlin ist zu seinen Eltern gezogen, um nicht alleine zu sein? Die Tochter zur Mutter? Der Käufer kauft für die Seniorin von nebenan mit ein?

Der Gipfel sind dann Fotos, die man beim Einkauf auf dem Markt macht oder auf dem Parkplatz am Badesee – muss man nicht selbst vor Ort sein, um solche Fotos zu machen?

Ja, es gibt Idioten, die halten sich an nix. Aber all die anderen, die könnten Gründe haben. Die man ja vielleicht im Gespräch erfahren könnte – aber man will ja keinen ansprechen.
Vor einigen Tagen ging es darum, man müsse Menschen, die trotz hohen Alters in den Supermarkt gehen, die vielleicht neben einem auf die Ware zugreifen, die Kinder auf dem Einkaufswagen sitzen, nur laut genug bloßstellen, dann täten sie das nie wieder. Tatsächlich? Ist Bloßstellen der richtige Weg? Wäre nicht vielleicht ein freundlicher Hinweis viel zielführender, weil der andere dann nicht das Gesicht verliert?

Und muss ich wirklich das Ordnungsamt zu meinen Nachbarn schicken, weil der Sohn dort eingezogen ist? Weil die alte Dame trotzdem Besuch ihrer Tochter bekommt, weil einer auf einer Bank sitzt und liest?

Ich würde mir wünschen, wir schalteten alle mal einen Gang zurück. Und dann würden wir die Sache so angehen:
1. Ich halte mich an die Regeln. 2. Wenn ich einen vermeintlichen Verstoß sehe, spreche ich die Menschen freundlich an – und höre mir an, was sie zu sagen haben. 3. Bevor ich das Ordnungsamt oder die Polizei rufe, oder die sozialen Medien kirre mache frage ich mich: wenn das, was ich da sehe, nicht 100prozentig richtig ist – welchen Schaden kann es wirklich anrichten? Oder: haben die anderen weniger Rechte als ich, jetzt hier zu sein?

Wenn wir alle aufeinander achten, freundlich miteinander umgehen und immer drauf bedacht sind, dass auch unser Gegenüber sein Gesicht wahren kann, dann läuft direkt schon viel mehr richtig.

Und, sind wir mal ganz ehrlich: Idioten wird es trotzdem geben. Es gibt immer Menschen, die sich nicht an Regeln halten – unsere Gefängnisse sind voll davon. Trotzdem stellen wir nicht die gesamte Menschheit unter Generalverdacht…

Gedanken in der 3. Woche. Teil 1: Schützenswerte Alte, die sich nicht schützen lassen wollen

Erinnert Ihr Euch noch an die ersten Tage dieses Jahres? Als der größte Aufreger ein Kinderlied war, das vermeintlich eine ganze Generation 55 – 120jähriger Frauen beschimpfte, insbesondere die, die im Krieg ihre Kinder allein großgezogen und gleichzeitig ebenfalls allein Deutschland wieder aufgebaut haben? Ich will die Diskussion hier nicht wiederholen, Ihr erinnert Euch, ich bin mir sicher.

Ich will eher auf eins hinweisen: Merkt Ihr, wie jetzt nach und nach real passiert, was damals falsch verstandene Satire war? Immer mehr Menschen schimpfen auf ihre Eltern/Großeltern/Nachbarn ab einem gewissen Alter, weil sie noch selber einkaufen gehen – und dass, wo man doch nur um sie zu schützen nicht mehr arbeiten und feiern darf. Wenn man Verständnis zeigt, wird man quasi als Mörder oder zumindest als leichtsinnig dargestellt – das ist mir bereits mehrfach passiert.

Ich gebe zu: am Anfang hab ich mich auch ausgeheult bei meiner Freundin. Weil meine Mutter selbst einkaufen gehen wollte, weil mein Vater fand, es stehe ihm zu, selbst in die Apotheke zu gehen, weil, weil, weil…

Nun sind sie brav. Aber meine Einstellung hat sich deutlich geändert:

Meine Eltern sind 89 und haben 4 Kinder und 10 Enkel. Diese melden sich mehr oder weniger regelmäßig telefonisch oder schreiben Karten, und sonntags abends spielen wir gemeinsam mit der Oma Schreibspiele über Skype. Ich, die ich im Haus wohne, trinke jeden Morgen eine Tasse Kaffee mit ihnen und bete mit ihnen in Hausgottesdiensten – eine strickte Trennung wäre eh nicht möglich. Dafür macht mein Mann die Außenkontakte, und ich verlasse das Haus nur noch zum Walken/Spazieren/Radeln. Es geht einigermaßen gut, meine Eltern wissen sich allerdings im Zweifamilienhaus mit Garten auch auf der Sonnenseite der Senioren.

Sie begreifen langsam, und das führte auch zu anfänglichen Streitigkeiten, dass sie ihre Freunde, ihre Geschwister, ihre Enkel und einen Teil ihrer Kinder und Schwiegerkinder möglicherweise nie mehr real treffen werden, und dass macht mürbe. Man kann sich das schön reden, man kann resignieren. Wenn man gut aufgefangen ist, so wie bei uns, ist das vielleicht sogar noch einigermaßen ertragbar. Aber wer hat schon so einen Luxus? Viele leben in Wohnungen, teils ohne Balkon. Viele haben keine Kinder oder Enkel, die sich ständig melden. Viele sind schlicht und ergreifend alleine oder zu zweit einsam. Und was ist die Perspektive? Wann sehen Sie ihre Freunde, Nachbarn, Verwandten wieder?
Wenn ich, Mitte/Ende 50, darüber nachdenke, was ich nachher tun werde, so ist das relativ sicher, dass, sollte ich nicht an Corona sterben, es für mich ein nachher geben wird (ich kann natürlich auch morgen überfahren werden, ich weiß…). Meine Eltern erleben vielleicht das letzte Frühjahr, den letzten Sommer, quasi eingesperrt, wenn auch in den eigenen vier Wänden. Andere erleben es in der engen Wohnung. Kann man da wirklich sagen: sie kapieren es nicht, wenn sie doch noch das Haus verlassen, um wenigstens ab und zu mal einen realen Menschen zu sehen? Ich finde: Nein. Es sind erwachsene Menschen, im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte, und wir bevormunden sie und sperren sie ein, ohne Hoffnung auf Besserung, ohne Perspektive. Auch ich musste das erst mühsam lernen, dass wir uns als Gefängniswärter aufspielen aus ihrer Sicht…

Mein Vorschlag: bevor man sich das nächste Mal aufregt über „die Alten, die es nicht kapieren“: redet mit ihnen. Hört Euch an, was sie zu sagen haben. Und habt Verständnis. Vielleicht reicht es ja bereits, täglich zu telefonieren. Oder beim Überbringen der Einkäufe am Zaun stehen zu bleiben und in gebührender Entfernung ein wenig zu plaudern. Wichtig ist: nicht schimpfen, sondern verstehen. Dann wird das Miteinander sicher auch wieder ein besseres werden.