Gedanken zum Weltflüchtlingstag

Heute ist Weltflüchtlingstag.
Die Meinungen zu Menschen, die flüchten, gehen ja weit auseinander, ein Grund für mich, einmal darüber nachzudenken, warum wir die Geflüchteten so unterschiedlich sehen und behandeln.
Sicher, es gibt verschiedene Fluchtgründe. Jetzt gerade, die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, die haben unser volles Mitgefühl: sie sehen fast so aus wie wir, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben, sind oftmals gut ausgebildet, überwiegend christlich sozialisiert, flüchten vor einem unmenschlich grausamen Krieg und sind Europäer. Ach ja, und es sind überwiegend Frauen und Kinder, die Männer bleiben zurück, weil sie ihr Land verteidigen wollen. Auch, wenn dieses Wollen oft nicht freiwillig ist: sie werden einfach nicht rausgelassen. Die meisten würden gerne schnell wieder zurückgehen. Ach ja, und manche von ihnen haben bei uns ja schon in der Pflege gearbeitet, so im 3 Monatsrhythmus… Kein Vergleich z.B. zu den Syrern, die kamen (und kommen) zwar auch aus einem Land, in dem ein grausamer Krieg immer noch herrscht, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben wie wir und sind oftmals gut ausgebildet: aber sie sind keine Europäer, viele junge Männer sind darunter (weil die Flucht an sich lebensgefährlich war), und Christen scheinen auch die wenigsten zu sein: also werden die Ukrainer schnellstens anerkannt, erhalten Sprach- und Integrationskurse, dürfen kostenfrei den ÖPNV nutzen und bekommen Hartz VI – und (fast) keiner schimpft darüber, dass sie Handys dabei haben (manche sind sogar mit dem Auto hier!) – und viele Syrer harren bis heute in den Unterkünften aus, von (schneller) Anerkennung, die Grundlage für Sprach- und Integrationskurse ist, und Hartz IV keine Spur, genau wie bei anderen Kriegsflüchtlingen aus aller Welt.
Dann gibt es die Asylbewerber: da unterscheiden wir dann sehr genau, ob sie vom Staat politisch verfolgt werden oder vielleicht doch nur von terroristischen Banden oder den Bürgern des Staates: nur erstere haben einen Asylgrund, auch wenn sie ebenfalls nicht so vorrangig behandelt werden wie die Ukrainer. Wenn sie dagegen nicht von Seiten des Staates verfolgt werden, haben sie keinen, manchmal bekommen sie eine Aufenthaltserlaubnis, z.B. christliche Frauen aus Nigeria, die dort besonders gefährdet sind – ein christlicher Nigerianer, den ich kennengelernt habe, durfte dagegen – trotz nachgewiesener Folter durch Boko Haram – nicht bleiben…
Und wer sein zu Hause verlässt, weil der Klimawandel ihm kein Bleiben ermöglicht, weil er oder sie vor Ausbeutung flieht, vor Hunger, vor behandelbaren Krankheiten, weil er oder sie sein Kind vor einem Leben in Elend und Not bewahren will – nun, diese Menschen haben keinerlei Recht, in die EU/nach Deutschland zu kommen.
Wie oft hört man, auch von Menschen, die sich christlich nennen, die NGOs mögen doch bitte die Schlepperei im Mittelmeer lassen: es sei nur ein Anreiz zur Flucht: dabei ist es längst bewiesen, dass die Menschen auch dann flüchten, wenn sie wissen, dass kein Seenotretter unterwegs ist. Ganz ehrlich: glauben wir wirklich, dass sich diese Menschen alle, oft auch mit Frauen und Kindern, in Lebensgefahr begeben, weil sie in Deutschland von Sozialhilfe leben wollen?
Ich verstehe diese Unterschiede nicht. Trotz allem, ja, auch trotz der hohen Energiepreise, sind wir ein reiches Land. Niemand muss aus Deutschland flüchten. Ja, es gibt soziale Verwerfungen, die nicht sein müssten, es gäbe durchaus Lösungsmöglichkeiten für viele Probleme. Aber dennoch: es fallen keine Bomben, die allermeisten haben ein Dach über dem Kopf, ein Bett für sich allein und jeder hat ein Recht auf Schulbesuch und Ausbildung. Und davon wird nichts weniger, wenn wir alle Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen, im Gegenteil: die allermeisten würden gerne Arbeiten, eine Ausbildung machen oder ihre (oft bessere) Ausbildung hier anerkennen lassen. Auf der anderen Seite gibt es freie Stellen, auch freie Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden können. Es fehlen Kräfte in der Pflege und in Handwerk und Industrie. Oft haben Geflüchtete Jugendliche in wenigen Jahren einen guten Schulabschluss, können studieren: wenn die Voraussetzungen dafür, dass sie in die Schule gehen können, entsprechend sind. Als Werktätige aber würden diese Menschen Steuern zahlen und in die Sozialkassen einzahlen: alles das wäre dringend erwünscht. Stattdessen schotten wir uns immer weiter ab, lassen Menschen ertrinken oder in den Wäldern an Polens Grenze jämmerlich erfrieren, verhungern oder an Krankheiten sterben, an denen kein Mensch sterben muss.

Warum machen wir diese Unterschiede? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es fatal ist: Menschen, die in Lagern leben, die nicht arbeiten dürfen, denen man um 10 Uhr das Licht abdreht oder das Rauchen verbietet, den Ausgang reglementiert, deren Traumata man nicht behandelt, werden schlimmstenfalls auf dumme Gedanken kommen. Die dann an den Umständen liegen, nicht an der Mentalität, wie so gerne gesagt wird. Menschen, die arbeiten wollen und deren Arbeitskraft auch dringend benötigt wird nicht kommen zu lassen ist zudem auch ziemlich dumm.
Vor allem ist es aber unchristlich. Auch, wenn die Menschen keine Christen sind. Und unmenschlich. Es gibt keinen Grund, Unterschiede zu machen. Es ist kein Verdienst, in Deutschland geboren worden zu sein statt in Afghanistan oder Nigeria. Es ist kein Verdienst, in einer sich christlich nennenden Umgebung aufgewachsen zu sein statt als Uigure in China. Es ist kein Verdienst, in ein Land hineingeboren zu sein, dass eine freiheitlich rechtsstaatliche Demokratie ist und nicht in eine Diktatur. Es ist Glück. Und Glück vermehrt sich, wenn man es weitergibt.  Wir sollten aufhören, die Welt auszubeuten. Den Klimawandel zu ignorieren. Flüchtlinge in richtig und falsch einzusortieren. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir weiter friedlich leben wollen, müssen wir uns klarmachen, dass das nur geht, wenn wir anstreben, dass alle Menschen menschenwürdig leben können. Und doch, wir können etwas dazu beitragen. Denn wir leben auf Kosten der anderen. Was können wir tun? Es sind ganz banale Dinge wie Energiesparen, öfter mal das Auto stehen lassen und statt 10 billiger T-Shirts, die nach der ersten Wäsche verzogen sind, vielleicht lieber nur ein oder zwei kaufen, die fair hergestellt sind und zu dem länger halten. Wir müssen keine Lebensmittel aus Übersee essen, deren Klima- und Umweltbilanz fatal ist. Auch, wenn sie vielleicht superlecker sind. Oder zumindest nicht täglich. Wir können Gemüse saisongerecht kaufen. Unseren Fleischkonsum einschränken – und zumindest vielleicht mal ausprobieren, wie es sich als Vegetarier oder Veganer lebt – und einiges davon vielleicht auch übernehmen. Kaffee aus fairem Handel ist pro Tasse nur ein paar Cent teurer als anderer. Jeder und jede kann für sich überlegen, welche Maßnahmen er oder sie in ihrem Leben umsetzen möchte – und manchmal stellt man fest, dass weniger mehr ist. Wir können auch politisch anders denken: muss ich vielleicht neu über Windräder nachdenken? Ist das St.Floriansprinizip immer die bessere Alternative? Wer hat die globale Welt im Blick, wenn ich das nächste Mal zur Wahl gehe? Welche Petitionen, welche Anliegen unterstütze ich? Sind Demos für mich eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen? Der Möglichkeiten sind viele für die, die eine gerechtere Welt wollen.
Es wäre auch für Menschen angebracht, darüber nachzudenken, denen die Welt am Popo vorbeigeht. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir anderen das Leben, das wir uns gönnen, nicht zugestehen: irgendwann überrennen sie uns dann vielleicht wirklich und holen sich das, was wir ihnen vorenthalten.

Antikriegstag

1. September 1939 (also heute vor 72 Jahren): Seit 5 Uhr 45 wird zurückgeschossen hieß es – und hinter dieser Floskel verbarg sich der Angriff auf Polen.
Heute ist Antikriegstag in Deutschland. Ein Anlass, mal wieder über den Frieden nachzudenken: „Frieden (von althochdeutsch fridu „Schonung“, „Freundschaft“) ist allgemein definiert als ein heilsamer Zustand der Stille oder Ruhe, als die Abwesenheit von Störung oder Beunruhigung und besonders von Krieg. Frieden ist das Ergebnis der Tugend der „Friedfertigkeit“ und damit verbundener Friedensbemühungen. Friede ist im heutigen Sprachgebrauch der allgemeine Zustand zwischen Menschen, sozialen Gruppen oder Staaten, in dem bestehende Konflikte in rechtlich festgelegten Normen ohne Gewalt ausgetragen werden. Der Begriff bezeichnet einen Zustand in der Beziehung zwischen Völkern und Staaten, der den Krieg zur Durchsetzung von Politik ausschließt.“ (Auszug aus Wikipedia)

Was bedeutet das für uns hier in Deutschland und in der ganzen Welt? Nun, seit Kriegsende hat es auf deutschem Boden keinen Krieg mehr gegeben. Ob man die Zustände in der ehemaligen DDR unter obige Definition packen kann, darüber maße ich mir kein Urteil an: die damalige Staatsführung jedenfalls hat es wohl so gehalten. Allerdings ist Frieden ja deutlich mehr als nur die Abwesenheit von Krieg – und da sehe ich die Querdenkerdemos auf unseren Straßen, höre die Menschen, die sich diskriminiert fühlen, weil sie sich nicht impfen lassen möchten, und sehe den Hass auf Geflüchtete (und ja, auch Krawalle des sogenannten schwarzen Blockes, wenn auch meist weniger lebensgefährlich für einzelne Menschen, schließe ich da bewusst nicht aus).

Die Sprache wird rauer, in den sozialen Netzwerken, aber auch im realen Leben. Im Bundestag sitzen Menschen, die allen Ernstes behaupten, wir lebten in einer Diktatur. Es gibt den strukturellen Rassismus, und er fällt uns gar nicht immer auf. Dies und viele weitere Anzeichen deuten darauf hin, dass es mit dem Frieden noch nicht so richtig klappt bei uns.

Der Blick in die Welt zeigt dann dramatisch: friedlich ist sie nirgends. Und immer noch werden Vorwände genutzt, um Krieg zu führen, und die eigentlichen Gründe (die meist aus Machtstreben, Zugang zu strategisch wichtigen Orten oder Bodenschätzen bestehen) werden so vorsichtig verschleiert.

Was aber kann ich tun (außer vielleicht beten?). Nun, ich kann, so kurz vor der Bundestagswahl, Wahlprogramme und Kandidatinnen und Kandidaten darauf abklopfen, ob ihre Vorstellungen und politischen Werte friedensfördernd sind (Stichworte: Klimawandel, soziale Gerechtigkeit, Migration…)

Und ich kann mein eigenes Leben überprüfen: trage ich zum Frieden in meinem Umfeld bei? Oder hab auch ich Gewohnheiten, die dem entgegenstehen. Wie begegne ich meinem oder meiner Nächsten, und zwar nicht nur denen, die ich mag oder mit denen ich mehr oder weniger notgedrungen auskommen muss sondern auch denen, die ich nicht leiden kann. Oder die mein Leben stören – gefühlt oder aber auch real…

Friede kann ausstrahlen und sich weiter fortsetzen. Grundlage für alles ist die Liebe zu den Menschen. Studien haben herausgefunden (aber da braucht man eigentlich keine Studien zu) dass aus Kindern, die sich geliebt fühlen dürfen, meist emphatischere und den Menschen zugewandtere Erwachsene werden als aus Kindern, die diese Liebe nicht oder nur sehr selten spüren. Bei Liebe und Frieden funktioniert das Schneeballsystem durchaus. 

Das Bild zeigt die – reparaturbedürftige – Friedensglocke in Mösern in Tirol

Gedanken an einem Sonntag im Mai 2021

Muttertag. Der Tag nach dem 8. Mai – Tag der Befreiung. Der Tag, an dem die Kontaktsperren und Ausgangssperren für Geimpfte aufgehoben wurden und die Testpflicht.

Mai. Der Monat, in dem die Natur explodiert. Der Monat, in dem die Kirche Maria, die Mutter Gottes ehrt – und in dem Maria 2.0 ihren Ausgangspunkt nahm. Der Monat, der in so vielen Liedern herbeigefleht wird: „Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün“ und lobend besungen „der Mai, und der war grüne…“.

Und ich sitze hier, an meinem Schreibtisch, vor dem offenen Fenster und hoffe auf den Frühlingstag, der uns versprochen wurde, und mache mir so meine Gedanken. Der Gottesdienst war, wie immer seit über einem Jahr, ein Hausgottesdienst, und das Evangelium endete mit den Worten: Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt (Joh 15,17).

Und mir geht durch den Kopf, dass das der Schlüssel ist. Menschen, die sich lieben, die sich wirklich lieben, tun einander nichts. Es geht um echte, selbstlose Liebe, nicht um die „wenn Du mich liebst dann…“- Liebe und auch nicht um die Liebe, die eine Gegengabe fordert.

Wenn wir Menschen einander lieben würden, dann gäbe es keine Kriege mehr. Wenn wir einander lieben würden, dann würden wir uns freuen für die, die jetzt wieder mehr dürfen. Und die wiederum, so sie ebenfalls ihre Mitmenschen lieben würden, agierten mit Augenmaß, so, dass sie uns nicht neidisch machen.

Wenn wir Menschen einander lieben würden, dann könnten Meinungen nebeneinander stehen bleiben, denn sie alle wären, so verschieden ihr Inhalt auch sein möge, als von der Menschenliebe getragen akzeptierbar. Wir würden nicht mehr Religionen gegeneinanderhetzen und in der Kirche mit Machtworten agieren müssen.

Von der Liebe getragen, könnten wir auch die verschiedenen Lebensweisen und Traditionen gut nebeneinanderstehen lassen – denn auch sie wären ja von der Liebe getragen.

Eine ideale Welt, die es so nicht gibt, das weiß ich auch. Aber für mich kann ich daraus ziehen: jeder Mensch hat ein Lebensrecht, ein Recht auf anderssein, ein Recht auf eigene Meinung, auf anderes Denken und andere Traditionen. Solange das nicht menschenverachtend wird, kann ich diskutieren, mich daran reiben, Argumente bringen: aber sachlich und höflich, denn auch der oder die andere hat ein Recht darauf, mir gegenüber wiederum Argumente zu bringen, meine Argumente zu widerlegen. Es ist wichtig, dass wir dies (wieder) lernen. Und ich bin überzeugt: auch wenn ich nur in meiner kleinen Umwelt agieren kann, so ist es doch so, wie Dom Helder Camara, der brasilianische Erzbischof und Befreiungstheologe (1909-1999) gesagt hat: „Wenn eine allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“ Lassen wir uns also von der Liebe tragen, lassen wir sie wachsen, wie die Natur wächst in diesen Tagen – lassen wir uns vom Mai inspirieren.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Karfreitag 2020

Heute ist alles anders als sonst. Der „stille“ Karfreitag ist so still wie alle Tage vorher und auch nachher: Restaurants, Cafés, Kino, Freizeiteinrichtungen: längst geschlossen. Geschäfte – die meisten haben zu. Sogar Spielplätze sind zu, Treffen mit mehreren Personen verboten: stiller, als jeder stiller Feiertag sonst sein könnte.

Und vielen Christen fehlt etwas: der Gottesdienst, in dem die Passion Christi bedacht wird, traditionell oder modern, im Kreuzweg in der Kirche oder auch in einer Prozession, etwa auf die Halde.

Aber die Passion bedenken kann man auch ohne Gottesdienst. Vielleicht kommen einem sogar ganz neue, eigene Gedanken – die einem durchaus weiterhelfen können

Wir bedenken die Passionsgeschichte normalerweise aus 2 Richtungen – der momentanen, also dem Leiden und Sterben und, davon kann sich keiner freisprechen, aus der Osterperspektive.

Deshalb möchte ich hier auch zu beidem etwas bemerken, denn es gehört zusammen:
Die Theologen streiten sich, wie das „Jesus starb für unsere Sünden“ zu erklären ist, zu verstehen ist und ob man das überhaupt so sehen darf. Für mich war immer schon ein völlig anderer Aspekt viel wichtiger: Jesus ist seinen Weg konsequent gegangen bis in den Tod. Er hat das getan, was ihm wichtig war: Gottes Wort als frohe Botschaft (nicht als Drohbotschaft, das ist ja gerade das Neue, Schöne!) verkündet und bedingungslose Gottes- und Nächstenliebe nicht nur gepredigt, sondern auch praktiziert. Gerade dies letztere, dass Er lebte was Er sagte, war ja das, was die Menschen um ihn faszinierte – und was ihnen Angst machte: da war einer, der predigte nicht Wasser, um selbst Wein zu trinken – er hatte überhaupt nichts gegen das gute Leben, solange es aus dieser Liebe heraus keinem anderen schadet. Er war ganz Mensch: er hatte Angst vor dem Sterben, er war verletzt, als seine engsten Freunde nicht bei ihm warteten, sondern einschliefen, aber er hatte die Hoffnung, dass es stimmt, was er predigte: dass Gott ihn nicht hängen lassen würde. Trotz seines Todes. Das ist für mich die Botschaft der Passion schlechthin (ja, möglicherweise nicht gut katholisch, aber dennoch): das Jesus sich nicht hat Abschrecken lassen von den Widrigkeiten des Lebens, von seinen Gegnern, ja, von dem Tod: er hat die Wahrheit gelebt, konsequent bis zum Ende.

Und da kann er uns Vorbild sein, ein Vorbild, was uns nicht erdrückt, sondern erhebt: Wir dürfen hoffen auf die Zukunft bei Gott, egal, was uns in dieser Welt widerfährt. Dabei will ich gar nicht sagen, der Tod ist egal, weil nach dem Tod ist alles besser. Auch, wenn ich an ein Leben bei Gott glaube: dazu ist mir das Leben auf dieser Erde viel zu wichtig. Und wenn es das nicht wäre: warum sollte Gott den Menschen erschaffen haben? Wir sind kein Spielzeug, wir sind das Ebenbild Gottes in dieser Welt. Aber das Vorbild Jesu hilft mir, konsequenter zu sein. Mich Anfeindungen entgegenzustemmen, zu tun, was ich glaube, dass es auch getan hätte.

Das ändert nichts daran, dass ich durchaus meine Bequemlichkeit dem, was eigentlich zu tun wäre, vorziehe. Dass ich manchmal resigniere und meine, eh nichts ausrichten zu können. Dass ich manchmal die Freundin bin, die schläft – und manchmal der Pharisäer, der da, wo es konkret wird, wegsieht. Es ändert nichts daran, dass ich manchmal die Regeln über den Menschen stelle, wo doch umgekehrt richtiger wäre. Aber: es ändert etwas an meiner Einstellung. Ich kann mein Tun immer wieder überprüfen, neujustieren und ändern. Auch, wenn es vielleicht nur vorübergehend ist. Denn das ist das Schöne am Christsein: ich kann jeden Tag umkehren, immer wieder neu.

Und wem jetzt der Gottesdienst mit Passionslesung fehlt:
Lest sie doch, Ihr findet sie in der Bibel z.B. unter Johannes 18 folgende (die wird in der katholischen Kirche meines Wissens immer an Karfreitag gelesen), Markus 14 ff, Lukas 22 ff und Matthäus 26 ff.
Vielleicht mit verteilten Rollen, wenn Ihr zu mehreren seid, so werde ich es mit meinen Eltern machen. Und vielleicht wird aus Eurem Karfreitag dann doch noch ein richtiger Karfreitag: Gottesdienst geht auch mit wenigen. Und für die Katholiken unter Euch, die vielleicht Bedenken haben: Karfreitag „geht“ auch ohne Priester. Auch zu normalen Zeiten.

Flüchtende an Europas Außengrenzen – Weltfrauentag 2020

Weltfrauentag. Eigentlich ein Anlass, über Gleichberechtigung in Kirche und Gesellschaft zu schreiben, hier und überall auf der Welt. Da liegt noch viel im Argen, auch bei uns, wenn man z.B. weiß, dass in Deutschland jeden 3. Tag eine Frau ermordet wird, weil sie ihren Partner verlassen hat. Die Ideologie, die da hinter steckt, ist immer noch die Gleiche: die Frau ist dem Mann untertan – und wenn sie es nicht ist, nun, dann muss das Konsequenzen haben. Auch die Kleinigkeiten, wenn z.B. bei „wichtigen“ Fragen eher dem Mann als der Frau Kompetenz zugesprochen wird, dass die Bezahlung immer noch nicht überall gleich ist, dass die sogenannten Frauenberufe, insbesondere die Pflegenden und Erziehenden, deutlich schlechter bezahlt sind als andere, obwohl sie doch die Verantwortung für uns Menschen als Menschen haben – geschenkt.

Ich bin in relativ emanzipatorischer Atmosphäre groß geworden, in einer traditionellen Familie, in der die Mutter für ihre Töchter genau das nicht wollte: dass sie zwangsläufig in traditionellen Strukturen landen.  Mein Vater sagte zwar durchaus so Dinge wie: wenn eine Frau nicht Brotschneiden kann, kann sie nicht heiraten (deshalb beherrsche ich diese Kunst bis heute nicht), aber abgesehen von solchen Sprüchen hat er uns Geschwister immer gleichbehandelt, unabhängig vom Geschlecht. In einer echten emanzipierten Gesellschaft wäre mein Leben zwar anders verlaufen, erst recht in einer emanzipierten Kirche. Aber ich war und bin mir immer bewusst: ich bin trotz allem privilegiert. Ich habe eine ausgezeichnete Schulbildung genossen, habe studieren dürfen, und ich hatte das Glück, meine Kinder immer entweder gut versorgen zu können oder aber gut versorgt zu wissen.

Und genau das ist hier und heute mein Problem. Vor ein paar Tagen gab es auf RTL ein Interview mit einer jungen Frau, 19 Jahre alt, die an der türkisch-griechischen Grenze mit ihren Kindern, 7 und 4 Jahre alt, ausharrt, um in die EU zu kommen. Sie möchte, wie sie in durchaus verständlichem Englisch erzählte, gerne hier die Möglichkeit haben, eine Ausbildung zu machen, vielleicht zu studieren.
Die Kommentare, die von deutschen Männern und Frauen, ja, auch Frauen, dazu abgegeben wurden, waren entlarvend: Selbst schuld, wer mit 19 schon 2 Kinder hat, will nur in die soziale Hängematte, sie kann offensichtlich nix außer Kinder kriegen, ist sicher strohdumm, wahrscheinlich hat sie noch nie eine Schule von innen gesehen, die will nur schmarotzen.

Und mir wurde mal wieder klar: bei allem Leid der Welt sind neben den Kindern die Frauen, die am meisten leiden müssen – sie sind aber zusätzlich die, die am meisten Häme ertragen müssen. Kann irgendeiner von den Kommentatoren auch nur erahnen, in welcher Lage diese Frau ist? Glaubt wirklich irgendjemand, dass sie an ihrem Schicksal selber schuld ist? Dass sie mit 12 bewusst das erste Kind bekommen hat, um nicht arbeiten zu müssen? Dass sie mit 2 Kindern diese erbärmliche Flucht auf sich genommen hat, weil sie sich in die soziale Hängematte legen will? Und dass jemand, der strohdumm ist, Englisch lernen kann?

Was geht da vor? Was geht in Menschen vor, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, hier leben, von denen man eigentlich glauben müsste, dass sie die abendländischen Werte, die wir ja immer so gern verteidigt haben, mit der Muttermilch aufgesogen haben?

Mich wundert nicht, dass unsere Werte nichts mehr gelten. Sicher würde keiner sagen: ich bin für die Abschaffung der Menschenwürde. Aber es scheint doch so zu sein, dass jeder entscheiden will, für wen sie gilt – für solche Frauen schon mal nicht.

Die neuen deutschen Werte scheinen zu sein: Deutschland und die (richtigen) Deutschen zu erst, Abschottung gegenüber allem nichtdeutschen, Augen und Ohren verschließen vor dem Elend der Welt. Und den Mund nur aufreißen gegenüber denen, die noch Mitleid und Menschlichkeit verspüren. Und wenn einem da nix sachliches mehr einfällt – nun, dann kann man die „Gutmenschen“ ja beschimpfen, zum Arzt schicken, einen guten Zahnarzt empfehlen…

Das sind die Momente, wo es mich gruselt. Die Momente, in denen ich mich frage, was ich tun kann, außer schreiben, außer laut werden, außer auf die Straße gehen. Aber das sind auch die Momente wo ich weiß, dass ich das tun muss: schreiben, reden, laut werden. Und beten. Beten, dass wenigstens die Politiker endlich zur Einsicht kommen, dass wir den Menschen helfen müssen. Dass sie nichts dafürkönnen, diese Frauen, und diese Kinder. Und dass sie ein Recht haben auf Zukunft, so wie jeder andere Mensch auf dieser Erde auch. Wir sind ein reiches Land. Wir gründeten uns einmal auf Werte. Ich bete, dass wir uns darauf besinnen. Ich bete, dass unsere Werte nicht mit den Toten im Mittelmeer ersaufen.

Christliches Abendland – christliche Werte?

Wie ist es eigentlich um die christlichen Werte bestellt im sogenannten „christlichen Abendland“, das frage ich mich immer häufiger. Und da fiel mir der Evangeliumstext des heutigen Sonntags in die Finger:

(Lk 6, 27ff) „In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Euch, die ihr mir zuhört, sage ich: Liebt eure Feinde; tut denen Gutes, die euch hassen. Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch misshandeln.

Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halte auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück. (… )

Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!

Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden.“

Ich finde, dieser Text ist, auch für Christen, eine Zumutung: das, was Jesus da von uns verlangt, was er uns zumutet, ist mehr, als einmal großherzig zu sein: er möchte, dass wir uns jedem Menschen gegenüber so verhalten, als sei er unser bester Freund, als sei er der, den wir am meisten lieben. Und das erscheint uns doch undurchführbar: lieben wir doch lieber da, wo wir auch geliebt werden, geben da, wo wir auch empfangen – und wenn es keine Gegengabe sein kann, so doch wenigstens Dank und Anerkennung. Selbst unsere Ehepartner und Freude sind uns manchmal zu lästig, zu anspruchsvoll, und wir haben nicht immer die Lust, bedingungslos für sie da zu sein. Aber jemanden lieben, dem wir allenfalls gleichgültig sind, den wir vielleicht sogar aus gutem Grund hassen? Jemandem vergeben, der uns zutiefst verletzt hat, der vielleicht unser Leben negativ beeinflusst hat? Wie soll das gehen?

Ich denke, keiner von uns ist in der Lage, Jesu Forderungen eins zu eins umzusetzen.  Also, ich jedenfalls nicht. Aber anfangen kann man ja damit, und ich finde, gerade in der heutigen Zeit bietet sich Gelegenheit genug:

Die Würde des Menschen ist unantastbar, so will es unser Grundgesetz. Darauf zu achten, wäre schon mal ein Anfang: sich klar zu machen, dass wir die Menschen nicht in Faule und Schmarotzer auf der einen und Fleißige und Leistungsträger auf der anderen Seite einteilen dürfen, auch nicht in Menschen, die ein Recht haben, hier zu leben, und die, denen wir es nicht zugestehen. Es macht keinen Unterschied, ob einer arm ich oder reich, welche Hautfarbe jemand hat, welcher Kultur er angehört, warum er seine Heimat verlassen muss oder zu verlassen müssen glaubt, freiwillig oder unfreiwillig, welchen Gott er anbetet: Wir alle sind Menschen, von denen Paulus sagt, dass sie nach dem Bild des irdischen, aber eben auch nach dem himmlischen Adam gestaltet sind. Wir sind, als Menschen mit unserer Würde, alle gleich. Und so sollten wir auch jedem Menschen begegnen, egal wie er zu uns steht: er ist ein Geschöpf Gottes.

All you need is love, haben die Beatles gesungen. Machen wir doch mal einen Test: lächeln wir jeden Menschen an, der uns begegnet, egal, ob wir ihn kennen, egal, ob wir ihn mögen. Wir werden feststellen: die meisten lächeln zurück (ich hab’s ausprobiert), ein ehrlich gemeintes Lächeln ist nämlich ansteckend. Und machen wir uns das zur Gewohnheit: so heben wir die allgemeine Stimmung, und das ist in einer Zeit, in der bestenfalls Gleichgültigkeit den Menschen gegenüber herrscht, ungeheuer notwendig, erst recht in einer Zeit, wo Menschen in zwei (oder mehr) Klassen eingeteilt werden, in der wir Lebensretter als Kriminelle bezeichnen, weil sie Menschen zu uns bringen, die wir nicht haben wollen. Es ist notwendig in einer Zeit, wo Menschen, die sich Christen nennen, nichts dagegen haben, das Sterben im Mittelmeer „Abschreckung“ zu nennen, wo sie über Schülerinnen und Schüler herfallen, die sich doch nur Sorgen um die Zukunft unserer erde machen, in einer Zeit, in der jeder nur darauf schaut: was bring mir das. In einer Zeit, in der nicht einmal Christen noch eine Ahnung davon haben, was Jesus uns zumutet, wenn wir in seiner Nachfolge leben wollen.

Versuchen wir, anders zu sein, daran erkennbar zu sein, dass wir unser Gegenüber immer ernst nehmen, dass wir unser Lächeln in die Welt tragen und so ein Stück zum Frieden beitragen. Das wäre doch schon einmal ein Anfang, einer, der gar nicht schwer ist, der uns nichts kostet, außer ein Lächeln, und uns so viel schenken kann: das Lächeln anderer. Ein Schritt in die richtige Richtung, christliche Werte zu leben. Vielleicht geht es ja dann von allein weiter, bei uns, aber auch bei anderen: jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt.