Hoffnung

Für eine von mir mitbetreute Facebookgruppe, in der es darum geht, sich in diesen Zeiten gegenseitig zu helfen, wurde ich gebeten, nach dem Ergebnis der Ministerkonferenz etwas aufmunterndes zu schreiben, vielleicht mit Blick auf die Bibel.
Ich habe den Stab mal aufgenommen – auch, um meine eigenen Gedanken zu sortieren. Ich bin und war wütend, wütend auf die Regierung, wütend auf Politiker, die solche Katastrophen wie Kassel zulassen und denen nichts anderes einfällt als eine Notbremse zu ziehen, die den Namen nicht verdient, da sie eine Kollision nicht verhindern wird: Notbremsen zieht man sofort, meinetwegen mit kurzem Vorlauf, aber nicht erst in anderthalb Wochen.

Und dann kommt mir jemand mit der Bibel…

Ich habe also versucht, runterzukommen. Und lande dann bei drei Texten, die mir persönlich was bedeuten. Das eine ist, etwas verfrüht, ein Auferstehungsevangelium: „Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. (…)“ (Joh 20,11ff) Hoffnungslosigkeit pur. Keine Aussicht auf irgendwas. Schon der Tod Jesu lässt alle Träume enden, und nun, als sie ihm die letzten Dienste tun will, ist der Leichnam auch noch gestohlen. Und dann kommt es völlig anders, als sie es sich auch nur geträumt hätte:

Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war. Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du?Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen. Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister.“

Aus der tiefsten Hoffnungslosigkeit wird sie herausgeholt. Und ich denke, dass kennen wir auch in unserem Leben: wenn es total finster aussieht, und wir nicht mehr ein und aus wissen, dann kommt oft irgendwo ein Lichtlein her, dass zwar nicht unbedingt alles wieder ins rechte Lot setzt, dass uns aber doch wenigstens die Hoffnung zurückgibt. Und ja, ich weiß, wovon ich rede, diese totale Finsternis habe ich in meinem Leben selbst schon erlebt.

Die zweite Stelle, die mir einfällt, ist der Gang der Jünger nach Emmaus: auch da totale Hoffnungslosigkeit, auch da ein Erkennen.

Und dann, das war mein erster Gedanke: Psalm 23 „Der Herr ist mein Hirt, nichts wird mir fehlen. Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser. Meine Lebenskraft bringt er zurück. Er führt mich auf Pfaden der Gerechtigkeit, getreu seinem Namen. Auch wenn ich gehe im finsteren Tal, ich fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab, sie trösten mich. Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde. Du hast mein Haupt mit Öl gesalbt, übervoll ist mein Becher. Ja, Güte und Huld werden mir folgen mein Leben lang und heimkehren werde ich ins Haus des Herrn für lange Zeiten.“

Wenn wir uns also abgeregt haben, wenn wir neu schauen, wie es weitergehen kann, dann denke ich, wird sie auch wieder erscheinen, die Hoffnung:

Hoffnung
Im Dunkel ahnt man es doch
Das Licht wird kommen
Es bricht sich Bahn
Durch die Finsternis der Nacht
Durch die Nebel der Hoffnungslosigkeit
Durch die Wolken der Angst
Auf einmal bricht es sich Bahn
Ein Strahl nur oder mehr
Ein winziges Wolkenloch
Die Sonne ist da
Auch wenn sie verdeckt ist
Man ahnt es doch
Das Licht wird kommen

Mehr kann ich Euch heute nicht geben. Mehr habe ich selbst nicht.

Coronablues am Rhein

Gestern stand ich am Ufer des steigenden Rheins. Und schaute so auf die gewaltigen Fluten. Und da kam mir folgender Gedanke:

Seit 30 Millionen Jahren fließt dieser Fluss Richtung Nordsee. Er hat seinen Verlauf mehrfach geändert, sein Aussehen, seine Länge, seine Wassermenge – aber er war immer da. Von den Kelten wurde er als Vater Rhein verehrt – die Bezeichnung hat sich bis heute gehalten. Der Name Rhein kommt wohl schlicht und ergreifend von fließen – und geht auf eine indogermanische Wurzel zurück, aus der sich auch das altgriechische Wort ῥέω [reo] (fließen), das lateinische Wort rivus (Fluss) und heutige Worte wie river und rio entwickelten, auch das deutsche Wort rinnen kommt wohl daher.

Der Rhein war also immer „der Fluss“. Er war ein Anlass für romantische Dichtungen und auch schon früh Touristenmagnet, zu einer Zeit, als es Touristen noch gar nicht gab.

Der Rhein war immer schon Transportstraße, er hat Menschen miteinander verbunden und auch dafür gesorgt, dass das Rheinland bunt und multikulturell wurde. Echte Rheinländer:innen haben eine buntschillernde Ahnenreihe – deshalb galt das Rheinland lange auch als sehr tolerant, Köln zumindest ist es bis heute, Krefeld nahm als religionsfreie Stadt Menschen aus aller Herren Länder auf, die wegen ihrer Religion verfolgt wurden, und die Vergangenheit war genauso bunt, wie es hoffentlich die Zukunft ist.

Der Rhein hat Menschen miteinander verbunden, aber auch voneinander getrennt: ihn zu überqueren war nicht leicht, und Brücken wurden immer mal wieder vom Hochwasser mitgerissen oder vom Feind zerstört – wie schwierig dieser Brückenbau bis heute ist, kann man an den verschiedenen Autobahnen erkennen – kaum eine Rheinbrücke, die noch in absolut Ordnung ist, jedenfalls von Koblenz aus rheinabwärts.

Der Rhein gab auch Nahrung, bis in die fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts hinein gab es Fischfang an seinen Gestaden – und jetzt, Gott sei Dank, ist er auch wieder Lebensraum für Fische geworden.

Er kann grausam sein: wenn er sein Bett verlässt, reißt er gerne mal alles mit, was ihm im Weg steht – und er kann lieblich dahinplätschern. Vor zwei Jahren war er so niedrig wie nie, die Mahnung an uns, endlich zu erkennen, wie wir mit unserer Erde umgehen, ein Zeichen von unendlicher Trockenheit.

Aber eins blieb immer gleich: der Rhein floss und fließt dahin, mal langsam, mal wild und schnell, völlig unbeeindruckt von dem, was um ihn rum passiert. Wenn der Weg verbaut wurde wie z.B. durch die Vulkane der Eifel, dann suchte er halt einen anderen. Wenn man ihm den Platz nahm, in dem man versuchte, ihn zu kanalisieren, dann nahm er ihn sich halt.

Was das mit uns zu tun hat: vielleicht gucken wir uns etwas davon ab. Vielleicht versuchen wir, weniger auf das zu achten, was uns stört, sondern konzentrieren uns aufs Wesentliche: auf den Lebensfluss. Die Welt wandelt sich, Gutes passiert, Schlimmes passiert – und wir leben weiter, Tag für Tag, Schritt für Schritt. Versuchen wir, das mit der Ruhe dieses Flusses zu tun, nicht träge, nicht im Stillstand, fließend, aber den Blick aufs Ziel gerichtet. Und vielleicht erkennen wir dann, wo der Weg gangbar wird für uns.

Hoffnung

Im Dunkel ahnt man es doch

Das Licht wird kommen

Es bricht sich Bahn

Durch die Finsternis der Nacht

Durch die Nebel der Hoffnungslosigkeit

Durch die Wolken der Angst

Auf einmal bricht es sich Bahn

Ein Strahl nur oder mehr

Ein winziges Wolkenloch

Die Sonne ist da

Auch wenn sie verdeckt ist

Man ahnt es doch

Das Licht wird kommen

Gedanken zu den Kar- und Ostertagen: Ostersamstag 2020

Ostersamstag – in der Kirche der Tag, an dem nichts passiert. In manchen Kirchen kann man das sogenannte Grab Jesu besuchen und daran beten – Gottesdienste gibt es bis zur Osternacht keine. Der Tag der Grabesruhe.

Für mich der Tag, der mit unserer jetzigen Situation vielleicht am meisten zu tun hat: die Grabesruhe, aber eine Grabesruhe, die endlich ist. Mit der Auferstehung verlässt Jesus das Grab. Wann wir die jetzige Grabesruhe verlassen, weiß keiner. Aber genau wie wir wissen, das Jesus auferstanden ist, wissen wir, dass die jetzige Situation mit ihren Kontaktsperren und Empfehlungen, doch zu Hause zu bleiben, mit dem Verbot von Veranstaltungen und Gottesdiensten, geschlossenen Schulen und Unis, aber auch geschlossenen Restaurants, Spielplätzen und Freizeiteinrichtungen, Besuchsverbot in Senioren- und Pflegeheimen und in den allermeisten Krankenhäusern auch auf der Palliativstation, die uns allen so sehr zusetzt, egal, ob wir mit den Maßnahmen bis ins letzte einverstanden sind oder nicht, dass diese Situation ein Ende haben wird. Das ist die Hoffnung, die ich allen wünsche: irgendwann ist das alles vorbei. Vielleicht erlebe ich es nicht mehr, ist ein Gedanke, der wohl vor allem die Ältesten unter uns nicht fremd ist, aber sicher ist, es wird irgendwann vorbei sein.

Und das ist das, was Jesu Grabesruhe mit den jetzigen Zeiten verbindet: es gibt eine Hoffnung. Sei es nun auf Herdenimmunität, Medikament oder Impfstoff – es wird ein Ende kommen, und es wird irgendwie weitergehen.

Die Jünger hätten diese Hoffnung haben können. Schließlich hatte Jesus oft genug davon gesprochen. Sie hatten sie aber nicht – sie weinten um ihn. Auch da sehe ich eine Perspektive: wir wissen, dass ein Ende kommen wird – nur nicht wann und wie. Aber wir haben Angst: Angst davor, die Zeit nicht zu überstehen, Angst um Angehörige oder uns selbst, Angst vor der Zukunft. Genau, wie die Jünger damals. Diese Angst ist real, sie ist auch berechtigt, ich selbst habe sie durchaus auch. Aber ich möchte Mut machen, die Hoffnung jenseits der Angst zu finden, die Hoffnung auf eine Auferstehung zum Leben nicht nur nach unserer Zeit, sondern hier in dieser Welt. Die Hoffnung darauf, dass das Leben wieder kommen wird, anders, aber Leben. Das kann die Sorge um die Zukunft nicht ausräumen. Die Jünger haben sich weiter versteckt, auch, als sie wussten, das Jesus auferstanden ist, und wir werden uns weiter Gedanken machen müssen darum, wie es weitergehen kann.

Aber ich hoffe einfach, dass es uns gelingt, auf diesem Weg alle mitzunehmen. Alle mitzunehmen zu dem Silberstreif am Horizont, der da heißt: Es wird weitergehen. Irgendwie.

Ich wünsche Euch allen und mir, dass es uns gelingt, die Hoffnung über die Angst zu stellen, dass es uns gelingt, getragen von dieser Hoffnung, weiter alles dafür zu tun, dass möglichst viele Menschen hier in diesem irdischen Leben überleben können – denn das ist zutiefst christlich.

Und allen, die darunter leiden, die Osterfeiertage nicht wie gewohnt gemeinsam begehen zu können, die meinen, Ostern wäre abgeschafft, wünsche ich, dass sie erkennen können, dass Jesus keine Gottesdienste braucht, keine großen Foren, damit er auferstehen kann. Es war keiner dabei. Er war ganz alleine in seinem Grab, und ist dennoch auferstanden.

In diesem Sinne wünsche ich Euch allen eine Spur dieser zu tiefst christlichen, aber doch auch so menschlichen Hoffnung, damit die Angst Euch nicht im Griff hat.