Christliches Abendland – christliche Werte?

Wie ist es eigentlich um die christlichen Werte bestellt im sogenannten „christlichen Abendland“, das frage ich mich immer häufiger. Und da fiel mir der Evangeliumstext des heutigen Sonntags in die Finger:

(Lk 6, 27ff) „In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.

Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halte auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück. (… )

Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!

Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden.“

Ich finde, dieser Text ist, auch für Christen, eine Zumutung: das, was Jesus da von uns verlangt, was er uns zumutet, ist mehr, als einmal großherzig zu sein: er möchte, dass wir uns jedem Menschen gegenüber so verhalten, als sei er unser bester Freund, als sei er der, den wir am meisten lieben. Und das erscheint uns doch undurchführbar: lieben wir doch lieber da, wo wir auch geliebt werden, geben da, wo wir auch empfangen – und wenn es keine Gegengabe sein kann, so doch wenigstens Dank und Anerkennung. Selbst unsere Ehepartner und Freude sind uns manchmal zu lästig, zu anspruchsvoll, und wir haben nicht immer die Lust, bedingungslos für sie da zu sein. Aber jemanden lieben, dem wir allenfalls gleichgültig sind, den wir vielleicht sogar aus gutem Grund hassen? Jemandem vergeben, der uns zutiefst verletzt hat, der vielleicht unser Leben negativ beeinflusst hat? Wie soll das gehen?

Ich denke, keiner von uns ist in der Lage, Jesu Forderungen eins zu eins umzusetzen.  Also, ich jedenfalls nicht. Aber anfangen kann man ja damit, und ich finde, gerade in der heutigen Zeit bietet sich Gelegenheit genug:

Die Würde des Menschen ist unantastbar, so will es unser Grundgesetz. Darauf zu achten, wäre schon mal ein Anfang: sich klar zu machen, dass wir die Menschen nicht in Faule und Schmarotzer auf der einen und Fleißige und Leistungsträger auf der anderen Seite einteilen dürfen, auch nicht in Menschen, die ein Recht haben, hier zu leben, und die, denen wir es nicht zugestehen. Es macht keinen Unterschied, ob einer arm ich oder reich, welche Hautfarbe jemand hat, welcher Kultur er angehört, warum er seine Heimat verlassen muss oder zu verlassen müssen glaubt, freiwillig oder unfreiwillig, welchen Gott er anbetet: Wir alle sind Menschen, von denen Paulus sagt, dass sie nach dem Bild des irdischen, aber eben auch nach dem himmlischen Adam gestaltet sind. Wir sind, als Menschen mit unserer Würde, alle gleich. Und so sollten wir auch jedem Menschen begegnen, egal wie er zu uns steht: er ist ein Geschöpf Gottes.

All you need is love, haben die Beatles gesungen. Machen wir doch mal einen Test: lächeln wir jeden Menschen an, der uns begegnet, egal, ob wir ihn kennen, egal, ob wir ihn mögen. Wir werden feststellen: die meisten lächeln zurück (ich hab’s ausprobiert), ein ehrlich gemeintes Lächeln ist nämlich ansteckend. Und machen wir uns das zur Gewohnheit: so heben wir die allgemeine Stimmung, und das ist in einer Zeit, in der bestenfalls Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber herrscht, ungeheuer notwendig, erst recht in einer Zeit, wo Menschen in zwei (oder mehr) Klassen eingeteilt werden, in der wir Lebensretter als Kriminelle bezeichnen, weil sie Menschen zu uns bringen, die wir nicht haben wollen. Es ist notwendig in einer Zeit, wo Menschen, die sich Christen nennen, nichts dagegen haben, das Sterben im Mittelmeer „Abschreckung“ zu nennen, wo sie über Schülerinnen und Schüler herfallen, die sich doch nur Sorgen um die Zukunft unserer erde machen, in einer Zeit, in der jeder nur darauf schaut: was bring mir das. In einer Zeit, in der nicht einmal Christen noch eine Ahnung davon haben, was Jesus uns zumutet, wenn wir in seiner Nachfolge leben wollen.

Versuchen wir, anders zu sein, daran erkennbar zu sein, dass wir unser Gegenüber immer ernst nehmen, dass wir unser Lächeln in die Welt tragen und so ein Stück zum Frieden beitragen. Das wäre doch schon einmal ein Anfang, einer, der gar nicht schwer ist, der uns nichts kostet, außer ein Lächeln, und uns so viel schenken kann: das Lächeln anderer. Ein Schritt in die richtige Richtung, christliche Werte zu leben. Vielleicht geht es ja dann von allein weiter, bei uns, aber auch bei anderen: jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt.                         

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.