Gedanken an einem Sonntag im Mai 2021

Muttertag. Der Tag nach dem 8. Mai – Tag der Befreiung. Der Tag, an dem die Kontaktsperren und Ausgangssperren für Geimpfte aufgehoben wurden und die Testpflicht.

Mai. Der Monat, in dem die Natur explodiert. Der Monat, in dem die Kirche Maria, die Mutter Gottes ehrt – und in dem Maria 2.0 ihren Ausgangspunkt nahm. Der Monat, der in so vielen Liedern herbeigefleht wird: „Komm lieber Mai und mache die Bäume wieder grün“ und lobend besungen „der Mai, und der war grüne…“.

Und ich sitze hier, an meinem Schreibtisch, vor dem offenen Fenster und hoffe auf den Frühlingstag, der uns versprochen wurde, und mache mir so meine Gedanken. Der Gottesdienst war, wie immer seit über einem Jahr, ein Hausgottesdienst, und das Evangelium endete mit den Worten: Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt (Joh 15,17).

Und mir geht durch den Kopf, dass das der Schlüssel ist. Menschen, die sich lieben, die sich wirklich lieben, tun einander nichts. Es geht um echte, selbstlose Liebe, nicht um die „wenn Du mich liebst dann…“- Liebe und auch nicht um die Liebe, die eine Gegengabe fordert.

Wenn wir Menschen einander lieben würden, dann gäbe es keine Kriege mehr. Wenn wir einander lieben würden, dann würden wir uns freuen für die, die jetzt wieder mehr dürfen. Und die wiederum, so sie ebenfalls ihre Mitmenschen lieben würden, agierten mit Augenmaß, so, dass sie uns nicht neidisch machen.

Wenn wir Menschen einander lieben würden, dann könnten Meinungen nebeneinander stehen bleiben, denn sie alle wären, so verschieden ihr Inhalt auch sein möge, als von der Menschenliebe getragen akzeptierbar. Wir würden nicht mehr Religionen gegeneinanderhetzen und in der Kirche mit Machtworten agieren müssen.

Von der Liebe getragen, könnten wir auch die verschiedenen Lebensweisen und Traditionen gut nebeneinanderstehen lassen – denn auch sie wären ja von der Liebe getragen.

Eine ideale Welt, die es so nicht gibt, das weiß ich auch. Aber für mich kann ich daraus ziehen: jeder Mensch hat ein Lebensrecht, ein Recht auf anderssein, ein Recht auf eigene Meinung, auf anderes Denken und andere Traditionen. Solange das nicht menschenverachtend wird, kann ich diskutieren, mich daran reiben, Argumente bringen: aber sachlich und höflich, denn auch der oder die andere hat ein Recht darauf, mir gegenüber wiederum Argumente zu bringen, meine Argumente zu widerlegen. Es ist wichtig, dass wir dies (wieder) lernen. Und ich bin überzeugt: auch wenn ich nur in meiner kleinen Umwelt agieren kann, so ist es doch so, wie Dom Helder Camara, der brasilianische Erzbischof und Befreiungstheologe (1909-1999) gesagt hat: „Wenn eine allein träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, ist das der Anfang einer neuen Wirklichkeit.“ Lassen wir uns also von der Liebe tragen, lassen wir sie wachsen, wie die Natur wächst in diesen Tagen – lassen wir uns vom Mai inspirieren.

Muttertag – Gedanken im Nachgang

Diesen Text widme ich allen Frauen, die Mütter sind. All denen, bei denen das Band zwischen Mutter und Kind allzu sehr gespannt oder gar gerissen ist – aber auch den Müttern und Kindern bei denen es hält.  All den Müttern, die nicht bei ihren Kindern bleiben konnten – aus welchen Gründen auch immer. All den Frauen, die niemals Mutter werden wollten, aber es dann doch waren. Aber auch all den Frauen, die gerne Mutter geworden wären, aber kinderlos geblieben sind. All den Frauen, die sich gegen ein Kind entschieden haben und all denen, die ein oder mehrere Kinder verloren haben. All diesen Frauen wünsche ich, dass ihr Leben, wie immer es aussieht, gelingen kann.

Eigentlich hatte der Muttertag für mich nie eine besondere Bedeutung. Klar, Mutter und Schwiegermutter bekamen Blumen, eine Zeitlang ging es zum Spargelessen zur Schwiegermutter, von den Kindern kam Selbstgebasteltes – aber so richtig anfangen mit dem Tag konnte und kann ich bis heute nichts. Auch, wenn ich mich gestern sehr gefreut habe über Blumen und „Selbstgebasteltes“ und darüber, dass – wenn auch zufällig – alle Kinder zum Mittagessen da waren. Aber ansonsten denke ich: würden sie mich nicht lieben (und mir das auch immer wieder zeigen, auf die ein- oder andere Art, verschieden wie sie sind), dann wäre so ein Muttertag nur hohl und leer.

Gestern aber war er für mich ein Anstoß, einmal über das Muttersein überhaupt nachzudenken. Ich habe 3 prächtige Kinder. Sie sind inzwischen unabhängig, leben mit Partner oder alleine in der eigenen Wohnung, alle in der Nähe – und wir haben einen guten Kontakt zueinander, real und virtuell. Ich habe eine Zeitlang mein Leben um die Kinder herumsortiert, was ganz gut ging, da mein Mann genügend verdiente, dass ich nicht (voll) berufstätig sein musste. Sicher wäre mein Leben ohne die Kinder anders verlaufen, vielleicht hätte ich Karriere gemacht als Richterin – aber eigentlich bin ich mit meinem Leben ganz zufrieden.

Was aber bedeutet Muttersein für mich? Erst mal: da gibt es Menschen, die, egal wie sie sind, in meinem Herzen leben. Ich habe sie mir genau so wenig ausgesucht wie sie mich, aber wir haben uns, manchmal im wahrsten Sinne des Wortes, zusammengerauft und wissen: so richtig werden wir nie voneinander loskommen. Muttersein bedeutet für mich aber auch loslassen können: wir haben immer versucht, die Kinder möglichst zur Selbständigkeit zu erziehen, zur Eigenständigkeit. Und mit sanftem Druck haben wir sie nach dem Abitur auch aus der Wohnung getrieben – mit aller Unterstützung, die sie gebraucht haben, und immer war klar: wer es nötig hat, darf natürlich auch wieder einziehen.

Muttersein bedeutet: Liebe schenken, ohne wenn und aber. Muttersein bedeutet Schmerz ertragen: das habe ich selbst erlebt, als mein erstes Kind vor der Geburt starb und mein Neffe, für mich wie ein Sohn, tödlich verunglückte. Muttersein bedeutet: sich nicht zu vergessen, aber die Bedürfnisse der Kinder im Blick zu haben, soweit sie das nicht selber können. Muttersein bedeutet: aushalten können, wenn die Kinder sich anders entwickeln, als man sich das so vorgestellt hat. Muttersein bedeutet zu tolerieren, dass die Kinder eine andere Vorstellung vom Leben haben als man selbst. Muttersein bedeutet einfach: verantwortlich sein für einen Menschen, der einen nicht drum gebeten hat, geboren zu sein, der einem nichts schuldet und dem man selbst doch soviel schuldet: Liebe und Geborgenheit, Grenzen und Freiheit, die Begleitung auf dem Weg ins Leben.

Es ist ein Geschenk. Und es ist ein Geschenk, wenn es einem mit Liebe vergolten wird.