11. September: Gedenken und Hoffnung

Ground Zero

Seit 19 Jahren ist der 11. September ein Tag, an dem die Welt sich erinnert – an einen schrecklichen Terroranschlag, dem mehrere Tausend Menschen zum Opfer fielen: Menschen, die aus den brennenden Türmen sprangen, weil sie nicht verbrennen wollten, und ähnliche Szenen haben sich auf unsere Netzhaut gebrannt – selbst die, die damals noch klein waren, haben diesen Tag im Gedächtnis. Für meine Familie war er besonders nah: mein Mann war am Tag vorher nach New York geflogen, erst abends um 7 konnte er sich melden, und wir bangten lange, ob und wie er wieder nach Hause kommen würde. Unsere Jüngste war noch im Kindergarten – ich glaube, unsere Kinder haben den Tag, und die Angst, die wir hatten, genauso abgespeichert wie ich. Es war ein Tag der Apokalypse, keiner wusste, wie es weitergehen konnte. Gewalt erzeugt Gewalt – und so zog dieser Tag Drohgebärden und Kriegsgeschrei nach sich, die endgültige Einteilung der Welt in gut und böse, Terror, Krieg, Angst, Schrecken und Schuldzuweisungen nahmen zu in einer Welt, in der man doch eigentlich aufgeklärt weiter sein sollte.

19 Jahre danach: was hat sich geändert? Immer noch steht das Gedenken an diese Menschen im Fokus der Welt, in New York, in den USA, aber auch in der ganzen westlichen Welt. Und das ist richtig und wichtig. Aber der Tag mahnt auch, genauer hinzusehen: Die Opfer waren bunt gemischt: Menschen jeder Hautfarbe, Menschen aus der ganzen Welt, Christen, Juden, Muslime, Atheisten – im Tod waren und sind sie alle gleich. Auch unter den Opfer gab es sicher gute Menschen und weniger gute, Menschen, die Dreck am Stecken hatten, Menschen, die nur ihren Vorteil wahren wollten genau wie Menschen, die anderen zugetan waren, helfen wollten, für eine bessere Welt kämpften. Sie alle vereint im Tod, einem Tod durch Hass, einen Hass auf die „westliche Welt“, die als Bedrohung angesehen wurde und wohl auch noch wird – und es in Teilen sicher auch ist, denn der Westen, wie man so schön sagt, ist gut darin, den Menschen zu sagen, was richtig und was falsch ist, wie man zu leben und wie man zu glauben hat und wer wo und wie welche Rechte hat oder eben nicht.

19 Jahre danach sind wir an einer ähnlichen Katastrophe knapp vorbeigeschrammt: das Lager Moria ist abgebrannt, es lebten dort 5 mal so viel Menschen, als eigentlich „passten“ und es ist ein Wunder, dass es augenscheinlich keine Toten gegeben hat. Diesmal war es kein Terroranschlag, es wird wohl nie zweifelsfrei geklärt werden, wie es zu dem Feuer kam. Diesmal sind die Reaktionen der „westlichen Welt“, insbesondere Europas, aber deutlich anders: zwar spricht man von einer humanitären Katastrophe, gerne so, als sei sie plötzlich über uns zusammengebrochen und nicht schon lange Zeit im Entstehen. Aber statt schnell und unbürokratisch zu helfen, wird erst einmal diskutiert, wer helfen muss und wem und warum…

19 Jahre danach haben die Menschen wieder Angst: die einen berechtigt um ihr Leben, weil sie in menschenunwürdigen Zuständen dahinvegetieren, die anderen vor einer Krankheit, die sie nicht einschätzen können, vor dem Verlust ihres Wohlstandes, und vor allem vor diesen Menschen aus Moria, die vielleicht doch alle Verbrecher sein könnten und unsere Heimat in Brand setzen…

19 Jahre danach haben wir nichts, aber auch gar nichts gelernt – wir teilen die Welt immer noch ein in gut und böse, in Opfer, die an ihrem Schicksal irgendwie selbst schuld sind und Menschen wie wir, die ein Recht darauf haben, in Ruhe gelassen zu werden.

19 Jahre danach sind Menschen immer noch nicht gleich – obwohl wir der Toten von damals gedenken, ungeachtet ihres Hintergrundes, sortieren wir alle anderen ein – ja wie eigentlich?

Aber ich merke auch das Gegenteil. Ich merke auch, dass immer mehr Menschen wach werden, dass immer mehr Menschen aufhören, Menschen in irgendwelche Schubladen zu stecken, dass immer mehr Menschen kapieren, dass wir alle im Grunde gleich sind in unserer Verschiedenheit: Menschen mit dem gleichen Recht auf Leben.

Sorgen wir dafür, dass diese Erkenntnis weiter um sich greift. Gehen wir ohne Vorurteile auf andere Menschen zu, lassen uns auf ihre Andersartigkeit ein und geben ihnen einen Platz in diesem, unserem Leben. Ich glaube, das kann Kreise ziehen. Wie heißt es doch: ins Wasser fällt ein Stein, ganz heimlich still und leise, und ist er noch so klein, er zieht doch weite Kreise…

Wenn jeder von uns versucht, vorurteilsfrei auf andere Menschen zuzugehen, und jeder hilft, dass andere Menschen auch ein Recht und die Möglichkeiten hat, menschenwürdig zu leben, jeder das seine dazu tut, dass diese Welt nicht noch mehr zerstört wird und somit Verteilungskämpfe zunehmen, dann, ja dann keimt die Hoffnung, dass ein nineeleven nie wieder passieren wird.

Schlafschaf und Gutmensch

„Gutmensch“, „Erklärbär“, „Schlafschaf“, „Gretagläubige“, „Mainstreamtante“, „Medienhörig“, und, vor allem: „zu blöd zum Selberdenken“ und „nicht mal in der Lage Zähne zu putzen“, „im Leben nix erreicht“: Das ist nur ein Teil der Unterkommentare, die auf meinen gestrigen Kommentar mit Gratulation zu Greta Thunbergs neuerlichem Preis antworteten. Das ist nun wahllos herausgegriffen, Coronakommentare, das Begrüßen einer Verlängerung der Maskenpflicht, Flüchtlingspolitik: wer keine Argumente hat, greift inzwischen zu solchen Mitteln.

Eigentlich ein Grund, aufzuhören. Es ist mühsam, beleidigend, schmerzhaft, sollte man meinen, so etwas immer wieder zu lesen. Deshalb gehe ich auf solche Dinge in der Regel nicht ein.

Allerdings mache ich mir manchmal den Spaß, genauer hinzuschauen:

„Gutmensch“ ist ja eigentlich ein Kompliment: das Gegenteil von gut ist schlecht. „Erklärbär“ geht in die gleiche Richtung: es wurde schon erkannt, dass ich was erklärt habe (ich mache mich immer vorher schlau und nenne auch Quellen, wo es notwendig und möglich ist) – aber man will keine Erklärung.

„Gretagläubige“, nun ja, ich glaube an Gott. Und leider auch an den Klimawandel, und das schon seit meiner Schulzeit: bereits in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts konnte jedem klar sein, was da auf uns zukommt. Wobei glauben da das falsche Wort ist: die Wissenschaft ist sich ja einig.

„Mainstreamtante“ – nun, das bin ich ja leider nicht. Wäre ich das, würde ich ja die Mehrheitsmeinung transportieren, dem Mainstream folgen. Das aber wiederum würde bedeuten, dass die Mehrheit der Menschen was gegen den Klimawandel tun möchte, Flüchtlinge willkommen heißt, die Seenotrettung unterstützt… Leider scheint das nicht der Fall zu sein, zumindest unsere Regierung rennt da einem anderen „Mainstream“ hinterher…

„Medienhörig“ heißt – ich glaube den sogenannten „Systemmedien“, zu denen manchmal auch die BILD gehört, wenn sie etwas schreibt, dass ihren Lesern nicht passt, ansonsten ist sie eine der vielen „seriösen“ Quellen, die man so hat, neben der YouTubeUni, verschiedensten selbsternannten Superwissenschaften, Köchen, Musikern und sonstigen Menschen, die das „zerlegen“, was in den Medien, die „mich stillhalten“, so steht. Und natürlich alle mehr wissen als die eigentlichen, echten Fachleute.

„Zu blöd zum Selberdenken“ ist oft ein „Argument“ von Menschen, die ungeprüft alles teilen, was ihnen in den Kram passt – manchmal, ohne mehr als die Überschrift gelesen zu haben. Das macht dann Spaß: wenn sie ihre Quellen posten und ich ihnen anhand dieser Quelle zeigen kann, dass ich recht habe. Das ist ein bisschen, wie dicke Verbrenner an der Ampel leise und souverän mit meinem winzigen E-Auto hinter mir zu lassen…

„Schlafschaf“ – nun, manchmal wäre ich gerne ein solches. Anstatt zu lesen, versuchen mich kundig zu machen, Zuzuhören und Nachzudenken könnte ich selig schlafen, die Welt kümmerte mich nicht…

Warum, werdet Ihr nun fragen, kommentiere ich überhaupt? Manchmal frage ich mich das auch. Die Beleidigungen interessieren mich eher nicht. Meine Zähne gehen keinen was an, meine Bildung nicht und auch das nicht, was ich im Leben erreicht habe oder auch nicht. Deshalb sollen sie nur machen, sie entlarven sich selber.

Aber ich weiß, dass es auch die anderen gibt: die, die nur lesen. Die, die sich im Internet Argumente für ihre Meinung zusammensuchen: die sogenannten „stillen Mitleser“. Für die kommentiere ich. Und dafür, dass der Hass im Netz zumindest nicht unwidersprochen stehenbleibt.

Manchmal, ganz manchmal, hat man Erfolg: wenn einer, der völlig anderer Meinung ist als man selbst, die Beleidigung derer verurteilt, die doch eigentlich seine Meinungsgenossen sind. Oder wenn man eine PN bekommt, in der sich jemand bedankt. Vielleicht ja auch öfter, und man merkt es nicht?

Deshalb mach ich weiter. Damit das Netz nicht nur noch aus Hass besteht. Und weil ich lieber Gutmensch bin als Schlechtmensch.

Was ich in den letzten Tagen über Rassismus gelernt habe – und über mich

Seit Tagen wird hin und her diskutiert: was ist Rassismus? Wer ist Rassist? Und wie groß ist das Problem eigentlich bei uns?


Zur Verdeutlichung: in den USA ist die Wahrscheinlichkeit, durch die Polizei zu sterben, wenn man POC ist, deutlich höher als wenn man Weißer ist, und zwar auch dann, wenn man absolut nichts getan hat. Bei uns passiert so etwas auch, aber eher seltener. Mir geht es in meinem Text aber um etwas anderes: mit geht es um den Nährboden, der überall vorhanden ist – und ohne denn diese Probleme vielleicht deutlich leichter in den Griff zu kriegen sind. Das heißt nicht, dass das, was in den USA passiert ist und immer wieder passiert, und was es auch bei uns gibt: das Menschen anderen Gewalt antun aus dem einfachen Grund, dass sie keine Weißen sind, nicht ungleich schlimmer ist als der Alltagsrassismus, aber: so lange wir Menschen in „Rassen“ einteilen (die es ja gar nicht gibt), so lange haben wir ein Problem, eine Grundlage, auf der der Rassismus wachsen kann.

Vorab: ich bin eine weiße Frau Mitte 50, ich weiß also, dass ich das Problem nur von der Täterseite kenne – auch wenn ich natürlich schon mal diskriminiert wurde als Frau.

Und mir fallen auf Anhieb drei Begebenheiten ein, die das Problem beleuchten:

Der Sohn, der nach der Schule fragte, ob er den asiatischen Schüler x doof finden darf oder dann ein Rassist ist – da war die Erklärung noch einfach: „wenn Du das „doof“ an seinem Verhalten und seinem Charakter festmachst, darfst Du ihn doof finden, keine Frage, wenn es aber an seiner Herkunft liegt, könnte das Rassismus sein.“

Die Tochter, die nicht verstand, warum die Freundinnen aus Migrantenfamilien immer wieder über die Deutschen als blöd, doof, dumm etc herfallen durften und Witze dazu machen – der umgekehrte Witz aber Rassismus sein sollte: da war die Erklärung schon deutlich schwieriger – die Kinder waren 11. Die Freundschaft ist darüber zerbrochen, von Seiten der anderen, und ich konnte nur schwer erklären, was da passiert ist.

Und dann die junge Frau, die uns durchs „persische Köln“ geführt hat, in Deutschland geboren, Studentin, die sagt, es nervt, dass sie immer gefragt wird „wo sie wirklich herkommt“ (aus Köln) und dass man ihr ein „gutes Deutsch“ bescheinigt – nun ja, sie ist Kölnerin. Da ist es ziemlich eindeutig: dass ist der Alltagsrassismus, der nicht einmal böse gemeint ist, aber zeigt, dass im Kopf immer noch unterschieden wird: Du bist anders, also muss ich nachfragen.

Man teilt die Menschen in verschiedenen Gruppen ein, je nach Aussehen. Da kann sich sicher keiner von freisprechen, auch, wenn ich von mir behaupten kann, dass mich Aussehen überhaupt nicht interessiert – was aber wohl auch daran liegt, dass ich an einer leichten Form der Prosopagnosie, der Gesichtsblindheit leide: ich kann Gesichter, die mir nicht sehr vertraut sind, auch nicht gut erkennen. Da richtet man den Fokus wahrscheinlich generell auf andere Dinge. Ich für meinen Teil schau den Menschen gerne in die Augen, beobachte, wie sie sprechen – und was sie sagen, natürlich auch.

In den letzten Wochen habe ich oft gelesen: alle Weißen sind Rassisten. Den Satz kann und will ich so nicht stehen lassen, weil es einfach auch nicht stimmt, auch nicht unbedingt unterbewusst: Pauschalisierungen führen nie weiter. Ich schäme mich auch nicht, weiß zu sein: da kann ich nämlich nichts für. Was aber stimmt: wir haben Privilegien, derer wir uns überhaupt nicht bewusst sind. Wir haben Namen, die als „deutsch“ erkannt werden, die allermeisten sehen auch so aus, als wären sie Deutsche, und so fallen wir von vornherein schon durch bestimmte Raster: man geht einfach davon aus, dass wir, wie soll ich das mal ausdrücken, „gute Menschen“ sind, denen man Wohnungen vermietet, die man einstellt – und bei anderen geht man erst mal davon aus, dass es Schwierigkeiten gibt. Das sollten wir immer parat haben. Und auch, dass der Charakter eines Menschen nicht am Aussehen, der Herkunft, der Sprache erkennbar ist. Und wir sollten wissen, dass ein nett gemeintes „Aber wo kommst Du ursprünglich her“ genauso weh tun kann, wie ein vermeindliches Lob: „Du bist aber hübsch“ (für eine POC) oder „Du sprichst aber gut Deutsch.“ Auch das ist Rassismus.

Ich habe gelernt: wir haben ein großes Problem mit Rassismus, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, da wir nicht alle gleichbehandelt werden. Ich kenne zwei deutsche Männer, die aussehen, als wären sie Türken bzw. muslimische Südländer – die werden tatsächlich öfter kontrolliert als andere. Das muss nicht böse gemeint sein, das hat vielleicht nicht mal ein System, aber es passiert. Es passiert, weil wir in unseren Köpfen immer noch nicht klar haben, dass Mensch gleich Mensch ist.

Was da hilft: Bildung und Begegnung. Bücher lesen von und über Menschen, die eben keine privilegierten Weißen sind. Menschen kennenlernen, die als anders empfunden werden, weil sie nicht „weiß genug“ aussehen. Und der Wille, sich selbst zu reflektieren, immer wieder zu prüfen, wo man selbst Schubladen aufmacht. Und, das allerwichtigste: den Mund aufmachen, wenn wir in Situationen kommen, wo Rassismus klar erkennbar ist. Dem Rassismus entgegentreten, nicht nur bei Demos und auf dem Papier, sondern auch im wirklichen Leben.

Wenn wir das klar haben und lernen, Menschen danach zu beurteilen, wie sie sind, was sie tun, wie sie sich verhalten und nicht nach irgendeiner Schublade, dann, ja dann kann es besser werden im Zusammenleben. Dann gehen wir endlich in Richtung Gleichberechtigung, und alle Menschen, die das möchten, können bei uns eine Heimat finden.

Gedanken zu Pfingsten – nicht nur für Christen

Viele bezeichnen Pfingsten als Geburt der Kirche. Kann man machen.

Für mich ist Pfingsten zunächst einmal der Hinweis darauf, dass es geht: das Menschen sich untereinander verstehen, auch wenn sie verschiedene Sprachen sprechen.

Kommunikation ist Glücksache, heißt es so oft. Ja, die Erfahrung habe ich auch schon gemacht, denn: nicht nur in fremden Ländern werden fremde Sprachen gesprochen, sondern uns hier geht es auch oft so: wir reden, obschon beide dialektfreies Deutsch, nicht dieselbe Sprache. Mir z.B. wird oft vorgeworfen, dass ich zu juristisch denke und rede. Theologen haben oft eine theologische Sprache, die sich dem „normalen Christen“ nicht erschließt. Und Christen haben oft eine Sprache, die der Nichtchrist nicht versteht. Sozialpädagogen reden anders als Naturwissenschaftler, Menschen verschiedener Schulen oder Regionen sprechen auch verschieden. Wenn ich hier am Niederrhein sage, es schmeckt (das Essen), dann ist das ein Kompliment für den Koch, in Osttirol aber das genaue Gegenteil. Der Beispiele gibt es viele, und jeder und jede von uns kennt das aus eigenem Erleben.

Und da kommt in der Apostelgeschichte der Heilige Geist ins Spiel – er sorgt dafür, dass die Menschen in Jerusalem verstehen, was die Jünger sagen. Obwohl sie eine fremde, eine andere Sprache sprechen. Wir können das auch: wir müssen nur empfänglich dafür sein. Wir müssen uns nur klarmachen, dass der andere vielleicht nicht versteht, was uns so eindeutig klingt, weil seine Sprache nicht die unsere ist. Oder dass er was anderes meint, als wir hören. Dazu gehört ein guter Schuss Empathie, der Wille, sich auf den anderen einzulassen, und der Mut, nachzufragen, wenn wir uns missverstanden fühlen.

Und ich bin fest davon überzeugt, dass da, wo wir uns um gegenseitiges Verstehen bemühen, Frieden herrschen kann, ja, dass das eine Grundlage zum Frieden ist.

Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch

Seit einiger Zeit verfolge ich in der Presse die Art und Weise, wie von Radfahrunfällen berichtet wird – insbesondere die Rechtsabbiegerunfälle mit PKW und LKW nehmen, zumindest in meiner Wahrnehmung, drastisch zu, und das in einer Zeit, in der es doch immer wichtiger wird, dass immer mehr Menschen aufs Rad umsteigen. Da heißt es dann: Der Radfahrer „verletzte sich“ schwer, der LKW-Fahrer „übersah“ den Radler und ähnliche Formulierungen. Insbesondere stoße ich in dem Zusammenhang dann immer auf „aus ungeklärter Ursache“, dabei ist diese gerade bei solchen Unfällen in der Regel eindeutig: der KFZ-Fahrer, der LKW-Fahrer nimmt dem Radfahrer die Vorfahrt, warum auch immer. Aber diese Wortwahl setzt den verletzten oder getöteten Radler irgendwie ins Unrecht, schiebt ihm eine Mitschuld zu, verringert die eigentliche Schuld des anderen.

Und dabei fällt mir auf: ganz oft setzt schon allein unsere Wortwahl eine Interpretation fest. Insbesondere in der Diskussion um Flüchtlinge, Asylbewerber, Migranten etc fällt mir das auf. Ich meine jetzt nicht die Entmenschlichung durch Worte wie Flüchtlingswelle oder ähnliches – da ist es ja relativ eindeutig. Ich meine das, was wir wahrscheinlich alle tun, und was auch im Fernsehen und den seriösen Medien immer wieder festzustellen ist: Wir reden von uns – und von denen. Dadurch stellen wir eine Gegensätzlichkeit her, die man entweder überwinden kann oder eben nicht, je nachdem, aus welcher politischen Richtung man kommt. Wenn ich darüber spreche, dass Migranten einen größeren Beitrag zum Sozialsystem leisten, als sie daraus bekommen, so stelle ich Menschen als gewisse Bevölkerungsgruppe dar: als die, deren Eltern/Großeltern/Urgroßeltern nicht in Deutschland geboren sind, unabhängig davon, ob sie vielleicht Deutsche sind oder nicht.

Ich bin Niederrheinerin. Wenn mich jemand fragt, bin ich Deutsche (und Europäerin, aber das wieder ist eine andere Diskussion). Trägt jemand einen nicht so deutsch klingenden Namen, so geht in unseren Köpfen sofort die Schublade „Migrant“ auf, erst recht, wenn er nicht so aussieht, wie man sich einen Deutschen vorstellt. Und da kann er noch so Deutscher sein wie ich, er ist immer auch „einer von den anderen“. Und damit ist er derjenige, der die Bringschuld hat: er muss sich integrieren, und es spielt keine Rolle, ob ich da einen weiten oder engen Integrationsbegriff bis hin zur Assimilation verfolge. Ein deutscher Jude bleibt immer auch Jude und damit irgendwie nicht richtig deutsch, obwohl seine Vorfahren vielleicht trotz aller Widrigkeiten schon immer in Deutschland gelebt haben, das gleiche gilt erst recht für einen deutschen Muslim, so er nicht als Deutscher zum Islam konvertiert ist. Dabei interessiert auch nicht, ob sie in Wirklichkeit religiös sind oder eher nicht. Ich dagegen muss mich nie als Christin outen und werde es auch nicht, wenn ich es will.

Wir machen da, ob wir es wollen oder nicht, Unterschiede, und diese Unterschiede führen dazu, dass wir unterschiedliche Erwartungen haben und Eindrücke, egal, ob wir wohlwollend oder bösgläubig sind. Sie führen dazu, dass wir das Gegenüber nicht einfach als Menschen wahrnehmen, sondern in Kategorien einordnen, die im Kontext eigentlich gar keine Rolle spielen, diesen aber verändern.

Und das fällt dann auf, wenn wir plötzlich von Jugendlichen, deren Vorfahren etwa aus der Türkei stammen, erwarten, dass sie sich hier wie „Gäste“ verhalten und daher höhere Ansprüche an sie stellen als an von uns als Deutsche erkannte Gleichaltrige, die ja genauso wenig alle Engel sind.

Ich meine, das ist genau das, was wir überwinden müssen. Jeder Mensch ist einzigartig, sicher nicht aus seinem kulturellen Kontext zu lösen, aber mit den gleichen Rechten zu leben ausgestattet. Auch mit den gleichen Pflichten, natürlich. Aber eben mit exakt denselben. Nicht mit mehr, nur weil sein Name unseren Ohren fremd klingt, oder sein Aussehen nicht vertraut ist.

Hören wir auf, die Menschen einzuteilen. Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch.

Was ihn ausmacht, ist sein Charakter. Und nur darauf kommt es an. Und dann stellen wir fest: es gibt überall sonne und solche.

75 Jahre nach Kriegsende

Kriegsende. 8. Mai 1945

Ich stelle es mir mal vor, so, wie es die Mitglieder meiner Familien erlebt haben müssen, die gerade keine Mitläufer waren: endlich raus aus der Angst, endlich wieder frei leben können.

Und es war Frühling, die Natur wagte einen Neuanfang – das half.

Die Situation damals war sicher alles andere als gut: zu wenig Nahrungsmittel, die Familie meiner Mutter nach dem Großangriff auf Krefeld einquartiert bei, Gott sei Dank wohlwollenden, Verwandten in St. Tönis: beengte Verhältnisse, Mangel überall, aber, wie sagte meine Mutter, damals 14 heute Morgen: „es war eine Befreiung. Die grässlichen Nazis waren weg, wir mussten keine Angst mehr haben, dass uns irgendein Nachbar, Verwandter oder vermeintlicher Freund anzeigte wegen irgendwelcher Kleinigkeiten“ Und die Hoffnung stieg, dass die Soldaten zurückkehren mögen – meine Großväter haben den Krieg alle überlebt.

8.Mai 2020

75 Jahre später. Wir können uns den Mangel, der damals herrschte, und die Angst, die umging, heute überhaupt nicht vorstellen. Dennoch vergleichen viele Menschen unsere heutige Situation mit dem Krieg: Ausgangssperren, man kann nicht alles kaufen (nun ja, Klopapier und Desinfektionsmittel, Mehl und Hefe – aber keiner, der in halbwegs geregelten Verhältnissen lebt, musste auch nur ansatzweise hungern, und da es Wasser und Seife gibt, konnte man sich dennoch gut reinigen…)

Immer lauter werden die Stimmen, man solle endlich vergessen. Einen Schlussstrich ziehen. Ich meine, gerade das darf nicht geschehen. Schon an den Vergleichen der Kontaktbeschränkungen mit der Nazizeit kann man erkennen, dass man eher gedenken sollte – so, dass es bei allen ankommt.

Was wissen wir heute schon, wie sich Krieg anfühlt? Deshalb ja können wir auch sagen, die Flüchtlinge sollen lieber für ihr Land kämpfen und es wiederaufbauen, so wie unsere Eltern und Großeltern das getan haben – wie sagte meine Mutter: „hätten wir weggekonnt, wir wären geflohen“

Was wissen wir heute schon davon, wie die Angst gewesen sein muss? Sicher heute gibt es auch Nachbarn, die das Ordnungsamt anrufen, weil sie glauben, da halte sich jemand nicht an die Coronaregeln. Aber ist das wirklich das gleiche? Was erwartet einen denn? Im schlimmsten Fall ein Bußgeld, in den Knast kommt man höchstens als infizierter Flüchtling aus einer Massenunterkunft, wenn man sich gegen die Unterbringung mit Gesunden wehrt…

Ich fühle mich nicht schuldig an dem, was in der Nazizeit in Deutschland passiert ist. Nicht nur, weil meine Vorfahren keine Mitläufer waren, sondern auch, weil ich mit Mitte 50 einfach zu jung bin, um schuldig zu sein. Ich fühle mich aber verpflichtet, die Erinnerung ins Gedächtnis zu rufen: die Erinnerung daran, dass entsetzliche Taten geschehen sind, nur weil Menschen einen anderen Glauben hatten oder später, als es dann auch die Konvertiten gab, einfach nur die falschen Vorfahren (denn Deutsche waren es ja, seit Jahrhunderten waren die Familien in Deutschland ansässig). Nur, weil Menschen eine andere sexuelle Ausrichtung hatten als üblich. Nur weil Menschen sich sozial für andere engagierten. Nur weil Menschen ihre Meinung laut äußerten (ja, das darf man heute in Deutschland. Manchmal bekommt man starken Widerspruch, und Hass ist keine Meinung, aber man darf die Regierung kritisieren wie man will…) Oder weil sie dem falschen, angeblich minderwertigen Volk angehörten. Oder….

Am 8.Mai wurde Deutschland vom Naziregime befreit. Nicht von den Nazis, sicher nicht. Aber von diesem Regime, das versucht hat, die Welt zu unterdrücken und ganze Völkerscharen auszurotten. Das Menschen in lebenswertes und lebensunwertes Leben einteilten.

Am 8.Mai wurde Deutschland und die Welt vom Naziregime befreit. An uns ist es heute, Deutschland auch endlich von den Nazis zu befreien – und der ganzen Welt zu zeigen, dass ein Miteinander in Frieden und Freundschaft lebenswerter ist als Abgrenzung nach außen.

Die Zeitzeugen werden älter und weniger: meine Mutter wird demnächst 90, und sie gehört ja zu den Kindern der Nazizeit. Sie hat auch erzählt, wie leicht für Kinder die Verführung war: die Freundin, ein Jahr älter und damit ein Jahr früher im BDM erzählte immer vom Turnen – der Jahrgang meiner Mutter machte nur langweiligen Kram, so dass sie nach anfänglichem Enthusiasmus zur Erleichterung ihrer Eltern nicht mehr hinwollte. Deshalb müssen wir uns erinnern und diese Erinnerung an die kommenden Generationen weitergeben, intensiv und frühzeitig: damit schon die Schüler verstehen, wie fatal es damals war.

Deshalb bin ich dafür, den 8.Mai zum Feiertag zu machen: Der Tag der Befreiung der Welt von den Nazis, als Zeichen, dass der Kampf gegen den Faschismus nie enden darf.

Gedanken zu Corona

Corona, Corona über alles – sorry, so kommt es mir inzwischen vor.

Vorab: ich bleibe fast immer zu Hause, mein Mann, der eh arbeitet, macht die Außenkontakte.

Wir haben meine Eltern im Haus, wir sind vorsichtig.
Ich hadere auch nicht mit all den Maßnahmen an sich, die angeordnet werden. Ich habe weder das Gefühl, in einer Diktatur zu leben, noch dass die Meinungsfreiheit abgeschafft ist.
Dennoch scheint es verpönt, sich Gedanken über die andere Seite der Maßnahmen zu machen. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich mich traue, diesen Text zu veröffentlichen.
Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich etwaigen Spott und Beschimpfungen, Ablehnung auch durch Personen, die ich schätze, aushalte.
Aber es muss erlaubt sein, über die Kehrseite der Maßnahmen nachzudenken.

Ich muss in letzter Zeit immer häufiger an ein menschenverachtendes Experiment denken, dass Friedrich II zugeschrieben wird: er ließ Babies in zwei Gruppen aufteilen, die eine ohne Ansprache und mehr als die notwendigsten Berührungen, die anderen mit liebevollen Ammen, die sich „normal“ um sie kümmerten. Die Kinder aus der ersten Gruppe starben.

Das Beispiel ist weit hergeholt, keine Frage. Aber es zeigt doch deutlich, was in unserer Gesellschaft vielen Menschen seit Wochen fehlt: direkte, reale menschliche Zuwendung. Ich habe einen Mann, der mich in den Arm nimmt, und meine Eltern im Haus. Ich gehe regelmäßig zur Physiotherapie – damit hat es sich dann. Immerhin habe ich in der Zeit mehrere Freundinnen und Freunde und auch jedes meiner Kinder einmal auf Abstand sehen können – ich bin also deutlich glücklicher dran als viele andere.
Und genau darum geht es mir jetzt: die Familien, die am Ende ihrer Kräfte angekommen sind. Die Kinder, die jetzt noch mehr abgehängt sind, weil ihre Eltern ihnen nicht bei der „Schule zu Hause“ helfen können – oder denen gar das Equipment fehlt, um am virtuellen Klassenzimmer, so es denn existiert, teilnehmen zu können. Die Familien, in den Gewalt eskaliert, die Opfer, die ihren Peinigern nicht mehr wenigstens stundenweise entfliehen können, die Menschen, die sich vor Ausweglosigkeit das Leben nehmen. Die, die Depressionen entwickeln und die, deren physische Erkrankungen sich verstärken. Die an anderen Krankheiten erkrankten, die sich aus Angst vor Ansteckung nicht zum Arzt trauen, deren Operationen verschoben wurden, die sich lebensnotwendigen Behandlungen nicht unterziehen können – aus Angst oder weil der Arzt den Termin abgesagt hat – letzteres geschieht auch in vielen Fällen bei doch angeblich so notwendigen Vorsorgeuntersuchungen.
Die, die nicht damit klarkommen, dass ihr Therapeut nur noch Bildschirmtherapie anbietet. Die, die an Einsamkeit zu Grunde gehen, die alleine sterben, weil (längerer) Besuch in Krankenhäusern und Senioreneinrichtungen auch im Sterbefall nicht erlaubt ist, und alle, die einen geliebten Toten nicht würdig beerdigen können und damit nicht gut trauern vermögen.
Ich könnte diese Liste jetzt noch endlos weiterführen, es fehlen noch alle die, für die die Krise vielleicht das wirtschaftliche Ende bedeutet, und, und, und.
Bei all dem mag es sich um Minderheiten handeln – zusammen sind es viele menschliche Schicksale, die man sicher nicht aufrechnen kann gegenüber Coronatoten oder solchen, die bleibende Schäden zurückbehalten: aber Tote sind tot, egal auf welche Art und Weise sie gestorben sind und bleibende Schäden sind auf beiden Seiten zu erwarten.
Vorsicht: ich will nicht, dass jetzt alle Maßnahmen ausgesetzt werden und alles wieder wird wie vorher. Was ich möchte, ist, dass darüber nachgedacht wird. Und was ich mir wünschen würde, ist, dass die Wissenschaftler, Politiker und Journalisten, die darüber nachdenken (und ich meine ausdrücklich nicht die Verschwörungstheoretiker, genauso wenig wie die, die meinen, die „Alten“ müssten halt „geopfert werden“) genauso ernst genommen werden wie die Virologen – denn es geht beiden um die Menschen – oder zumindest auch um die Menschen.
Das das nicht geschieht, sieht man daran, dass für Fußballer alle drei Tage eine Testung ins Auge gefasst wird, damit der Spielbetrieb wieder losgehen kann – aber nicht einmal für Kontaktpersonen, wenn diese keine Symptome haben: ich dachte, wir tragen Masken, weil auch symptomfreie Menschen ansteckend sein können?

Und dann ist da noch die rechtliche Seite. Immer mehr Gerichte entscheiden, dass die Maßnahmen so in ihrer Gänze, ohne definierten Endpunkt, ständige Überprüfung ihrer Notwendig- und Verhältnismäßigkeit, nicht rechtens sind – und werden dafür ebenfalls an den Pranger gestellt.
Gerade in diesem Bereich herrscht Willkür: warum ist eine Menschenkette auf Abstand und mit Maske im Braunkohlerevier verboten, rechte Demonstranten aber lässt man gewähren? Wo ist da die Verhältnismäßigkeit?

Nochmal: ich rufe nicht danach, sofort alles abzubrechen. Ich möchte genau wie jeder andere, dass unser Gesundheitssystem in der Lage bleibt, die Pandemie zu beherrschen.
Für mich sind Virologen Wissenschaftler, die nicht dauernd ihre Meinung ändern, sondern die auf Grund neuer Erkenntnisse zu neuen Einschätzungen kommen.

Ich behaupte auch nicht, die Lösung zu kennen.

Was ich möchte, ist, dass die Diskussion sachlicher wird, das beide Seiten in den Blick genommen werden und somit immer mehr Anordnungen auf Sinn, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit überprüft werden – und das fortdauernd.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen, letzter Teil: Ostermontag 2020

Die Emmausgeschichte. Sie geht, in Kurzform, ungefähr folgendermaßen: Zwei Jünger wenden Jerusalem nach Jesu Tod den Rücken zu und gehen, traurig, enttäuscht und mutlos nach Hause. Da kommt ein Fremder zu ihnen, diskutiert mit ihnen, gibt ihnen ihren Mut zurück – und erst, als er weg ist, merken sie, dass es Jesus war.

Ich werde oft gefragt, was mir mein Glaube bedeute, über die Nachfolge Jesu in Sachen Nächstenliebe etc. hinaus. Warum ich Kerzen anzünde und für mich oder andere bete, ob ich denn glaube, dass Gott dann vor Unheil bewahrt? Wenn jemand zu früh stirbt: „Wo ist denn jetzt Dein Gott“? Mit dem Blick aufs Mittelmeer: „Wo ist er da, Dein Gott, beten die Menschen nicht genug?“

Mir scheint, er ist da, wenn wir es nicht merken, ähnlich wie in der Emmausgeschichte, als die Jünger hinterher merken „brannte uns nicht das Herz…“

Was mich trägt, ist Gottes Beistand. Das Gefühl, nicht alleine zu sein, dass man, wenn man sich drauf einlässt, wirklich merken kann. Ich habe das Glück, genau das gemerkt zu haben zu einer Zeit, als sich meine Gewissheiten gerade auflösten: ich merkte, es kommt, wie es kommt. Aber ich bin nicht alleine.

Das ist etwas, was man nicht erklären kann. Das ist etwas, was man oft erst hinterher merkt: meine Mutter sagt: „es wird irgendetwas Gutes draus werden, nicht so, wie wir es wollen, aber es wird“ und versichert mir, dass das die Erkenntnis ihres Lebens ist.

Ist es nicht oft in der Rückschau so? Sicher nicht immer, sicher stecken wir oft auch so tief in Not und Verzweiflung fest, dass wir es gar nicht merken, vielleicht auch nicht im Nachhinein. Dennoch glaube ich: wir sind nicht allein, und wer um Beistand bittet, der wird ihn auch erhalten. Nicht in Form eines Gottes, der aktiv in unser Leben eingreift – an so einen Gott habe ich nicht mal als Kind geglaubt. Aber Gott kann uns Stärke geben und Kraft, die Situation, die Not, die Verzweiflung auszuhalten oder zu überwinden, je nachdem.

Und Gott ist bei denen, die seiner bedürfen. Er ist, jetzt, an Ostern, bei denen, die im Mittelmeer ertrinken, weil wir wegen Corona die ohnehin unzureichende Rettung ganz eingestellt haben. Er ist nicht bei denen, die ihre Häfen zu unsicheren Häfen erklären, weil man dort Corona fangen könnte – und es offensichtlich richtiger finden, dass die, die man angeblich schützen will, ertrinken. Er ist nicht bei denen, die große Reden schwingen und die vergessen, die nicht im Fokus sind. Er ist auch nicht bei denen, die Nächstenliebe predigen – diese aber nur bestimmten Leuten zukommen zu lassen.

Er ist bei denen, die seinen Beistand benötigen. Bei uns, und überall auf der Welt, da, wo Menschen sich, und sei es auch nur in der Not, auf ihn einlassen. Da ist er, unser Gott, Jesus, Heiliger Geist, da ist Allah, Jehova oder wie wir ihn auch immer nennen. Und damit ist er auch bei uns – wir müssen uns nur drauf einlassen und ihn einladen, so, wie die Emmausjünger es getan haben.

Das bedeutet mein Glaube mir, deshalb bete ich für mich und andere und zünde Kerzen an: ich glaube an einen Gott, der uns stärkt, der uns begleitet. Bis tief hinab in die Hölle unseres Lebens.

Damit beende ich nun meine Gedanken zu den Kar- und Ostertagen, auch, wenn mir sicher noch vieles dazu einfallen würde.

Bleibt alle gesund, habt Kraft, diese und alle Krisen Eures Lebens zu überstehen und seid gewiss: Ihr seid nicht alleine.

Auferstehung 2020

Ostern 2020

Corona hat die Welt im Griff

Kotaktsperren

Ausgangssperren

Haltet Abstand

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern 1944

Der zweite Weltkrieg hat die Welt im Griff

Ausgangssperren

Verdunkelungen

Bomben fallen

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern im 20./21. Jahrhundert

Kriege und Klimawandel halten die Welt im Griff

Nicht genug zu essen

Nichts zu trinken

Dürrekatastrohphen

Schüsse fallen

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Ostern zur Zeit Jesu

Sklaverei

Kriege

Unterdrückung

Hass

Menschen sterben

Keine Zeit um Ostern zu feiern!?

Jesus ist auferstanden.

Für uns Menschen

Die Hoffnung auf Auferstehung

Steht über dem Tod.

Zeit, Ostern zu feiern

Heute, hier und jetzt:

Zeit, Ostern zu feiern.

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Ostersamstag 2020

Ostersamstag – in der Kirche der Tag, an dem nichts passiert. In manchen Kirchen kann man das sogenannte Grab Jesu besuchen und daran beten – Gottesdienste gibt es bis zur Osternacht keine. Der Tag der Grabesruhe.

Für mich der Tag, der mit unserer jetzigen Situation vielleicht am meisten zu tun hat: die Grabesruhe, aber eine Grabesruhe, die endlich ist. Mit der Auferstehung verlässt Jesus das Grab. Wann wir die jetzige Grabesruhe verlassen, weiß keiner. Aber genau wie wir wissen, das Jesus auferstanden ist, wissen wir, dass die jetzige Situation mit ihren Kontaktsperren und Empfehlungen, doch zu Hause zu bleiben, mit dem Verbot von Veranstaltungen und Gottesdiensten, geschlossenen Schulen und Unis, aber auch geschlossenen Restaurants, Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen, Besuchsverbot in Senioren- und Pflegeheimen und in den allermeisten Krankenhäusern auch auf der Palliativstation, die uns allen so sehr zusetzt, egal, ob wir mit den Maßnahmen bis ins letzte einverstanden sind oder nicht, dass diese Situation ein Ende haben wird. Das ist die Hoffnung, die ich allen wünsche: irgendwann ist das alles vorbei. Vielleicht erlebe ich es nicht mehr, ist ein Gedanke, der wohl vor allem die Ältesten unter uns nicht fremd ist, aber sicher ist, es wird irgendwann vorbei sein.

Und das ist das, was Jesu Grabesruhe mit den jetzigen Zeiten verbindet: es gibt eine Hoffnung. Sei es nun auf Herdenimmunität, Medikament oder Impfstoff – es wird ein Ende kommen, und es wird irgendwie weitergehen.

Die Jünger hätten diese Hoffnung haben können. Schließlich hatte Jesus oft genug davon gesprochen. Sie hatten sie aber nicht – sie weinten um ihn. Auch da sehe ich eine Perspektive: wir wissen, dass ein Ende kommen wird – nur nicht wann und wie. Aber wir haben Angst: Angst davor, die Zeit nicht zu überstehen, Angst um Angehörige oder uns selbst, Angst vor der Zukunft. Genau, wie die Jünger damals. Diese Angst ist real, sie ist auch berechtigt, ich selbst habe sie durchaus auch. Aber ich möchte Mut machen, die Hoffnung jenseits der Angst zu finden, die Hoffnung auf eine Auferstehung zum Leben nicht nur nach unserer Zeit, sondern hier in dieser Welt. Die Hoffnung darauf, dass das Leben wieder kommen wird, anders, aber Leben. Das kann die Sorge um die Zukunft nicht ausräumen. Die Jünger haben sich weiter versteckt, auch, als sie wussten, das Jesus auferstanden ist, und wir werden uns weiter Gedanken machen müssen darum, wie es weitergehen kann.

Aber ich hoffe einfach, dass es uns gelingt, auf diesem Weg alle mitzunehmen. Alle mitzunehmen zu dem Silberstreif am Horizont, der da heißt: Es wird weitergehen. Irgendwie.

Ich wünsche Euch allen und mir, dass es uns gelingt, die Hoffnung über die Angst zu stellen, dass es uns gelingt, getragen von dieser Hoffnung, weiter alles dafür zu tun, dass möglichst viele Menschen hier in diesem irdischen Leben überleben können – denn das ist zutiefst christlich.

Und allen, die darunter leiden, die Osterfeiertage nicht wie gewohnt gemeinsam begehen zu können, die meinen, Ostern wäre abgeschafft, wünsche ich, dass sie erkennen können, dass Jesus keine Gottesdienste braucht, keine großen Foren, damit er auferstehen kann. Es war keiner dabei. Er war ganz alleine in seinem Grab, und ist dennoch auferstanden.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen eine Spur dieser zu tiefst christlichen, aber doch auch so menschlichen Hoffnung, damit die Angst Euch nicht im Griff hat.