Zuversicht

Es sind wirklich Zeiten, in denen man jeden Mut verlieren könnte: der Klimawandel und die teilweise unverständlichen Reaktionen auch der Politiker auf eigentlich wissenschaftlich ziemlich deutlich und klar vorgegebene Notwendigkeiten. Der Krieg in der Ukraine und seit gestern der in Israel. Das Erstarken der Rechten in Deutschland. Die Wiederkehr des einst Unsagbaren. Konzentration auf Nebenschauplätze wie das Gendern. Die Behauptung, man dürfe nichts mehr sagen, wir lebten in einer Diktatur – laut ausgesprochen, ohne Konsequenzen (weil man es halt doch sagen darf). Politiker aus Volksparteien, die einfach mal Plattitüden raushauen, die der Überprüfung nicht standhalten: weil sie glauben, dass es sie wählbarer macht. Eine Kirche mit Bischöfen, die immer noch nicht verstanden haben, dass es notwendig wäre, den tausendfachen Missbrauch aufzuklären und Strukturen zu ändern, damit es in Zukunft anders läuft: Präventionsveranstaltungen allein sind sicher ein guter Schritt, aber es reicht eben nicht.

An allen Ecken brennt es – und ich bin mittendrin. Und oft denke ich: was kann ich denn tun? Wir sind in der Situation unserer Vorfahren vor 1933, las ich irgendwo, jetzt müssen wir uns an dem „warum habt ihr nichts gemacht“ messen lassen, was wir ihnen vorgeworfen haben. Ja, so geht es mir in vieler Hinsicht: ich stehe fassungslos vor dem, was um mich rum passiert, wie Politiker bestenfalls ungeschickt agieren, wie Menschen, die ich zu kennen glaubte, dem Populismus auf den Leim gehen – und dann einer Diskussion gegenüber abblocken, selbst wenn man beweist, dass alles anders ist, hätte es aber doch so sein können.

Was kann ich tun? Kann ich überhaupt etwas tun? Macht es irgendeinen Unterschied, ob ich schweige, rede und schreibe oder auf der einen oder anderen Demo zu finden bin? Hilft es der Ukraine, wenn wir jeden Freitag am Rathaus stehen und schweigen für den Frieden, solidarisch mit allen Kriegsopfern dieser Welt? Welche Antwort habe ich auf die Frage: was macht Ihr, wenn der Ukrainekrieg zu Ende ist? Steht Ihr weiter da? Was soll Euer Schweigen bringen?

Und dann sehe ich die Menschen, wie sie auf uns reagieren, eine Mutter, die ihrem Kind erklärt, „die stehen da, damit wir nicht vergessen, dass es immer noch Krieg gibt in der Ukraine“, Menschen, die uns beifällig zunicken, aber auch andere, die meinen, sie müssten sich die Zeit nehmen, uns zu beschimpfen, und denke: doch, es macht einen Unterschied: das Thema existiert einmal mehr in den Köpfen.

Und manchmal bekomme ich im Internet Rückmeldungen zu meinen Gedanken hin bis: „so habe ich das noch nie gesehen“ oder: „die Quelle kannte ich noch nicht, danke dafür“, von Menschen, die noch nicht eingerastet sind, die an Austausch interessiert sind, die wirklich selber denken wollen.

Und dann gibt es ja noch mein persönliches Umfeld. Ich kann dafür sorgen, dass es anderen Menschen besser geht und damit einen Schneeballeffekt auslösen – manchmal reicht bereits ein Lächeln, ein Zuhören, der Trost einer Trauerfeier.

Morgen mache ich mich auf den Weg nach Münster, Kirchenrecht zu studieren. Ich weiß nicht, ob das von Erfolg gekrönt sein wird, aber ich will es versuchen, um auch innerhalb der Kirche neue Möglichkeiten zu haben, das Leben für Menschen besser zu machen.

Zuversicht habe ich das hier überschrieben, und zuversichtlich will ich bleiben: mancher Weg findet sich erst beim Gehen, aber er findet sich. Und ich kann meinen Teil dazu beitragen, dass diese Welt ein freundlicherer Ort bleibt. Ob das reicht, weiß ich nicht. Aber ich bin zuversichtlich, dass es einen Unterschied macht. Und deshalb gebe ich nicht auf, sondern gehe weiter, auf wohlvertrauten und auf neuen Wegen.  

2020 – kann das weg?

(Ein Rückblick aus persönlicher Sicht)

Ja. Definitiv. Wenn ich die Schlagzeilen zu den Geflüchteten lesen, wenn ich die Zustände in den Lagern bedenke, wenn ich die Kommentare dazu lese – dann hat das Jahr gar nicht erst stattgefunden. Nur dass halt jetzt noch mehr tote Geflüchtete zu beklagen sind.

Ja. Definitiv. Ich bin ein Kontaktmensch. Ein Kontaktloses Jahr hat nicht stattgefunden für mich. Diese Krankheit tötet Menschen oder hinterlässt ihnen lebenslange Andenken. Sie legt unser ganzes öffentliches Leben lahm, hier und überall auf der Welt. Sie verbreitet sich mit wahnsinniger Geschwindigkeit. Kann weg, das Jahr der Pandemie.

Ja. Definitiv. Ein Jahr, in dem viele eigentlich gesunde mittelständische Betriebe in Konkurs gingen. Ein Jahr, in dem viele Menschen ihre Arbeit verloren haben. Ein Jahr, in dem Schülerinnen und Schüler, die sowieso schon schlechte Ausgangsbedingungen haben, noch mehr abgehängt wurden. In dem Femizide und häusliche Gewalt zugenommen haben. So ein Jahr kann weg.

Ja. Definitiv. Wenn ich die Berichte über die Krisenherde dieser Welt lese, über Kriege, die eigentlich vorbei sind und doch noch weitergehen wie in Syrien. Über Waffenverkäufe. Über Ausbeutung. Über nicht stattfindende, dringende Maßnahmen zum Klimaschutz, dann hat sich nichts geändert seit 2019. Dann hat das Jahr gar nicht stattgefunden.

Ja. Definitiv. Ein Jahr ohne Konzerte und Kultur. Kann weg.

Ja. Definitiv. Kirchlicherseits der Skandal um Kardinal Woelki, die unsäglichen Weihnachtspredigten über die die Tatsache, dass Frauen auf keinen Fall Priester werden können und darüber, dass Gott den Mensch als Mann und Frau erschaffen hat und nicht queer, die Predigten zur Abtreibung, die mit keinem Wort erwähnen, was in der Kirche mit den Geborenen passiert – da ist etwas eskaliert. Kann weg.

Stimmt das? Kann das Jahr weg?

Nein, kann es nicht. Wenn ich sehe, wie viele Menschen immer noch bereit sind, zu helfen. Wie viele deutsche Städte im Laufe des Jahres angeboten haben, Geflüchtete aufzunehmen jenseits aller Quoten, dass auch in diesem Jahr weitere „sichere Häfen“ dazugekommen sind, weitere Seenotretterschiffe und und und – dann macht dieses Jahr auch Hoffnung und kann bleiben.

Nein, kann es nicht. Es war auch nicht wirklich kontaktlos, dieses Jahr, Kontakte wurden nur anders gehalten. Meine Mutter z.B. spielt fast jeden Sonntag abend skypenderweise mit ihren Enkeln und hat so mehr Kontakt als vor der Pandemie. Viel lief mit viel Kreativität draußen: von der Geburtstagsfeier dreier Menschen im Garten mit 3 Paaren auf Abstand, einem Grill, den jeder für sich selbst bedienen musste und einem Geschenkehaufen mitten auf dem Rasen, einer Beerdigung, bei der nach der Beisetzung der letzte, vom Verstorbenen gekaufte, schottische Whisky ausgeschenkt wurde bei entsprechender Begleitmusik, statt Beerdigungskaffee, draußen trotz eisiger Kälte (aber der Whisky wärmte ja), natürlich auf Abstand und mit Maske, Treffen zu Wanderungen, Radtouren und Spaziergängen und sogar der eine oder andere Urlaub, wenn auch anders, als geplant: dann stelle ich fest, dass das Jahr die Kreativität, was Begegnungen angeht, geweckt hat und hoffentlich nicht alles anschließend verschwindet.

Nein, kann es nicht. Es ist viel passiert in diesem Jahr, die Pandemie hat neben der Krankheit selbst für viel Elend in der Welt gesorgt, das stimmt. Aber es gab auch das andere: spontane Bildung von Gruppen, die Menschen in Quarantäne mit Einkäufen versorgten. Solidarität überall, Hilfe für alle, jenseits von Klopapierhamstern. Wildfremde Menschen, die einander grüßen und ein paar Worte miteinander wechseln, vielleicht froh, mal einem realen Menschen gegenüber zu stehen. Auf dem Weihnachtsspaziergang ein „Fröhliche Weihnacht“ von wirklich jedem, dem man begegnet: es hat sich was verändert, zwischenmenschlich. Was positives, wie ich finde.

Nein, kann es nicht. Zwar hat sich der Frieden tatsächlich nicht weiter ausgebreitet in der Welt, und die Klimakatastrophe geht weiter. Aber eine Menge Menschen haben sich virtuell vernetzt, die einander vielleicht sonst nie über den Weg gelaufen wären. Die sich in Videokonferenzen kennen- und schätzen gelernt haben, die ihre Arbeit nun anders bündeln und so vielleicht auch mehr Erfolg haben. Menschen, die aufs Rad umgestiegen sind. Das erneuerbare Energiengesetz, das vielleicht immer noch schlecht ist, aber besser als geplant. Es muss noch viel passieren, keine Frage, aber es ist vielleicht ein Licht am Horizont erkennbar.

Nein, kann es nicht. Ja, es war ein Jahr ohne Konzerte. Aber viele haben den Eintrittspreis nicht zurückgefordert. Viele folgen nun ihren Lieblingskünstlern im Netz. Auch hier haben sich mit viel Kreativität Formen gefunden, die es vorher so noch nicht gab – das gibt Hoffnung, dass da das eine oder andere auch bleibt.

Nein, kann es nicht. Ein Vorsitzender der Bischofskonferenz, der sich positiv zur Frauenweihe äußert. Pfarrer, die sich trauen, ihren Kardinal zu kritisieren. Priester, die mit ihrer Meinung, es müsse was passieren, nicht mehr hinterm Berg halten. Es tut sich was. Es gibt Hoffnung.

Was nun mein Jahr angeht, war auch nicht alles schlecht. Ich habe angefangen zu studieren, langsamer zwar als geplant, aber es geht. Online. Und hab darüber tatsächlich schon Menschen kennengelernt, deren Bekanntschaft ich nicht mehr missen möchte. Ich hatte einen wunderschönen Urlaub mit Kindern, Geschwistern, Neffen und Nichten in meiner zweiten Heimat Osttirol, auf Abstand, aber das Wetter war ja schön… Statt Slowenien waren wir an der Ostsee und auf Usedom, im Oktober, und sind da viel Rad gefahren – Abstand war eigentlich überall möglich. Ich durfte neue Menschen kennenlernen. Wir sind uns näher gekommen, mein Mann und ich – aber auch meine Eltern und ich noch einmal auf eine andere Art und Weise, dadurch, dass wir ja die einzigen Realkontakte sind, die wir regelmäßig haben, weil wir zusammenwohnen. Ein befreundetes Ehepaar, das in der Nachbarschaft wohnte, meinte sogar: durch den Abstand sind wir uns näher gekommen und ja, da ist was dran. Mit den Kindern spielen wir online und haben dadurch regelmäßigeren Kontakt als vorher. Und es steigt die Vorfreude und die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Es war sicher kein gutes Jahr, das Jahr 2020. Aber wenn man genau hinschaut, dann findet man ganz viele positive Ansätze…