Das, was sich unter Corona schon andeutete, verschärft sich
ungemein: alle fallen übereinander her und beschimpfen sich gegenseitig,
Argumente interessieren niemanden mehr. Die einen schimpfen über die, die
Waffenlieferungen befürworten und werfen ihnen Kriegstreiberei vor. Die anderen
schimpfen über die, die den Pazifismus verinnerlicht haben, als feige
Nichtstuer auf dem Sofa, die schon den zweiten Weltkrieg verursacht hätten und
schuld wären am Leid der Juden. Jeder glaubt, er hätte den Königsweg gefunden.
In Talkshows hört man nur noch militärische Begriffe, jeder ist nun
Panzerexperte, wer sich nicht öffentlich dazu bekennt, wird als mildschuldig am
Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer bezeichnet. Dabei ist die Wahrheit doch
viel vielschichtiger – und keiner, der aus echter Überzeugung argumentiert,
macht es sich „leicht“. Herr Hofreiter von den Grünen hat es in einem Statement
mal so ausgedrückt: ich habe Respekt vor denen, die nach Abwägung aller
Argumente Pazifisten bleiben und Waffenlieferungen ablehnen, nur ich komme zu
einem anderen Schluss.
Ich oute mich jetzt: ich bin gegen Waffenlieferungen. Ich glaube immer noch,
dass mehr Waffen noch mehr Leid bringen und dass auch die russischen Soldaten,
die sterben, ein Lebensrecht haben. Ich glaube allerdings auch, dass die
Ukraine ein Selbstverteidigungsrecht hat und natürlich verurteile ich Putin als
Aggressor. Und da ist schon mein Dilemma: wer sich selbst verteidigen muss,
sollte die Möglichkeiten haben: und sei es entsprechende Waffen. Aber: Ich erkenne
nicht, dass Waffen Frieden bringen könnten – und ich bin der Ansicht, dass wir
längst auch Sanktionen vornehmen müssten, die unserer Wirtschaft schaden: das
Geld, um das sozial (bitte nicht mit der Gießkanne) abzufedern könnte man aus
dem jetzt beschlossenen Sonderfonds für die Bundeswehr nehmen. (Denn: es
mangelt der Bundeswehr ja gar nicht an Geld, sie kann nur nicht damit umgehen,
auch da sind die Gründe vielschichtig und systemimmanent.) Wir können
russischen Soldaten eine goldene Brücke bauen und Asyl anbieten, damit
Desertation nicht in ukrainischen Kriegsgefangenenlagern endet. Es gäbe noch
eine Menge Dinge auszuprobieren, finde ich.
Pazifismus ist schwierig in Kriegszeiten, keine Frage. Aber in Friedenszeiten
könnte man deutlich mehr tun, auch für den Weltfrieden, auch gegen solche
Diktatoren wie Putin: nur, dass uns immer das Wirtschaftswachstum in die Quere
kommt, es darf nichts kosten. Auch nach der Annexion der Krim haben „wir“
Geschäfte mit Russland gemacht und keinerlei Anstrengungen unternommen, die
Abhängigkeiten zu verringern. Wir schauen weg, wenn Nato-Partner Kriege
beginnen oder, wie Erdogan zurzeit, im Nachbarland Bomben auf Kurden schmeißen.
Wir haben zugesehen, wie die USA auf Grund falscher Behauptungen Kriege
angefangen haben. Wir haben uns – humanitäre Beiträge mal abgesehen –
weitgehend rausgehalten, immer unsere Wirtschaft im Blick: was ist an diesem
Krieg so anders, dass man alle Grundsätze über den Haufen schmeißen muss, nur
den Blick auf die Wirtschaft nicht?
Pazifismus bedeutet, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen, überall auf der Welt.
Das kostet Geld, das geht an die eigene Bequemlichkeit. Pazifismus bedeutet,
den Klimawandel im Blick zu haben und aufhalten zu wollen: das geht nicht, wenn
man den Status Quo erhalten will.
Geschichte wird von Siegern geschrieben. Auch unsere. Wenn man genau hinschaut,
dann kann man eine Menge kritisieren an der Aussage: das militärische
Einschreiten der Alliierten hat Hitlerdeutschland beendet und den Frieden
gebracht. Ja, wir hier, in Westdeutschland, haben im Frieden gelebt, lange
Jahre. Im Osten Europas war das deutlich anders – es sei denn man definiert
Frieden lediglich als Abwesenheit von Krieg. Auch da ist die Wahrheit deutlich
vielschichtiger.
Ich verstehe jeden, der sagt: wir müssen Waffen liefern, damit die Ukraine
gewinnen kann, denn Putin marschiert weiter. Ja, vielleicht tut er das:
allerdings wären als nächstes Nato-Länder dran und da ist dann doch das
Narrativ der Abschreckung? Ich verstehe auch jeden, der sagt, dass wir Waffen
liefern müssen, um einen dritten Weltkrieg zu verhindern: auch da allerdings
frage ich mich, ob das nicht gerade dazu führen könnte? Ich weiß es nicht.
Ich verstehe auch jeden, der sagt, wir müssen Waffen liefern, damit die
Menschen nicht in einer Diktatur leben. Ja, auch da gehe ich mit: auch ich will
nicht, dass die Ukraine eine Diktatur unter russischer Aufsicht wird. Ich sehe
nur, dass wir vorher zugelassen haben, dass Menschen in Russland selbst oder in
ehemaligen sowjetischen Republiken so leben müssen – und weiter nur unsere
Wirtschaft im Blick gehabt haben.
Ich weiß nicht, was richtig ist. Ich sehe nur, dass Waffen keinen Frieden
bringen – und ob sie Putin zurück an den Verhandlungstisch bringen, bezweifle
ich: hoffe aber, dass ich Unrecht habe.
Worauf ich allerdings mit diesem Text hinaus will, ist folgendes: Niemand, der
sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt, macht es sich leicht. Niemand, egal,
wie sein oder ihr Fazit sein wird, weiß, ob er oder sie recht hat. Es gibt so
Entscheidungen, die immer falsch sind. So oder so.
Und daher wünsche ich mir etwas mehr Respekt von beiden Seiten. Denn eins ist
klar, Menschen, die nicht einmal untereinander Frieden halten können, die den
Respekt den Nächsten gegenüber verloren haben, die sind nicht geeignet Frieden
zu schaffen, egal, auf welcher Seite sie stehen.
Es mag abgedroschen sein: aber Frieden fängt im Kleinen an. Wenn wir uns
zerstreiten, ist das ein Sieg Putins.
Fangen wir wieder an, einander wirklich zuzuhören. Versuchen wir, einander zu
verstehen: das muss man wollen. Versuchen wir, unsere Ansicht, unser Ringen
darum, was richtig ist, zu erklären. Im Endeffekt wollen wir alle das gleiche:
dass dieser Krieg aufhört, dass der Angriff auf einen souveränen Staat auch
über ein Ende des Krieges hinaus Thema bleibt, geächtet wird und mit
friedlichen Mitteln diese Ächtung auch zum Ausdruck gebracht wird. Dass die
Ukrainer in ihre Heimat zurückkehren können als freie Menschen. Dass das Töten,
dass sinnlose Sterben von jungen Männern und Frauen, die doch auch nichts
anderes wollen als leben, endlich ein Ende hat.
Wir streiten über die Wege dahin: dass ist legitim. Aber wir sollten immer
wissen, dass niemand sich die Entscheidung leicht macht, dass wir alle um den
richtigen Weg ringen.
Das könnte unser Beitrag zum Frieden in der Welt sein. Lassen wir Putin nicht
gewinnen.
Schwerter zu Pflugscharen – persönliche Gedanken zu Krieg und Frieden
Ich bin mit 17 das erste Mal auf die Straße gegangen, um für den Frieden zu demonstrieren. Im Rahmen des Krefelder Appells gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Deutschland. Es folgten viele friedensbewegte Aktionen und Demos, in Krefeld, in Bonn, an der Selfkant – überall, wo erreichbar etwas stattfand. Wir hatten ehrlich Angst vor dem Dritten Weltkrieg und vor Atomraketen und sangen Lieder vom Frieden ohne Waffen: überzeugt, dass das der einzige Weg ist, Frieden in die Welt zu bringen. Als dann Ende 1989 die Mauer fiel, völlig unmilitärisch, nach friedlichen Protesten, habe ich geweint: die Einteilung der Welt in Gut und Böse, in Schwarz und Weiß schien mir überwunden.
In den weiteren Jahren etablierten sich die USA als Weltpolizei, die darüber entscheidet, wer gut und wer böse ist, gerne auch mal mit Militärgewalt, gerne auch mal auf Grund von Lügen: wieder trieb es uns auf die Straße, im ersten Irakkrieg (1990) hängten wir weiße Betttücher aus dem Fenster als Zeichen, dass wir gegen diesen Krieg waren und morgens im Morgenmagazin konnten wir dem Krieg sogar zuschauen: Dieser Krieg war weit weg und doch irgendwie gruselig nahe, aber er ging uns im Prinzip „nur“ etwas an, weil wir immer noch auf den Weltfrieden hofften und glaubten, der größte Teil der Welt habe den Krieg überwunden. Gleichzeitig mische sich die „westliche Welt“ mit der NATO in den Jugoslawienkrieg ein in dem ohne Zweifel große Grausamkeiten geschahen: ob das Einschreiten der NATO irgendwas befriedet hat und ob er überhaupt gerechtfertigt war, wird bis heute auch von Völkerrechtlern bezweifelt. Dieser Krieg war uns wieder näher: war doch Jugoslawien Urlaubsort für viele Menschen, und als ich in einem Sommer Anfang der 90er in Lienz an der Drau stand, die ja Richtung Jugoslawien fließt, wurde mir das so richtig bewusst.
In Deutschland haben wir Frieden seit 1945. Wir waren zwar in Kriege verwickelt, hatten Minister, die sagten, man müsse Deutschland auch am Hindukusch verteidigen (welches Elend das ausgelöst hat, konnten wir ja nun vor kurzem gut erkennen), aber wir selbst wandten uns anderen Themen zu, durchaus auch wichtig: dem Umweltschutz, der Gerechtigkeit auch für die ärmsten Länder der Welt, der Frage, wo wir auf Kosten anderer lebten, dem Klimaschutz: auf die Straße gingen wir weiter, bis heute, die Zeit der großen Friedensdemos, die immer ausdrücklich auch Antikriegsdemos waren und den Rüstungswettlauf kritisierten, war vorbei.
Auch 2014, als Putin in die Krim einmarschierte, waren wir zwar entsetzt, ließen uns aber überzeugen, dass dort hauptsächlich Russen lebten, die gerne wieder zu Russland gehören wollten – und die wohl vielleicht auch in der Ukraine nicht sehr willkommen waren. Und auch das Verhalten der NATO war damals nicht ok, so dass wir uns lieber nicht zu einseitig positioniert haben.
Vor einer Woche ist Putin vom Verhandlungstisch aufgestanden und hat seine Truppen Richtung Ukraine in Bewegung gesetzt, wohl in dem Glauben, dass die Ukrainer in Scharen zu ihm überlaufen.
Und ich sitze jetzt hier, fühle mich in die 80er zurückversetzt und frage mich, ob das ganze „Frieden schaffen ohne Waffen“ nur eine naive Träumerei ist, ob Pazifismus zum Untergang führt.
Vorab: ich habe jedes Verständnis dafür, dass die Ukrainer sich verteidigen. Auch wenn ich nicht durchblicke ob und wenn ja wie großen Anteil die Ukraine an diesem Krieg hat: nichts rechtfertig den Einmarsch in ein unabhängiges Land. Ich glaube dennoch, dass Pazifismus der einzige richtige Weg ist. Konventionelle Kriege können keine Lösung mehr bieten. Und Atomkriege – die würden uns alle vernichten.
Ich glaube, dass wir jetzt nicht anfangen sollten, Waffen in Krisenherde zu liefern, im Glauben, „die Guten“ zu unterstützen, auch wenn ich verstehe, warum dies geschieht: Jede Waffe generiert mehr Tote, und je mehr Menschen sterben, desto unmenschlicher wird der Krieg. Ich glaube auch nicht, dass wir jetzt anfangen sollten, Deutschland aufzurüsten und die Bundeswehr neu aufzustellen. Ich glaube, wir müssen das Geld in die Hand nehmen für die Friedensarbeit, für Gerechtigkeit, für Klimaschutz: da, wo Menschen frei und in Frieden leben können und nicht um ihr Auskommen fürchten müssen, da, wo Menschen in der Lage sind, nicht auf jeden Populisten reinzufallen, da, wo Gleichheit und Gerechtigkeit für alle verwirklicht wird ist kein Nährboden für Krieg. Dazu gehört aber auch, dass ich mir überlegen muss, wie mein konkretes Leben aussehen muss, damit diese Gerechtigkeit verwirklicht wird. Dazu gehört auch, dass mir klar wird: solange wir von Diktatoren wirtschaftlich abhängig sind, weil wir ihr Gas und ihr Öl nutzen, so lange werden sie ihr Spiel mit uns treiben und wir werden weiter schweigen zu Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung.
Ja, es kann sein, dass sich mein Leben grundlegend ändern muss. Dass die Zeit des friedlichen Wohlstandes vorbei ist. Schließlich gibt es auch bei uns Menschen, die wir mittragen müssen, wenn es finanziell schwierig wird.
Ich bleibe dabei: Waffen schaffen keinen Frieden. Gerechtigkeit und Klimaschutz sind der einzige Weg.
Dafür will ich mich weiter einsetzen. Für diesen Frieden gehe ich weiter auf die Straße.