Weltflüchtlingstag 2023

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag.

Weltweit sind zurzeit ca. 110 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als je zuvor. Die Gründe sind vielfältig: Krieg und Vertreibung, lokale Konflikte und Gewalterfahrung, Diskriminierung und Verfolgung durch den Staat oder lokale Extremisten, aber auch Naturkatastrophen, Dürre, Überschwemmungen, Anstieg der Meere – alles, was dazu führt, dass Menschen dort, wo sie leben, keine Zukunft mehr haben. Die allermeisten von ihnen (ca. 58 %) bleiben im eigenen Land, viele drängen über die Grenze ins Nachbarland, in dem oft ebenfalls die Bedingungen schlecht sind, und versuchen so zu überleben und eine Zukunft zu bekommen. Darüber hinaus sind die drei größten Aufnahmeländer die Türkei mit 3,6 Millionen, der Iran mit 3,4 Millionen und Kolumbien mit 2,5 Millionen. 2,3 Millionen Menschen sind als Flüchtlinge und Vertriebene seit 1950 nach Deutschland gekommen, dazu gehören auch z.B. Vertriebene aus dem Osten (z.B. sogenannte „Russlanddeutsche), ca. 1 Million. Oder auch europäische Asylbewerber, z.B. aus dem Spanien Francos.
Die in den letzten Jahrzehnten Zugewanderten sind im Schnitt 40 Jahre alt, 41 % sind Frauen. (Quellen: Statistisches Bundesamt und UNO-Flüchtlingshilfe.)
So weit die trockenen Zahlen.

Viele Menschen haben Angst vor Geflüchteten, Vorurteile „alles junge aggressive Männer mit Messern, die es auf unsere Frauen abgesehen haben“ grassieren nicht nur im Internet. Ich fahre mehrmals die Woche mit dem Zug nach Bochum, im Zug herrscht fröhliches Sprachenwirrwar und auch an der Ruhruni gibt es viele Studenten und Studentinnen mit erkennbarem Migrationshintergrund – da gehen z.B. fröhliche Frauen mit Kopftuch in der juristischen Fakultät ein und aus, und auch sonst prägt das Nationengemisch des Ruhrpotts auch den Unicampus. Ich habe da noch nie negative Erlebnisse gehabt, im Gegenteil.

Ein Erlebnis aus der letzten Woche möchte ich schildern: es war in der RB 35 nach Duisburg. Ich steige im Forsthaus ein, in Krefeld HBF steigen dann viele aus und neu wieder zu. Drei junge Männer stiegen ein, einer setze sich mit einem freundlichen Salem Aleikum zu mir, zwei andere in den benachbarten Vierer. Alle drei sahen so aus, als könnten sie Migrationshintergrund haben: sicher weiß man das ja nie. A, der bei mir saß, grüßte auch alle anderen Einsteigenden mit Salem Aleikum – was ihm von einem älteren, durchaus seriös aussehenden Herrn ein „ich komm Dir gleich Salem Aleikum“ eintrug.

Dann fing er an, einen RAP zu singen: „10 Jahre ich bin hier, immer noch keine Papier, Leute, was soll ich machen, das Problem liegt nicht bei mir“ (ich habe inzwischen recherchiert: der Künstler heißt Malek Samo). Und der vielleicht etwas Ältere der beiden aus dem Nachbarvierer (B) stimmte ein. Als sie fertig waren, meinten sie „so ist das“ und lächelten mich an. Offensichtlich aufgefordert, ins Gespräch zu kommen, fragte ich nach: nein, beide seien sie inzwischen Deutsche, auch wenn es schwierig gewesen sei. A ist geflohen, als er im Irak rekrutiert wurde und auf Klassenkameraden, die von anderer Seite rekrutiert wurden, schießen sollte (er hat mir Bilder auf dem Handy gezeigt von sich als Soldat), B ist als Kind rumänischer Einwanderer in Deutschland geboren. Der dritte hatte auch einen rumänischen Hintergrund, da er sich am Gespräch aber nicht beteiligte, sondern die ganze Zeit nur lächelte, habe ich nichts Näheres erfahren.  Beide sprachen hervorragendes Deutsch und alle drei bereiteten sich gerade auf das Abitur vor, so erzählten sie mir.

Dann kam die unweigerliche Frage: „Und was machen Sie?“. Meine Antwort „ich studiere katholische Theologie“ brachte Staunen und Bewunderung hervor und das Bekenntnis, das A Muslim sei und die beiden anderen Evangelisch. Und dann kam etwas, was ich nicht erwartet hatte: ein tiefschürfendes Gespräch über den einen Gott, der die Liebe ist, über Extremismus und Fundamentalismus. Ich habe sehr bedauert, dass der Zug diesmal keine außerplanmäßige Halte hatte. Alle drei fühlen sich in Deutschland übrigens grundsätzlich wohl, solange sie nicht feindlich angegangen werden: solchen Situationen versuchen sie aus dem Weg zu gehen. Blöde Sprüche wie der des älteren Herrn verletzen sie zwar, sind für sie aber nicht typisch für Deutschland. Gott sei Dank, kann ich da nur sagen.

Warum ich das hier niederschreibe? Weil ich wieder mal erfahren habe, dass vieles nicht so ist, wie es scheint. Diese drei jungen Männer bereichern unser Land. Wir sollten positiv auf die Menschen zugehen. Wir sollten solche Begegnungen nutzen, ins Gespräch zu kommen.

Weltfriedenstag 2020

Was ist das eigentlich, Weltfrieden? Unsere Kommunionkinder erwähnen ihn, ganz in Anlehnung an die „Großen“, immer in den Fürbitten. Den Weltfrieden, den alle sich so ersehenen, und den wir doch nicht herstellen können.

Was ist Frieden? Ist Frieden einfach nur die Abwesenheit vom Krieg? Dann sind die meisten von uns ja fein raus – wir zetteln keine Kriege an, verkaufen keine Waffen, wir leben in einem Land, in dem es seit 75 Jahren Frieden gibt, die allermeisten kennen Krieg überhaupt nur aus dem Fernsehen.

Wiki schreibt: „Frieden oder Friede (von althochdeutsch fridu „Schonung“, „Freundschaft“) ist allgemein definiert als ein heilsamer Zustand der Stille oder Ruhe, als die Abwesenheit von Störung oder Beunruhigung und besonders von Krieg. Frieden ist das Ergebnis der Tugend der „Friedfertigkeit“ und damit verbundener Friedensbemühungen.“ Abwesenheit von Krieg ist es also nicht alleine. Ich gehe noch weiter: Friede muss bei jedem selbst anfangen.

Da gibt es den inneren Frieden, den Seelenfrieden, wenn jemand den erreicht hat, dann strahlt das aus in seine Umgebung, dann wird es in seinem Umkreis weniger Hektik und weniger Streit und Stress geben, denn wer den inneren Frieden erreicht hat, der ist mit sich selbst im Reinen, der braucht sich nicht mehr wild rumzustreiten um Nichtigkeiten.

Dann gibt es den Frieden in meinem Familien- und Freundeskreis – fast genau so schwer zu erlangen, es gibt doch immer Situationen, wo ich finde, ungerecht beurteilt oder behandelt worden zu sein, wo mir jemand vermeintlich Unrecht tut und ich es ihm übelnehme oder vielleicht sogar heimzahle…

Der innergesellschaftliche Friede ist deutlich schwerer herzustellen: struktureller Rassismus, Bildungsgefälle, fehlende Gleichberechtigung, die Angst vor dem Abstieg und die Suche nach Schuldigen…

Und der zwischen Staaten – den gibt es nicht, den hat es nicht gegeben, vielleicht wird es ihn nie geben.

Damit ist das Thema durch: Frieden, etwas Utopisches, nicht zu erlangen, darum kann man ihn in das Reich der Wünsche und Träume verbannen…

Und doch ist es damit nicht getan. Den inneren Frieden erlange ich nur, wenn ich aufhöre, mit mir zu hadern. Das heißt nicht, dass ich mich kritiklos nehmen muss, wie ich bin, dass ich nicht bereit sein kann, mich zu ändern, wo es notwendig wäre. Das heißt nur: erst einmal bin ich gut so, wie ich bin, so hat Gott mich geschaffen. Und dann kann ich mich bemühen, nach meinen Werten und Maßstäben zu leben, in dem Bewusstsein, dass niemand perfekt ist und es auch nie jemand sein wird, auch wenn es für mich manchmal so aussieht: und dass daher ehrliches Bemühen immer ausreicht.

Das strahlt dann aus: den das, was für mich gilt, gilt ja auch für die Menschen meiner Umgebung: erst mal muss ich davon ausgehen, dass sie so, wie sie sind, gut sind. Und dann kann ich Differenzen sachlich betrachten: ist meine Sicht vielleicht einseitig? Kann ich mich in den oder die andere hineinfühlen oder meine ich zu wissen, was er wie meint und warum sie so oder so reagiert? Gehe ich an Streitigkeiten mit Wohlwollen gegenüber dem Menschen, der mir gegenübersteht, heran, oder habe ich von Vornherein schon mein (Vor-)Urteil gebildet? Ist das, was mich aufregt, es wert, dass ich mich aufrege und Unfrieden verbreite? Oder ist es vielmehr eine Nichtigkeit, beruht auf meiner gekränkten Eitelkeit, darauf, dass ich meiner selbst vielleicht nicht so sicher bin, wie ich es gerne wäre? Ich gebe zu, es ist äußerst schwierig. Man muss sich selbst immer wieder den Spiegel vorhalten, es ist anstrengend und mühsam. Aber ich glaube, es lohnt sich: wenn in meinem Umkreis mehr Frieden herrscht, kann ich selbst auch friedlicher werden.

Und das muss sich dann so weiter fortsetzen. Auf der Ebene, auf der ich mich befinde. Der Plan ist, ohne naiv zu sein davon auszugehen, dass die Menschen mir nix wollen. Und das ein Mensch, mit dem ich vielleicht streite, als Mensch erst einmal wertgeschätzt werden will – das erwarte ich im Gegenzug ja auch.

Wenn ich aber meinem Gegenüber aber vorurteilsfrei begegne, sie oder ihn erst mal wertschätze, bevor ich mich sachlich mit Inhalten auseinandersetze, dann ist ganz viel gewonnen: es geht jetzt nicht mehr um Frieden oder Unfriede, es geht um ein Thema, über das man ja vielleicht geteilter Meinung sein kann – und das man im besten Fall so diskutieren kann, dass es vielleicht sogar ein Ergebnis gibt und sei es nur: ok, das sehen wir halt verschieden. Oder gar einen Kompromiss. Und schon ist ein bisschen Frieden mehr in der Welt.

Klingt utopisch? Ja schon, wer weiß das, wenn nicht ich. Aber es geht ja auch, wie gesagt, nicht darum, perfekt zu sein. Es geht darum, sich zu bemühen, nach den eigenen Wertvorstellungen und Maßstäben selber zu leben. Selber, nicht sie zu Kriterien für die anderen zu machen.

Und dann gibt es noch die Aufgabe, Friedensstifter oder Friedensmittler zu sein. Wegschauen um des lieben Friedens Willen ist nämlich keine Option, diesen „lieben Frieden“ gibt es nicht, weil dann immer irgend einer verletzt oder besiegt zurückbleibt. Das heißt: wenn ich Rassismus erkenne oder irgendwelche Diskriminierungen und Ungerechtigkeiten, dann muss ich sie aufzeigen, nicht verschweigen. Dann muss ich möglicherweise meine Stimme erheben, auch wenn das Unfrieden zur Folge hat. Dann muss ich alles tun, um das Opfer zu schützen. Aber immer unter der Prämisse, dass auch der „Täter“ ein Mensch ist. Und dass es, wie immer, um die Sache geht, um die Sache gehen sollte.

Was das jetzt mit dem Weltfrieden zu tun hat? Nichts und doch alles: wenn jeder versucht, nach seinen Möglichkeiten in seinem Umfeld Frieden zu schaffen, dann breitet dieser sich exponentiell aus – und irgendwann wird aus einer Utopie Realität.

Jeder Mensch dieser Erde hat das gleiche Recht, in Frieden zu leben. Wir können etwas dazu beitragen, und sei es nur ein kleiner Tropfen auf dem heißen Stein: steter Tropfen höhlt den Stein.

Nehmen wir doch den Weltfrieden zum Anlass, stärker auf den Frieden in der eigenen Umgebung zu achten.

Was ich in den letzten Tagen über Rassismus gelernt habe – und über mich

Seit Tagen wird hin und her diskutiert: was ist Rassismus? Wer ist Rassist? Und wie groß ist das Problem eigentlich bei uns?


Zur Verdeutlichung: in den USA ist die Wahrscheinlichkeit, durch die Polizei zu sterben, wenn man POC ist, deutlich höher als wenn man Weißer ist, und zwar auch dann, wenn man absolut nichts getan hat. Bei uns passiert so etwas auch, aber eher seltener. Mir geht es in meinem Text aber um etwas anderes: mit geht es um den Nährboden, der überall vorhanden ist – und ohne denn diese Probleme vielleicht deutlich leichter in den Griff zu kriegen sind. Das heißt nicht, dass das, was in den USA passiert ist und immer wieder passiert, und was es auch bei uns gibt: das Menschen anderen Gewalt antun aus dem einfachen Grund, dass sie keine Weißen sind, nicht ungleich schlimmer ist als der Alltagsrassismus, aber: so lange wir Menschen in „Rassen“ einteilen (die es ja gar nicht gibt), so lange haben wir ein Problem, eine Grundlage, auf der der Rassismus wachsen kann.

Vorab: ich bin eine weiße Frau Mitte 50, ich weiß also, dass ich das Problem nur von der Täterseite kenne – auch wenn ich natürlich schon mal diskriminiert wurde als Frau.

Und mir fallen auf Anhieb drei Begebenheiten ein, die das Problem beleuchten:

Der Sohn, der nach der Schule fragte, ob er den asiatischen Schüler x doof finden darf oder dann ein Rassist ist – da war die Erklärung noch einfach: „wenn Du das „doof“ an seinem Verhalten und seinem Charakter festmachst, darfst Du ihn doof finden, keine Frage, wenn es aber an seiner Herkunft liegt, könnte das Rassismus sein.“

Die Tochter, die nicht verstand, warum die Freundinnen aus Migrantenfamilien immer wieder über die Deutschen als blöd, doof, dumm etc herfallen durften und Witze dazu machen – der umgekehrte Witz aber Rassismus sein sollte: da war die Erklärung schon deutlich schwieriger – die Kinder waren 11. Die Freundschaft ist darüber zerbrochen, von Seiten der anderen, und ich konnte nur schwer erklären, was da passiert ist.

Und dann die junge Frau, die uns durchs „persische Köln“ geführt hat, in Deutschland geboren, Studentin, die sagt, es nervt, dass sie immer gefragt wird „wo sie wirklich herkommt“ (aus Köln) und dass man ihr ein „gutes Deutsch“ bescheinigt – nun ja, sie ist Kölnerin. Da ist es ziemlich eindeutig: dass ist der Alltagsrassismus, der nicht einmal böse gemeint ist, aber zeigt, dass im Kopf immer noch unterschieden wird: Du bist anders, also muss ich nachfragen.

Man teilt die Menschen in verschiedenen Gruppen ein, je nach Aussehen. Da kann sich sicher keiner von freisprechen, auch, wenn ich von mir behaupten kann, dass mich Aussehen überhaupt nicht interessiert – was aber wohl auch daran liegt, dass ich an einer leichten Form der Prosopagnosie, der Gesichtsblindheit leide: ich kann Gesichter, die mir nicht sehr vertraut sind, auch nicht gut erkennen. Da richtet man den Fokus wahrscheinlich generell auf andere Dinge. Ich für meinen Teil schau den Menschen gerne in die Augen, beobachte, wie sie sprechen – und was sie sagen, natürlich auch.

In den letzten Wochen habe ich oft gelesen: alle Weißen sind Rassisten. Den Satz kann und will ich so nicht stehen lassen, weil es einfach auch nicht stimmt, auch nicht unbedingt unterbewusst: Pauschalisierungen führen nie weiter. Ich schäme mich auch nicht, weiß zu sein: da kann ich nämlich nichts für. Was aber stimmt: wir haben Privilegien, derer wir uns überhaupt nicht bewusst sind. Wir haben Namen, die als „deutsch“ erkannt werden, die allermeisten sehen auch so aus, als wären sie Deutsche, und so fallen wir von vornherein schon durch bestimmte Raster: man geht einfach davon aus, dass wir, wie soll ich das mal ausdrücken, „gute Menschen“ sind, denen man Wohnungen vermietet, die man einstellt – und bei anderen geht man erst mal davon aus, dass es Schwierigkeiten gibt. Das sollten wir immer parat haben. Und auch, dass der Charakter eines Menschen nicht am Aussehen, der Herkunft, der Sprache erkennbar ist. Und wir sollten wissen, dass ein nett gemeintes „Aber wo kommst Du ursprünglich her“ genauso weh tun kann, wie ein vermeindliches Lob: „Du bist aber hübsch“ (für eine POC) oder „Du sprichst aber gut Deutsch.“ Auch das ist Rassismus.

Ich habe gelernt: wir haben ein großes Problem mit Rassismus, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, da wir nicht alle gleichbehandelt werden. Ich kenne zwei deutsche Männer, die aussehen, als wären sie Türken bzw. muslimische Südländer – die werden tatsächlich öfter kontrolliert als andere. Das muss nicht böse gemeint sein, das hat vielleicht nicht mal ein System, aber es passiert. Es passiert, weil wir in unseren Köpfen immer noch nicht klar haben, dass Mensch gleich Mensch ist.

Was da hilft: Bildung und Begegnung. Bücher lesen von und über Menschen, die eben keine privilegierten Weißen sind. Menschen kennenlernen, die als anders empfunden werden, weil sie nicht „weiß genug“ aussehen. Und der Wille, sich selbst zu reflektieren, immer wieder zu prüfen, wo man selbst Schubladen aufmacht. Und, das allerwichtigste: den Mund aufmachen, wenn wir in Situationen kommen, wo Rassismus klar erkennbar ist. Dem Rassismus entgegentreten, nicht nur bei Demos und auf dem Papier, sondern auch im wirklichen Leben.

Wenn wir das klar haben und lernen, Menschen danach zu beurteilen, wie sie sind, was sie tun, wie sie sich verhalten und nicht nach irgendeiner Schublade, dann, ja dann kann es besser werden im Zusammenleben. Dann gehen wir endlich in Richtung Gleichberechtigung, und alle Menschen, die das möchten, können bei uns eine Heimat finden.