Gedanken zum Weltflüchtlingstag

Heute ist Weltflüchtlingstag.
Die Meinungen zu Menschen, die flüchten, gehen ja weit auseinander, ein Grund für mich, einmal darüber nachzudenken, warum wir die Geflüchteten so unterschiedlich sehen und behandeln.
Sicher, es gibt verschiedene Fluchtgründe. Jetzt gerade, die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, die haben unser volles Mitgefühl: sie sehen fast so aus wie wir, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben, sind oftmals gut ausgebildet, überwiegend christlich sozialisiert, flüchten vor einem unmenschlich grausamen Krieg und sind Europäer. Ach ja, und es sind überwiegend Frauen und Kinder, die Männer bleiben zurück, weil sie ihr Land verteidigen wollen. Auch, wenn dieses Wollen oft nicht freiwillig ist: sie werden einfach nicht rausgelassen. Die meisten würden gerne schnell wieder zurückgehen. Ach ja, und manche von ihnen haben bei uns ja schon in der Pflege gearbeitet, so im 3 Monatsrhythmus… Kein Vergleich z.B. zu den Syrern, die kamen (und kommen) zwar auch aus einem Land, in dem ein grausamer Krieg immer noch herrscht, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben wie wir und sind oftmals gut ausgebildet: aber sie sind keine Europäer, viele junge Männer sind darunter (weil die Flucht an sich lebensgefährlich war), und Christen scheinen auch die wenigsten zu sein: also werden die Ukrainer schnellstens anerkannt, erhalten Sprach- und Integrationskurse, dürfen kostenfrei den ÖPNV nutzen und bekommen Hartz VI – und (fast) keiner schimpft darüber, dass sie Handys dabei haben (manche sind sogar mit dem Auto hier!) – und viele Syrer harren bis heute in den Unterkünften aus, von (schneller) Anerkennung, die Grundlage für Sprach- und Integrationskurse ist, und Hartz IV keine Spur, genau wie bei anderen Kriegsflüchtlingen aus aller Welt.
Dann gibt es die Asylbewerber: da unterscheiden wir dann sehr genau, ob sie vom Staat politisch verfolgt werden oder vielleicht doch nur von terroristischen Banden oder den Bürgern des Staates: nur erstere haben einen Asylgrund, auch wenn sie ebenfalls nicht so vorrangig behandelt werden wie die Ukrainer. Wenn sie dagegen nicht von Seiten des Staates verfolgt werden, haben sie keinen, manchmal bekommen sie eine Aufenthaltserlaubnis, z.B. christliche Frauen aus Nigeria, die dort besonders gefährdet sind – ein christlicher Nigerianer, den ich kennengelernt habe, durfte dagegen – trotz nachgewiesener Folter durch Boko Haram – nicht bleiben…
Und wer sein zu Hause verlässt, weil der Klimawandel ihm kein Bleiben ermöglicht, weil er oder sie vor Ausbeutung flieht, vor Hunger, vor behandelbaren Krankheiten, weil er oder sie sein Kind vor einem Leben in Elend und Not bewahren will – nun, diese Menschen haben keinerlei Recht, in die EU/nach Deutschland zu kommen.
Wie oft hört man, auch von Menschen, die sich christlich nennen, die NGOs mögen doch bitte die Schlepperei im Mittelmeer lassen: es sei nur ein Anreiz zur Flucht: dabei ist es längst bewiesen, dass die Menschen auch dann flüchten, wenn sie wissen, dass kein Seenotretter unterwegs ist. Ganz ehrlich: glauben wir wirklich, dass sich diese Menschen alle, oft auch mit Frauen und Kindern, in Lebensgefahr begeben, weil sie in Deutschland von Sozialhilfe leben wollen?
Ich verstehe diese Unterschiede nicht. Trotz allem, ja, auch trotz der hohen Energiepreise, sind wir ein reiches Land. Niemand muss aus Deutschland flüchten. Ja, es gibt soziale Verwerfungen, die nicht sein müssten, es gäbe durchaus Lösungsmöglichkeiten für viele Probleme. Aber dennoch: es fallen keine Bomben, die allermeisten haben ein Dach über dem Kopf, ein Bett für sich allein und jeder hat ein Recht auf Schulbesuch und Ausbildung. Und davon wird nichts weniger, wenn wir alle Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen, im Gegenteil: die allermeisten würden gerne Arbeiten, eine Ausbildung machen oder ihre (oft bessere) Ausbildung hier anerkennen lassen. Auf der anderen Seite gibt es freie Stellen, auch freie Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden können. Es fehlen Kräfte in der Pflege und in Handwerk und Industrie. Oft haben Geflüchtete Jugendliche in wenigen Jahren einen guten Schulabschluss, können studieren: wenn die Voraussetzungen dafür, dass sie in die Schule gehen können, entsprechend sind. Als Werktätige aber würden diese Menschen Steuern zahlen und in die Sozialkassen einzahlen: alles das wäre dringend erwünscht. Stattdessen schotten wir uns immer weiter ab, lassen Menschen ertrinken oder in den Wäldern an Polens Grenze jämmerlich erfrieren, verhungern oder an Krankheiten sterben, an denen kein Mensch sterben muss.

Warum machen wir diese Unterschiede? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es fatal ist: Menschen, die in Lagern leben, die nicht arbeiten dürfen, denen man um 10 Uhr das Licht abdreht oder das Rauchen verbietet, den Ausgang reglementiert, deren Traumata man nicht behandelt, werden schlimmstenfalls auf dumme Gedanken kommen. Die dann an den Umständen liegen, nicht an der Mentalität, wie so gerne gesagt wird. Menschen, die arbeiten wollen und deren Arbeitskraft auch dringend benötigt wird nicht kommen zu lassen ist zudem auch ziemlich dumm.
Vor allem ist es aber unchristlich. Auch, wenn die Menschen keine Christen sind. Und unmenschlich. Es gibt keinen Grund, Unterschiede zu machen. Es ist kein Verdienst, in Deutschland geboren worden zu sein statt in Afghanistan oder Nigeria. Es ist kein Verdienst, in einer sich christlich nennenden Umgebung aufgewachsen zu sein statt als Uigure in China. Es ist kein Verdienst, in ein Land hineingeboren zu sein, dass eine freiheitlich rechtsstaatliche Demokratie ist und nicht in eine Diktatur. Es ist Glück. Und Glück vermehrt sich, wenn man es weitergibt.  Wir sollten aufhören, die Welt auszubeuten. Den Klimawandel zu ignorieren. Flüchtlinge in richtig und falsch einzusortieren. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir weiter friedlich leben wollen, müssen wir uns klarmachen, dass das nur geht, wenn wir anstreben, dass alle Menschen menschenwürdig leben können. Und doch, wir können etwas dazu beitragen. Denn wir leben auf Kosten der anderen. Was können wir tun? Es sind ganz banale Dinge wie Energiesparen, öfter mal das Auto stehen lassen und statt 10 billiger T-Shirts, die nach der ersten Wäsche verzogen sind, vielleicht lieber nur ein oder zwei kaufen, die fair hergestellt sind und zu dem länger halten. Wir müssen keine Lebensmittel aus Übersee essen, deren Klima- und Umweltbilanz fatal ist. Auch, wenn sie vielleicht superlecker sind. Oder zumindest nicht täglich. Wir können Gemüse saisongerecht kaufen. Unseren Fleischkonsum einschränken – und zumindest vielleicht mal ausprobieren, wie es sich als Vegetarier oder Veganer lebt – und einiges davon vielleicht auch übernehmen. Kaffee aus fairem Handel ist pro Tasse nur ein paar Cent teurer als anderer. Jeder und jede kann für sich überlegen, welche Maßnahmen er oder sie in ihrem Leben umsetzen möchte – und manchmal stellt man fest, dass weniger mehr ist. Wir können auch politisch anders denken: muss ich vielleicht neu über Windräder nachdenken? Ist das St.Floriansprinizip immer die bessere Alternative? Wer hat die globale Welt im Blick, wenn ich das nächste Mal zur Wahl gehe? Welche Petitionen, welche Anliegen unterstütze ich? Sind Demos für mich eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen? Der Möglichkeiten sind viele für die, die eine gerechtere Welt wollen.
Es wäre auch für Menschen angebracht, darüber nachzudenken, denen die Welt am Popo vorbeigeht. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir anderen das Leben, das wir uns gönnen, nicht zugestehen: irgendwann überrennen sie uns dann vielleicht wirklich und holen sich das, was wir ihnen vorenthalten.

Schwerter zu Pflugscharen – persönliche Gedanken zu Krieg und Frieden

Ich bin mit 17 das erste Mal auf die Straße gegangen, um für den Frieden zu demonstrieren. Im Rahmen des Krefelder Appells gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland. Es folgten viele friedensbewegte Aktionen und Demos, in Krefeld, in Bonn, an der Selfkant – überall, wo erreichbar etwas stattfand. Wir hatten ehrlich Angst vor dem Dritten Weltkrieg und vor Atomraketen und sangen Lieder vom Frieden ohne Waffen: überzeugt, dass das der einzige Weg ist, Frieden in die Welt zu bringen. Als dann Ende 1989 die Mauer fiel, völlig unmilitärisch, nach friedlichen Protesten, habe ich geweint: die Einteilung der Welt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß schien mir überwunden.


In den weiteren Jahren etablierten sich die USA als Weltpolizei, die darüber entscheidet, wer gut und wer böse ist, gerne auch mal mit Militärgewalt, gerne auch mal auf Grund von Lügen: wieder trieb es uns auf die Straße, im ersten Irakkrieg (1990) hängten wir weiße Betttücher aus dem Fenster als Zeichen, dass wir gegen diesen Krieg waren und morgens im Morgenmagazin konnten wir dem Krieg sogar zuschauen: Dieser Krieg war weit weg und doch irgendwie gruselig nahe, aber er ging uns im Prinzip „nur“ etwas an, weil wir immer noch auf den Weltfrieden hofften und glaubten, der größte Teil der Welt habe den Krieg überwunden. Gleichzeitig mische sich die „westliche Welt“ mit der NATO in den Jugoslawienkrieg ein in dem ohne Zweifel große Grausamkeiten geschahen: ob das Einschreiten der NATO irgendwas befriedet hat und ob er überhaupt gerechtfertigt war, wird bis heute auch von Völkerrechtlern bezweifelt. Dieser Krieg war uns wieder näher: war doch Jugoslawien Urlaubsort für viele Menschen, und als ich in einem Sommer Anfang der 90er in Lienz an der Drau stand, die ja Richtung Jugoslawien fließt, wurde mir das so richtig bewusst.


In Deutschland haben wir Frieden seit 1945. Wir waren zwar in Kriege verwickelt, hatten Minister, die sagten, man müsse Deutschland auch am Hindukusch verteidigen (welches Elend das ausgelöst hat, konnten wir ja nun vor kurzem gut erkennen), aber wir selbst wandten uns anderen Themen zu, durchaus auch wichtig: dem Umweltschutz, der Gerechtigkeit auch für die ärmsten Länder der Welt, der Frage, wo wir auf Kosten anderer lebten, dem Klimaschutz: auf die Straße gingen wir weiter, bis heute, die Zeit der großen Friedensdemos, die immer ausdrücklich auch Antikriegsdemos waren und den Rüstungswettlauf kritisierten, war vorbei.
Auch 2014, als Putin in die Krim einmarschierte, waren wir zwar entsetzt, ließen uns aber überzeugen, dass dort hauptsächlich Russen lebten, die gerne wieder zu Russland gehören wollten – und die wohl vielleicht auch in der Ukraine nicht sehr willkommen waren. Und auch das Verhalten der NATO war damals nicht ok, so dass wir uns lieber nicht zu einseitig positioniert haben.


Vor einer Woche ist Putin vom Verhandlungstisch aufgestanden und hat seine Truppen Richtung Ukraine in Bewegung gesetzt, wohl in dem Glauben, dass die Ukrainer in Scharen zu ihm überlaufen.
Und ich sitze jetzt hier, fühle mich in die 80er zurückversetzt und frage mich, ob das ganze „Frieden schaffen ohne Waffen“ nur eine naive Träumerei ist, ob Pazifismus zum Untergang führt.


Vorab: ich habe jedes Verständnis dafür, dass die Ukrainer sich verteidigen. Auch wenn ich nicht durchblicke ob und wenn ja wie großen Anteil die Ukraine an diesem Krieg hat: nichts rechtfertig den Einmarsch in ein unabhängiges Land. Ich glaube dennoch, dass Pazifismus der einzige richtige Weg ist. Konventionelle Kriege können keine Lösung mehr bieten. Und Atomkriege – die würden uns alle vernichten.


Ich glaube, dass wir jetzt nicht anfangen sollten, Waffen in Krisenherde zu liefern, im Glauben, „die Guten“ zu unterstützen, auch wenn ich verstehe, warum dies geschieht: Jede Waffe generiert mehr Tote, und je mehr Menschen sterben, desto unmenschlicher wird der Krieg. Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt anfangen sollten, Deutschland aufzurüsten und die Bundeswehr neu aufzustellen. Ich glaube, wir müssen das Geld in die Hand nehmen für die Friedensarbeit, für Gerechtigkeit, für Klimaschutz: da, wo Menschen frei und in Frieden leben können und nicht um ihr Auskommen fürchten müssen, da, wo Menschen in der Lage sind, nicht auf jeden Populisten reinzufallen, da, wo Gleichheit und Gerechtigkeit für alle verwirklicht wird ist kein Nährboden für Krieg. Dazu gehört aber auch, dass ich mir überlegen muss, wie mein konkretes Leben aussehen muss, damit diese Gerechtigkeit verwirklicht wird. Dazu gehört auch, dass mir klar wird: solange wir von Diktatoren wirtschaftlich abhängig sind, weil wir ihr Gas und ihr Öl nutzen, so lange werden sie ihr Spiel mit uns treiben und wir werden weiter schweigen zu Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung.


Ja, es kann sein, dass sich mein Leben grundlegend ändern muss. Dass die Zeit des friedlichen Wohlstandes vorbei ist. Schließlich gibt es auch bei uns Menschen, die wir mittragen müssen, wenn es finanziell schwierig wird.
Ich bleibe dabei: Waffen schaffen keinen Frieden. Gerechtigkeit und Klimaschutz sind der einzige Weg.
Dafür will ich mich weiter einsetzen. Für diesen Frieden gehe ich weiter auf die Straße.