366 unbeschriebene Seiten oder: Gedanken zu Neujahr 2020

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt – auch das könnte die Überschrift über diesen Text sein. Am Meer habe ich ihn zwischen den Jahren ersonnen – die Realität hatte mich auch da schon eingeholt, ohne dass ich es wissen wollte.
Da war die „Umweltsau“ des WDR – ein Kommentar von mir mit der Aussage, an dem Lied wäre ja was dran, (und ich denke, da ich im Oma Alter bin, darf ich das sagen) führte zu Beschimpfungen in den Kommentaren und per PN, die so unterirdisch waren, dass ich mich frage: ist es schlimmer, das Verhalten einer imaginären Oma zu beschimpfen, als reale Menschen? Im Vergleich wäre „Umweltsau“ ein echter Kosename.
Und dann die Aufzählung, was die Omas dieser Grundschulkinder alles erlebt und geleistet haben: die heutigen Omas haben in zwei Weltkriegen ihre Kinder alleine aufgezogen, nachdem sie selbst als Kind jeden Tag 15 km durch Schnee und Eis zur Schule laufen mussten. Sie haben aus nichts Mahlzeiten gezaubert und im Anschluss an den zweiten Weltkrieg ganz Deutschland mit eigenen Händen aufgebaut und dann auch noch fürs Wirtschaftswunder gesorgt. Und nie Handys benutzt, die Kinder damals nicht mit dem SUV in die Schule gebracht und einen PC hatten sie auch nicht. Und heute leben sie noch genauso entbehrungsreich wie damals und sammeln außerdem Flaschen zum Überleben. Nun ja. Kann sich ja jeder selbst einen Reim drauf machen. Die Diskussion wäre ja eigentlich ganz amüsant gewesen, wenn sie nicht so ausgeartet wäre.
Also beschloss ich, das wegzustecken und mich ganz dem Meer und dann dem neuen Jahr zu widmen.
Noch vor dem Schlafengehen dann die Nachricht: in Krefeld ist das Affenhaus mitsamt seiner Bewohner abgebrannt (da waren nicht nur Affen drin!) – eine Institution, die ich schon als Kind kennengelernt habe, mit dem ältesten lebenden Gorilla – es war nicht mehr zu retten. Möglicherweise war der Brand verursacht durch diese Feuerballone, die in NRW verboten sind. Bei den ganzen Trauerbekundungen und Spendenaufrufen allerdings frage ich mich: auch wenn es durchaus grausam und schrecklich ist, im Mittelmeer sind wieder 45 Menschen vermisst, wahrscheinlich tot, in Griechenland vegetieren Kinder in Lagern dahin – wie setzen wir eigentlich unsere Prioritäten?

Und dann erfuhr ich, dass heute morgen der Vater einer Freundin verstorben ist, ein Mensch, der die Sommer meiner Kindheit mitgeprägt hat. Es war zu erwarten. Er ist sicher erlöst, für ihn war es besser. Dennoch: wenn einer aus der vorherigen Generation stirbt, schließt sich eine Tür zur Kindheit, und das geschieht in letzter Zeit immer öfter…

Dennoch: es liegen quasi 366 unbeschriebene Seiten eines Buch vor uns, auch wenn eine jetzt schon mehr als angefangen ist. Ein Buch, das zwar eine Fortsetzung ist, dessen Inhalt auch mit bestimmt wird von den vorherigen Büchern. Ein Buch aber, dessen Inhalt wir, wenn auch nicht völlig frei, mitbestimmen können. Ein Buch, dass von uns mitgeschrieben wird. Ein Buch, von dem ich mir vorgenommen habe, dass es viel Liebe und Respekt zu anderen Menschen enthalten soll, Menschlichkeit und Nächstenliebe, Friede und Versöhnung in der Welt und auch im privaten Bereich.
Sehen wir uns diese Seiten an: 365 sind noch völlig leer. Füllen wir sie mit Liebe – dann wird das Jahr ein gutes Jahr werden!

Weihnachten 2019

Weihnachten

Palästina, vor ca 2000 Jahren

Eine junge Schwangere

Mit ihrem Mann unterwegs zur Volkszählung

Wir haben kein Zimmer frei in der Herberge

Sie bekommt das Kind in einer Höhle, die als Stall dient

In Armut kommt das Kind zur Welt.

Syrien, irgendwann zu unserer Zeit

Eine junge Schwangere

Mit ihrem Mann lebt sie im Kriegsgebiet

Wir haben kein Zimmer frei in der Herberge

Sie bekommt das Kind in einer zerstörten Stadt

Im Bombenhagel kommt das Kind zur Welt

Irgendwo in Afrika, irgendwann zu unserer Zeit

Eine junge Schwangere

Mit ihrem Mann lebt sie auf verdorrtem Land

Wir haben kein Zimmer frei in der Herberge

Sie bekommt das Kind in tiefster Not

Auf der Flucht kommt das Kind zur Welt

Flüchtlingslager in Nordafrika, irgendwann zu unserer Zeit

Eine junge Schwangere

Versklavt und mißbraucht lebt sie dort bar jeder Hoffnung

Wir haben kein Zimmer frei in der Herberge

Sie bekommt das Kind unter schrecklichen Umständen

In Dreck und Elend kommt das Kind zur Welt

Flüchtlingslager in Europa, irgendwann zu unserer Zeit

Eine junge Schwangere

Sie lebt in einem Lager mit hoffnungsloser Überfüllung

Wir haben kein Zimmer frei in der Herberge

Sie bekommt das Kind in der Massenunterkunft

In Kälte und Nässe kommt das Kind zur Welt

Krankenhaus in Deutschland, irgendwann zu unserer Zeit

Eine junge Schwangere mit Komplikationen

Abgeschoben wird sie nach Italien

Wir haben kein Zimmer frei in der Herberge

Es gibt keinen Arzt

Das Kind kommt tot zur Welt

Gott wird Mensch

Wir wissen nicht wann

Wir wissen nicht wo

Bereiten wir Ihm einen Platz

in unserer Herberge.

Bereiten wir jedem Menschen einen Platz

in unserer Herberge.

Erkennen wir Ihn in jedem unserer Mitmenschen.

Dann wird Weihnachten

Überall auf dieser Welt

Reden und verstehen sind zwei verschiedene Paar Schuhe…

„Sucht neue Worte das Wort zu verkünden, neue Gedanken, es auszudenken“ – dieser Vers aus einem Kirchenlied geht mir seit heute morgen nicht mehr aus dem Kopf. Wir sagen immer: wir müssen reden, reden, reden – und eine Erfahrung der letzten Woche zeigt mir: wenn Menschen arglos Falschmeldungen weitererzählen kann reden durchaus helfen, nämlich dann, wenn man die Sachlage aufklären kann und die Menschen bereit sind, zuzuhören und nachzudenken.
Oft aber habe ich das Gefühl, gegen Mauern anzureden und anzuschreiben.
Vielleicht ist genau das der Punkt: wir benutzen die falschen Worte. Wir benutzen unsere Worte, und selbst wenn wir noch so empathisch sind, bleiben das unsere Worte. Und vielleicht fängt es bei den Gedanken schon an: sie laufen auch bei uns in bestimmten Bahnen, bestimmt durch Lebenserfahrung und Input, und ja, durch die Filterblase, in der wir uns sowohl virtuell als auch im realen Leben in der Regel befinden – zumindest außerhalb der Familie umgibt man sich ja nach Möglichkeit eher mit Gleichgesinnten, insbesondere in der Freizeit.
Wenn ich möchte, dass mein Gegenüber mich versteht, muss ich die Wege seiner Gedanken nachvollziehen können und seine Sprache kennen. Wenn die immergleichen Gedanken nicht zum Ziel führen, nun, dann muss man andere denken. Und wenn die immergleichen Worte nicht mehr ausreichen – vielleicht gibt es ja andere?
Menschen überzeugen kann man nicht durch gebetsmühlenartige Wiederholungen, die ja schon mühsam genug sind. Menschen überzeugen kann man nur, wenn man immer neu denkt, wenn man in Worten spricht, die der oder die andere versteht.
Ich werde versuchen, mir das in Zukunft zu Herzen zu nehmen – im virtuellen und vor allem im realen Leben.

9.November: Ein deutscher Schicksalstag

9. November. So etwas wie ein deutscher Schicksalstag. In einem Gespräch letzte Woche sagte ich, dass ich besser fände, wenn „unser“ Nationalfeiertag am 9. November wäre. Meine Gesprächspartnerin wies mich dann darauf hin, dass da nicht nur schönes geschehen wäre in der deutschen Geschichte. Ja, genau darum geht es mir ja – ein Nationalfeiertag sollte sich nicht die Rosinen aus dem Kuchen picken, denn dann verliert man die Gesamtsicht, und die zu behalten scheint mir in der heutigen Zeit immer wichtiger zu werden.

Am 9.11.1848 wurde Robert Blum standrechtlich erschossen – das war der Anfang vom Ende der Revolution 1848/49.

Der 9.11.1918 war da schon, was die Revolution angeht, positiver: an diesem Tag, dem Beginn der Novemberrevolution, wurde die erste deutsche Republik ausgerufen. Es folgte eine Reihe von teilweise bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den Verfechtern einer einer pluralistisch-parlamentarischen Demokratie und denen einer sozialistischen Räterepublik, wobei letztere unterliegen. Im August 1919 wird die Weimarer Republik konstitutiert – die erste Republik auf deutschem Boden, die zwar eine relativ kurze Halbwertzeit hatte, aber doch grundlegend war auch für unsere heutige Demokratie.

Leider war sie auch der Nährboden für die Nationalsozialisten: am 9. November 1925, genau 5 Jahre nach Ausrufung der Republik, unternimmt Hitler einen Putschversuch gegen die demokratische Reichsregierung. Der Putschversuch scheitert, 16 Menschen sterben, und Hitler wird zu 5 Jahren Festungshaft verurteilt. Im Prozess inszeniert er sich als Führer der „völkischen Bewegung“ und kommt nach 9 Monaten wegen guter Führung wieder frei. 10 Jahre später wird er diesen Tag zum Gedenk- und Feiertag, an dem der „Blutzeugen der Bewegung“ gedacht wird – der einzige Grund, der mir einfällt, weshalb dieser Tag als Nationalfeiertag schwierig wäre – aber nicht unmöglich.

Dann natürlich der 9. November 1938 – die Progromnacht. Synagogen brennen, Häuser und Geschäfte jüdischer Mitbürger werden verwüstet, hunderte von Juden in diesen und den folgenden Tagen ermordert. SA- und SS-Männer auf dem Land werden, so erzählten mir meine Eltern, gerne lieber in den Nachbarorten tätig als vor der eigenen Haustür…

Ebenfalls an einem 9. November, 1967, enthüllen Studenten bei der Amtseinführung des Rektors der Uni Hamburg ein Transparent mit dem Spruch „unter den Talaren – der Muff von tausend Jahren“ – der zu einem Symbol der Studentenbewegung werden wird, der sogenannten 68er…

Und am 9. November 1969 gab es einen linksradikalen Anschlag auf ein jüdisches Gemeindehaus in Berlin – auch dieser Termin war sicher nicht zufällig gewählt.

Der 9. November 1989 – nun, da saß ich hochschwanger vor dem Fernseher und verfolgte das Geschehen in Berlin. Die Tränen liefen mir übers Gesicht und ich glaubte, das wäre der erste Schritt zum Weltfrieden…

Heute, 30 Jahre später, habe ich Angst. Angst, dass sich Geschichte wiederholt. Wenn CDU-Funktionäre laut darüber nachdenken, dass man mit den Linken nicht sprechen dürfe, mit der AfD aber sprechen müsste, weil man sonst eine große Gruppe Wähler ausschließe (nicht beachtend, dass die Linken mehrere Prozent mehr Wähler auf sich vereinigen konnten), dann liegt das nahe.
Wenn Politiker in Europa in Kauf nehmen, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken, wenn sie von Seenotrettern verlangen, internationales Recht zu missachten und Menschen zurück in Not und Elend zu befördern, dann gibt es da einen nationalistischen Geist, der sich auch in Sprüchen wie „Amerika first“ oder „erst mal unseren Obdachlosen helfen und das christliche Abendland vor Überfremdung abschotten“ gipfelt, einen Ungeist, der mir Angst macht.

Genau deshalb wäre für mich der 9.November der richtige Nationalfeiertag: ein Tag, an dem wir auch all der Dinge gedenken, die eben gerade nicht gut waren – all der 9.November in Deutschland, die in irgendeiner Form bis heute fortwirken.

Tag der deutschen Einheit

Ich sitze an meinem Schreibtisch und frage mich: was bedeutet er für mich? Klar, vor 30 Jahren, die Berichterstattung über die Montagsdemos, die ging mir unter die Haut. Die DDR kannte ich bis dahin nur von 2 Kurzausflügen nach Ostberlin. Da war sie mir deutlich fremder als das westeuropäische Ausland, dass ich bis dahin kennengelernt hatte. Ich wusste, dass meine Patentante dort Freundinnen hatte und schon mal Pakete schickte, irgendwelche kirchlich engagierten Frauen, die sie irgendwann mal irgendwie kennengelernt hat. Ansonsten kannte ich da keinen – Ostverwandtschaft haben wir nicht.
Ich habe wie alle geheult und gehofft, dass es friedlich ausgeht, meinen Ältesten unter dem Herzen, und gewünscht, dass dieser nun fast 30jährige und alle, die ihm nachfolgen, in einer besseren Welt leben werden.

Aber sonst? Ich habe nun mehrfach Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Sachsen bereist, zuletzt waren wir in Brandenburg. Auch in Berlin war ich nun schon häufiger.

Vor einigen Jahren war ich in Leipzig zur Kur, irgendwie Exotin als „Westdeutsche“ und habe da einen netten Kreis von Menschen kennengelernt, vom 10 Jahre jüngeren Landwirt, der bei der Wende noch Jugendlicher war, bis zur 10 Jahre älteren Postbotin waren sehr verschiedene Menschen in diesem Kreis zusammen, religiös und nicht religiös, studiert oder nur einfacher LKW-Fahrer, und wir haben uns gut verstanden. Sie haben mir erzählt, wie sie die Wende aus ihrer Sicht erlebt haben, ich habe meine Seite dargestellt – und es war hochspannend. Aber eins ist mir damals aufgefallen: obwohl die Wiedervereinigung damals fast 20 Jahre her war, wussten sie auffällig wenig über „den Westen“. Sie hatten ihn bereist, die ein oder andere Sehenswürdigkeit gesehen – aber in ihren Köpfen war der Westen immer noch das gelobte Land, dass sie nie erreichen würden, wenn sie im Osten blieben. Ich habe dann von der Schule meiner Kinder erzählt, die Stadt hatte angeblich kein Geld zur Instandhaltung der Fenster bis diese dann aus den Rahmen fielen, habe Bilder gezeigt von westdeutschen Städten und Orten, die deutlich heruntergekommener waren als der Ort, wo wir uns befanden – sie verstanden es nicht. Ich wiederum verstand nicht, wieso man so schnell für den Anschluss gewesen sein konnte, wegen der D-Mark und wegen der Rosenduftseife…

Der ein oder andere Kontakt hat sich, wenn auch lose, über Facebook und WhatsApp gehalten oder wiederaufgefrischt. Wir haben uns auch noch einmal getroffen – aber ich merke, die getrennte Vergangenheit trennt in vielen Teilen bis heute. Das kann man in Gesprächen merken – man fällt noch leicht in Formulierungen „Ihr“ und „wir“ und „bei Euch/bei uns“. Ich glaube nicht, dass alle, die in Brandenburg, Thüringen oder Sachsen die AfD wählen, Rassisten sind. Ich glaube eher, dass die Angst vor den Fremden und vor dem Fremden real ist, ebenso wie die Angst, nicht mithalten zu können, abgehängt zu sein. Und Erzählungen und Argumente helfen da wenig – es geht irgendwie tiefer. Und es gibt ja Ungerechtigkeiten: sie verdienen immer noch weniger, bekommen weniger Rente etc. – 29 Jahre nach der Wiedervereinigung gibt es immer noch ein Sozialgefälle, trotz aller Gelder, die – aus unserer „westlichen“ Sicht – z.B. über den Soli in „den Osten“ geflossen sind.

Was also bedeutet mir die Einheit? Ich bin froh, dass es ein freies und demokratisches Deutschland gibt, mit funktionierender Presse- und Meinungsfreiheit, klar. Ich sehe mit Sorge, dass die AfD offensichtlich in den „östlichen Bundesländern“ einen größeren Nährboden hat als bei uns hier am Rhein. Aber dies gilt durchaus auch fürs reiche Bayern – auch wenn die Ursachen da andre sein mögen.

Ich habe allerdings die Hoffnung nicht verloren, dass wir dennoch ein Deutschland werden können – die Generation unserer Kinder kennt es nicht anders. Und dass das Ganze dann auch für Europa gilt und überhaupt für die ganze Welt: mein Traum ist, dass es überall auf der Welt möglich wird, in Freiheit und Demokratie menschenwürdig leben zu können.

Wenn der Tag der Deutschen Einheit ein Symbol dafür wird, dass alle Menschen das gleiche Recht zu leben haben und die Würde des Menschen unantastbar ist: ja, dann bedeutet mir der Tag der deutschen Einheit tatsächlich etwas.

Gedanken über Vaterland, Nationalismus und Patriotismus

Wer mich kennt, weiß, dass ich – kommentierenderweise – viel im Internet unterwegs bin. Da begegnen einem immer Begriffe wie Vaterlandsliebe, Nationalismus und Patriotismus – und vieles wird verschwurbelt und durcheinandergebracht.

Eins vorweg, bevor ich falsch verstanden werde: auch wenn mir immer wieder das Gegenteil vorgeworfen wird: ich liebe mein Heimatland und lebe gerne in Deutschland. Allerdings ist es Glücksache, wo man geboren wird: bei mir war es eben der rheinisch-katholische Niederrhein.

Vaterland ist das Land der Väter und Mütter, das Land, wo die (näheren) Vorfahren herkommen oder wo man geboren wurde. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das ist für viele Deutsche Deutschland, für nicht wenige aber eben nicht, sondern vielleicht die Türkei oder Syrien oder die Staaten Osteuropas oder der ehemaligen Sowjetunion oder was auch immer. Man kann sein Vaterland lieben und dennoch nicht da leben wollen: wegen des politischen Systems, weil da Krieg ist, weil man einer verfolgten Minderheit angehört oder weil man dort schlicht und ergreifend keine Lebensperspektive hat: auch das ist legitim. Mein Vaterland ist Deutschland, und zwar ein Deutschland in dem das Grundgesetz die Einhaltung der Menschenrechte und den Rechtsstaat garantiert. Liebe ich es? Das ist so ein großes Wort, dazu ist mir Deutschland zu abstrakt. Ich fühle mich da eher auch als Europäerin – oder eben als Rheinländerin vom Niederrhein.

Heimat dagegen: das ist da, wo das Herz ist. Das kann ein Ort sein, das können Menschen sein, da kann man mehrere haben – Heimat ist für jeden etwas anders.

Kommen wir zum Nationalismus: kein Christ kann Nationalist sein, hat der Papst mal gesagt. Was er damit meint? Ganz einfach: Der Begriff ‚Nationalismus‘ bezeichnet eine politische Strömung und damit einhergehende Weltanschauung, die sich im Sinne eines nationalen Egoismus für die Interessen der eigenen Nation einsetzen und deren vermeintliche Gegner scharf bekämpfen will. Nationalisten sind insofern aggressiv, als sie die (sogenannten) Rechte des eigenen Volkes für gewöhnlich weit über die Rechte anderer Völker stellen. Das heißt: sie halten ihr eigenes Volk für höher stehend und wichtiger als alle anderen. Für einen Christen dagegen sind alle Menschen gleich.
Nationalisten wollen Ihr Land nach außen abschotten – dem Welthandel und der Ausbeutung anderer Weltregionen verschließen sie sich dabei allerdings nicht, was ja wenigstens konsequent wäre.

Und was ist nun Patriotismus? Wikipedia sagt dazu: „Als Patriotismus wird eine emotionale Verbundenheit mit der eigenen Nation bezeichnet. Im Deutschen wird anstelle des Lehnwortes auch der Begriff „Vaterlandsliebe“ synonym verwendet. Diese Bindung wird auch als Nationalgefühl oder Nationalstolz bezeichnet und kann sich auf ganz verschiedene als Merkmale der eigenen Nation angesehene Aspekte beziehen, etwa ethnische, kulturelle, politische oder historische.“ Der Unterschied zum Nationalismus besteht daran, dass man sich zwar mit der Nation identifiziert, aber sie nicht über andere erhebt.

Im Unterschied zu einer historisch-kulturellen Bindung steht der Verfassungspatriotismus für das positive Bekenntnis zu den in einer staatlichen Verfassung verankerten übernationalen ethischen und politischen Grundrechten und Wertvorstellungen. Diese beziehen sich in der Tradition westlicher Rechtsstaaten auf die unveräußerliche Menschenwürde und davon abgeleitete Menschenrechte, für die universale Geltung beansprucht wird. Also: Deutschland mit diesem Grundgesetz, dass die Einhaltung der Menschenrechte und den Rechtsstaat garantiert.

In diesem Sinne würde ich mich vorsichtig als Patriotin bezeichnen: ich identifiziere mich mit unserem Rechtsstaat und dem Grundgesetz und werde alles mir mögliche dazu tun, dass es nicht ad absurdum geführt wird. So könnte man fast sagen: als Patriotin unterstütze ich die Seenotrettung und die Klimabewegung, bin für Umweltschutz und ein Ende der Waffenverkäufe.

Hört sich absurd an? Ja, finde ich auch. Daher würde ich diesen Begriff auch nie benutzen. Fakt ist aber, dass es ein Glück ist, in Deutschland geboren zu sein und hier, in diesem sicheren Rechtsstaat, leben zu dürfen. Und Patriot sein ist nicht verboten, auch nicht, wenn ein Patriot sich eine Deutschlandflagge in den Garten hängt – so seine Motivation nicht die Brüskierung von Migranten ist, sondern einfach sein Bekenntnis zu diesem Rechtsstaat Deutschland: wir sollten uns die Flagge nicht von den Rechtspopulisten wegnehmen lassen, auch wenn ich sie nicht aufhängen würde…

Fazit: man darf Deutschland lieben, man darf sein Vaterland lieben, man darf Patriot sein. Was man nicht darf ist, Deutschland und die Deutschen über allen anderen zu erheben.

Wenn alle diese Unterschiede begreifen (wollen) würden, wären wir schon ein ganzes Stück weiter…

Europa vor der Wahl

Eine Zeitung, deren Abonnementin ich bin, bittet um Zuschriften, was für den Leser Europa bedeutet. Grund genug für mich, einmal darüber nachzudenken…
Meine erste bewusste Begegnung mit Europa ist schon ziemlich lange her – ich war fünf oder sechs, meine Mutter hatte eine Freundin direkt an der niederländischen Grenze und da hab ich dann einen Fuß ins Nachbarland gesetzt und zu hören bekommen: das darf man nicht einfach so, da ist eine Grenze, das darf man nur an offiziellen Übergängen. Später dann fuhren wir nach de Efteling oder auch mal nur nach Venlo – und in unserem alten R4 war es immer wieder spannend, wenn die Grenzer prüfend guckten. Haben Sie was zu verzollen hieß es, wenn wir mit dem Diesel meiner Eltern mal eben zum Tanken über die Grenze hüpften – und da haben wir gelernt, dass ein alter, kaputter, ausgedienter Fernseher im Kofferraum etwas ist, was man anmelden muss. Grenzerfahrungen auch an der Grenze zu Lothringen, wo Verwandtschaft wohnte – noch ein bisschen spannender, weil die fremde Sprache doch alles irgendwie unheimlicher machte.

Dann die Staus auf dem Weg in den Sommerurlaub nach Osttirol. Immer vorher klären, was man an Lebensmitteln gerade mitnehmen durfte und was nicht – und wenn der Grenzer dann fragte, warum wir mehr Kleidung mithatten, als man in 3 Wochen tragen kann (die wurde an arme Bergbauernfamilien weitergegeben), dann kamen meine Eltern ins Schwitzen.

Und dann plötzlich war das alles vorbei. Man konnte überall hinfahren, solange es nicht Richtung Osten ging – aber auch das wurde ja dann besser. Keine Staus mehr an den Grenzen, keine unkalkulierbaren endlosen Wartezeiten mehr, keine peinlichen Fragen der Grenzer – die Welt war zusammengerückt. Rund 15 Jahre später rückte alles noch etwas mehr zusammen: der Euro kam, in den meisten Ländern war das Geldumtauschen Geschichte, man brauchte keine Umrechnungstabellen mehr.

Was für mich Europa bedeutet? Dass wir gemeinsam das stemmen, was ein Land alleine nicht hinbekommt. Das nicht jedes Land das Rad neu erfinden muss. Dass Handel und Reisen leicht gemacht werden und jeder da studieren und arbeiten kann, wo es für ihn richtig und wichtig ist. Das ein Parlament, was von den einzelnen Staaten unabhängig ist, dafür sorgt, dass es einheitliche Standards gibt, die nicht unterlaufen werden dürfen. Das wir gemeinsam versuchen, den Klimawandel und die Umweltzerstörung in den Griff zu bekommen – und dabei dem einen oder anderen auch auf die Finger geklopft wird. Es bedeutet gemeinsam stark, in der Vielfalt der Länder. Ich bin in erster Linie Rheinländerin vom Niederrhein. Das darf ich bleiben. Dann bin ich Deutsche, auch das bin ich gern. Aber als solche bin ich eben auch Europäerin – es ist mir nicht egal, wie die Menschen in Griechenland oder Rumänien mit ihrem Leben klarkommen. Wir gehören zusammen.

Es gibt ne Menge, was nicht richtig funktioniert. Es gibt wenige Instrumente, die wirklich Dinge regeln. Aber die Richtung stimmt – jedenfalls dann, wenn wir das wollen und Europa positiv unterstützen.

Happy birthday, Grundgesetz!

Unser Grundgesetz wird 70 Jahre alt. Ganz schön alt für ein Provisorium, aber wir wissen alle: Provisorien halten länger.

Beim Schulabschluss haben die meisten von uns eins in die Finger gedrückt bekommen – und mein Mann heute auf der Straße in die Hand gedrückt.  Hand aufs Herz, wer außer den Jurastudenten hat sich schon mal intensiv damit befasst? Sicher die wenigsten.

Dabei lohnt es sich, mal näher reinzuschauen. Da sind zunächst einmal die Artikel 1 – 19: unsere Grundrechte.

Das fängt an mit dem, wie ich finde, allerschönsten Satz: „die Würde des Menschen ist unantastbar“, aus dem im Satz 2 die natürliche Konsequenz gezogen wird: „sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ (Art.1,1). Da steht: die Würde des Menschen. Damit ist nicht der (oder die) gesunde Deutsche gemeint, damit sind schlicht und ergreifend alle Menschen gemeint: egal, ob mit oder ohne Staatsbürgerschaft, ob alt oder jung, ob krank oder gesund, ob reich oder arm, ob Mann, Frau oder divers. Und es gilt sogar auch für Straftäter und rechte Hetzer: alle Menschen haben die gleiche Würde. Alle.

In Absatz 2 bekennt sich das deutsche Volk zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. Nun gut, es ist noch lange nicht umgesetzt, im Augenblick wird die Situation sogar etwas schlechter siehe das Sterben im Mittelmeer, die Ausbeutung der Menschen in den ärmeren Ländern etc. Hier sollten unsere Politiker sich das Grundgesetz noch mal genauer anschauen. Aber dennoch, dieses Bekenntnis steht im Grundgesetz und daran kann man die Maßnahmen der Regierung immer wieder messen.

Besonders interessant ist dann der 3.Absatz, in dem festgehalten ist, dass die nachfolgenden Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung binden. Das überprüft das Bundesverfassungsgericht, immer wieder auch bei allen drei Gewalten.

Dann folgen die Grundrechte, ich will sie hier nicht alle aufzählen, z.B. in Art 4 die Freiheit des Menschen, die nur durch die Freiheit der anderen eingeschränkt werden darf, die Freiheit des Glaubens und des Gewissens, darunter besonders geregelt die Religionsfreiheit, die im übrigen nicht besagt, dass Deutschland frei von Religion sein muss, sondern dass jeder Mensch seine Religion frei und ungestört ausüben darf – wobei er sich immer im Rahmen des Grundgesetzes bewegen muss. Und dass keiner zum Kriegsdienst gezwungen werden darf – die Ausgestaltung dieses Grundrechtes der Gewissensfreiheit hatte immer mal wieder kuriose Züge – wie will man ein Gewissen prüfen – aber immerhin, es ist ein Grundrecht, dass in Artikel 12a nochmal konkretisiert wird.

Der Schutz von Ehe und Familie ist ebenfalls etwas, was für alle Menschen gilt, also auch für Flüchtlinge in den sogenannten Ankerzentren etc – hier muss man ebenfalls mal wieder genauer hinschauen, das wird gerne übersehen, dass auch hier alle gemeint sind, nicht nur die Bundesbürger.

Überhaupt lohnt es sich, genauer hinzuschauen: „Eigentum verpflichtet“ (Art 14) wird ausgeführt mit den Worten: „sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“. Da wird doch der Vorschlag der Enteignung von Wohnungsspekulanten mit über 3000 Wohnungen noch mal ganz anders eingeordnet…

Die Meinungsfreiheit (Art 5) gilt übrigens auch für jeden, ebenfalls die Presse- und Kunstfreiheit, solange niemand in seiner persönlichen Ehre verletzt wird. Das zeigt noch mal deutlich: Hetze ist keine Meinung. Allerdings: hier geht es um Zensur durch den Staat. Wenn ich eine Internetseite betreibe, muss ich dort nicht jede Meinung zulassen, und auch nicht jede Äußerung, die ich da nicht haben möchte. Das wird von vielen Kommentatoren im Internet gerne missachtet: dass die „Eigentümer“ der Seiten durchaus zensieren dürfen. So wie ich Menschen aus meinem Wohnzimmer schmeißen darf, deren Meinung ich nicht teile und nicht hören will. (ob ich das wirklich mache, ist eine andere Sache, auch die Frage, was ist klug). Aber man darf in der Öffentlichkeit seine Meinung frei äußern, ohne Repressalien befürchten zu müssen – und die Journalisten dürfen frei schreiben, auch wenn es der Regierung nicht passt.

Wichtig erscheint mir auch, dass die deutsche Staatsbürgerschaft niemandem entzogen werden darf (Art 16), auch nicht dem IS-Kämpfer, insbesondere nicht, wenn er oder sie damit staatenlos würde. Und eine Auslieferung eines Deutschen an ein anderes Land ist grundsätzlich verboten. Da gibt es zwar Ausnahmen – die gelten aber nur dann, wenn dabei das Rechtsstaatlichkeitsprinzip gewährleistet bleibt.

Interessant finde ich auch Art 3: Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. Das heißt: sowohl in der Exekutive als auch in der Judikative (also von Polizei/Ordnungsbehörden und vor Gericht) müssen sie gleich behandelt werden, es darf keine Rolle spielen, ob man Deutscher ist oder nicht, nett aussieht oder unsympathisch… In Absatz 2 ist die Gleichheit von Mann und Frau geregelt: das war äußerst umstritten bei den Vätern des Grundgesetzes, diesen Grundsatz haben wir dem Umstand zu verdanken, dass auch Frauen in der Kommission waren, die hartnäckig gekämpft haben. Das ist zudem ein Grundsatz, an dem immer noch zu arbeiten ist, auch wenn Männer ihren Frauen heute nicht mehr verbieten dürfen zu arbeiten. Geschlechtergerechtigkeit ist ein langer Weg. Aber immerhin: es steht im Grundgesetz.

Ab Art. 20 ist dann die Staatsordnung geregelt. Ganz wichtig: Legislative, Exekutive und Judikative sind unabhängig voneinander. Das heißt: Die Regierung darf weder die Polizei, noch die Justiz anweisen, sich anders zu verhalten, als Recht und Gesetz es hergeben. Und da finde ich in Art. 20 doch tatsächlich in Absatz 4 die ausdrückliche Erlaubnis zum Widerstand: „gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.

Und, Fridays for future aufgepasst: in Art. 20a ist ausdrücklich der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und der Tiere geregelt: auch hier sollten unsere Politiker noch mal ins Grundgesetz schauen…

Damit will ich meine Übersicht beenden. Es stehen noch viele wichtige Dinge in diesem Grundgesetz, was längst vom Provisorium zu unserer Verfassung geworden ist, die wir schützen sollten. Ich lade dazu ein, selbst mal reinzugucken: die meisten von uns haben es irgendwo im Bücherschrank…

Der Zweck heiligt die Mittel. Heiligt der Zweck die Mittel?

Es geht um den Fall Strache, der ja die Medien zur Zeit beherrscht: der Vizekanzler der FPÖ wurde in eine Situation gelockt, in der er dann versucht hat, mit einer angeblichen russischen Erbin ins Geschäft zu kommen, um die Presse in Österreich beherrschen zu können und Spenden zu erhalten.

Eins vorweg: es ist gut, das Strache zurücktritt. Es ist gut, dass es in Österreich Neuwahlen gibt – in der Hoffnung, dass sich dadurch was ändert.

Aber: darf man die „Bösen“ mit ihren eigenen Mitteln schlagen?

Bei Diskussionen im Internet erlebe ich das häufig: die einen fallen pauschal über die Zuwanderer her („Messereinwanderer“) – die anderen genauso pauschal über die Wähler von AfD und FPÖ. Die einen werden in die grünversifftelinksradikale Ecke gestellt und der „bösen, gewaltbereiten Antifa“ zu geordnet, die anderen in die rechte und als Nazis abgestempelt.

Ich finde: das geht auf keinen Fall. Wenn ich Pauschalisierung verurteile, kann ich nicht sagen: „Ihr alle pauschalisiert“ – da bin ich ganz klar. Ich diskutiere mit Argumenten, alles andere lasse ich außen vor, wenn ich unsachlich angegangen werde versuche ich das in der Regel entweder zu überhören und überlesen oder ich geh mit einem Satz drauf ein ohne den anderen zu verunglimpfen, je nachdem, was gerade passt – und bleibe dann doch ganz bei mir.

Aber wie sieht das nun aus, wenn hier rechte Politiker in die Falle gelockt werden, damit sie über sich selbst stolpern? Und ein solches Video dann punktgenau vor den Europawahlen publik wird?

Abgesehen davon, dass Strache sich jetzt als Opfer sieht – genau das ist er nicht, und sein Zurückrudern: „alkoholbedingtes Machogehabe um einer schönen Frau zu gefallen“ (wäre ich die Seine, würde ich jetzt gehen…) ist mehr als peinlich.

Und abgesehen davon, dass sich die Ersteller des Videos möglicherweise strafbar gemacht haben könnten (ich wüsste allerdings nicht genau wie, es ist zwar verboten, so vorzugehen, aber nicht alles was verboten ist, ist auch direkt eine Straftat) – das haben sie dann wohl billigend in Kauf genommen. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass das Video wohl in einem Gerichtsverfahren als Beweis zugelassen würde, weil es illegal entstanden ist.

Bleibt die Frage: darf man mit unlauteren Mitteln arbeiten, wenn man lautere Ziele hat – in einem Rechtsstaat, der Österreich ja schon immer noch ist? Darf man Menschen reinlegen, damit sie sich nachweislich so verhalten, wie man es ihnen zutraut (und vielleicht bisher nur nicht beweisen konnte). In meiner Studienzeit habe ich mich immer schon über den Einsatz von Polizeispitzeln in der Drogenszene aufgeregt: es gab damals mehrere Fälle, in der bis dahin unbescholtene Jugendliche von solchen Spitzeln so unter Druck gesetzt wurden, dass sie zu Dealern wurden, eine äußerst fragwürdige Methode wie ich finde. Ist das hier auch so ein Fall? Wahrscheinlich nicht, Herr Strache ist ein erwachsener Mensch und der einzige Druck war wohl der selbstgemachte: nach seiner eigenen Erklärung „dieser Frau gefallen und imponieren zu wollen“. Und er hat Dinge geäußert, die er noch nicht mal hätte denken dürfen – aber wie heißt es so schön: Kinder und Besoffene sagen die Wahrheit.

Aber dennoch: es bleibt ein Geschmäckle, finde ich. Wir sollten weiterhin versuchen, auf legalen, argumentativen Wegen weiterzukommen – durch genaueste Beobachtung und Offenlegung, das schon, durch prüfen jeder von den rechten Parteien vorgelegten Behauptung auf ihren Wahrheitsgehalt, das natürlich auch. Durch das Unterbinden von volksverhetzenden Aussagen durch die Medien auf ihren Seiten, durch die Betreiber von sozialen Netzwerken, und durch die öffentliche Hand, z.B. bei Versammlungen und Plakaten.

Wir sollten auch, wie es heute so viele tun, auf die Straße gehen und laut werden.

Aber ich wünschte mir, wir könnten dabei sauber bleiben: Sauber nicht nur in Bezug auf das Strafrecht, sondern in Bezug auf unser Gewissen: wir sollten ihre Mittel nicht übernehmen.

Und doch: ich freue mich über das Beben in Österreich in der Hoffnung, dass es das Schlechte zerstört und nicht das Gute.

Es bleibt ein Dilemma.

Muttertag – Gedanken im Nachgang

Diesen Text widme ich allen Frauen, die Mütter sind. All denen, bei denen das Band zwischen Mutter und Kind allzu sehr gespannt oder gar gerissen ist – aber auch den Müttern und Kindern bei denen es hält.  All den Müttern, die nicht bei ihren Kindern bleiben konnten – aus welchen Gründen auch immer. All den Frauen, die niemals Mutter werden wollten, aber es dann doch waren. Aber auch all den Frauen, die gerne Mutter geworden wären, aber kinderlos geblieben sind. All den Frauen, die sich gegen ein Kind entschieden haben und all denen, die ein oder mehrere Kinder verloren haben. All diesen Frauen wünsche ich, dass ihr Leben, wie immer es aussieht, gelingen kann.

Eigentlich hatte der Muttertag für mich nie eine besondere Bedeutung. Klar, Mutter und Schwiegermutter bekamen Blumen, eine Zeitlang ging es zum Spargelessen zur Schwiegermutter, von den Kindern kam Selbstgebasteltes – aber so richtig anfangen mit dem Tag konnte und kann ich bis heute nichts. Auch, wenn ich mich gestern sehr gefreut habe über Blumen und „Selbstgebasteltes“ und darüber, dass – wenn auch zufällig – alle Kinder zum Mittagessen da waren. Aber ansonsten denke ich: würden sie mich nicht lieben (und mir das auch immer wieder zeigen, auf die ein- oder andere Art, verschieden wie sie sind), dann wäre so ein Muttertag nur hohl und leer.

Gestern aber war er für mich ein Anstoß, einmal über das Muttersein überhaupt nachzudenken. Ich habe 3 prächtige Kinder. Sie sind inzwischen unabhängig, leben mit Partner oder alleine in der eigenen Wohnung, alle in der Nähe – und wir haben einen guten Kontakt zueinander, real und virtuell. Ich habe eine Zeitlang mein Leben um die Kinder herumsortiert, was ganz gut ging, da mein Mann genügend verdiente, dass ich nicht (voll) berufstätig sein musste. Sicher wäre mein Leben ohne die Kinder anders verlaufen, vielleicht hätte ich Karriere gemacht als Richterin – aber eigentlich bin ich mit meinem Leben ganz zufrieden.

Was aber bedeutet Muttersein für mich? Erst mal: da gibt es Menschen, die, egal wie sie sind, in meinem Herzen leben. Ich habe sie mir genau so wenig ausgesucht wie sie mich, aber wir haben uns, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, zusammengerauft und wissen: so richtig werden wir nie voneinander loskommen. Muttersein bedeutet für mich aber auch loslassen können: wir haben immer versucht, die Kinder möglichst zur Selbständigkeit zu erziehen, zur Eigenständigkeit. Und mit sanftem Druck haben wir sie nach dem Abitur auch aus der Wohnung getrieben – mit aller Unterstützung, die sie gebraucht haben, und immer war klar: wer es nötig hat, darf natürlich auch wieder einziehen.

Muttersein bedeutet: Liebe schenken, ohne wenn und aber. Muttersein bedeutet Schmerz ertragen: das habe ich selbst erlebt, als mein erstes Kind vor der Geburt starb und mein Neffe, für mich wie ein Sohn, tödlich verunglückte. Muttersein bedeutet: sich nicht zu vergessen, aber die Bedürfnisse der Kinder im Blick zu haben, soweit sie das nicht selber können. Muttersein bedeutet: aushalten können, wenn die Kinder sich anders entwickeln, als man sich das so vorgestellt hat. Muttersein bedeutet zu tolerieren, dass die Kinder eine andere Vorstellung vom Leben haben als man selbst. Muttersein bedeutet einfach: verantwortlich sein für einen Menschen, der einen nicht drum gebeten hat, geboren zu sein, der einem nichts schuldet und dem man selbst doch soviel schuldet: Liebe und Geborgenheit, Grenzen und Freiheit, die Begleitung auf dem Weg ins Leben.

Es ist ein Geschenk. Und es ist ein Geschenk, wenn es einem mit Liebe vergolten wird.