Weltflüchtlingstag 2023

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag.

Weltweit sind zurzeit ca. 110 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als je zuvor. Die Gründe sind vielfältig: Krieg und Vertreibung, lokale Konflikte und Gewalterfahrung, Diskriminierung und Verfolgung durch den Staat oder lokale Extremisten, aber auch Naturkatastrophen, Dürre, Überschwemmungen, Anstieg der Meere – alles, was dazu führt, dass Menschen dort, wo sie leben, keine Zukunft mehr haben. Die allermeisten von ihnen (ca. 58 %) bleiben im eigenen Land, viele drängen über die Grenze ins Nachbarland, in dem oft ebenfalls die Bedingungen schlecht sind, und versuchen so zu überleben und eine Zukunft zu bekommen. Darüber hinaus sind die drei größten Aufnahmeländer die Türkei mit 3,6 Millionen, der Iran mit 3,4 Millionen und Kolumbien mit 2,5 Millionen. 2,3 Millionen Menschen sind als Flüchtlinge und Vertriebene seit 1950 nach Deutschland gekommen, dazu gehören auch z.B. Vertriebene aus dem Osten (z.B. sogenannte „Russlanddeutsche), ca. 1 Million. Oder auch europäische Asylbewerber, z.B. aus dem Spanien Francos.
Die in den letzten Jahrzehnten Zugewanderten sind im Schnitt 40 Jahre alt, 41 % sind Frauen. (Quellen: Statistisches Bundesamt und UNO-Flüchtlingshilfe.)
So weit die trockenen Zahlen.

Viele Menschen haben Angst vor Geflüchteten, Vorurteile „alles junge aggressive Männer mit Messern, die es auf unsere Frauen abgesehen haben“ grassieren nicht nur im Internet. Ich fahre mehrmals die Woche mit dem Zug nach Bochum, im Zug herrscht fröhliches Sprachenwirrwar und auch an der Ruhruni gibt es viele Studenten und Studentinnen mit erkennbarem Migrationshintergrund – da gehen z.B. fröhliche Frauen mit Kopftuch in der juristischen Fakultät ein und aus, und auch sonst prägt das Nationengemisch des Ruhrpotts auch den Unicampus. Ich habe da noch nie negative Erlebnisse gehabt, im Gegenteil.

Ein Erlebnis aus der letzten Woche möchte ich schildern: es war in der RB 35 nach Duisburg. Ich steige im Forsthaus ein, in Krefeld HBF steigen dann viele aus und neu wieder zu. Drei junge Männer stiegen ein, einer setze sich mit einem freundlichen Salem Aleikum zu mir, zwei andere in den benachbarten Vierer. Alle drei sahen so aus, als könnten sie Migrationshintergrund haben: sicher weiß man das ja nie. A, der bei mir saß, grüßte auch alle anderen Einsteigenden mit Salem Aleikum – was ihm von einem älteren, durchaus seriös aussehenden Herrn ein „ich komm Dir gleich Salem Aleikum“ eintrug.

Dann fing er an, einen RAP zu singen: „10 Jahre ich bin hier, immer noch keine Papier, Leute, was soll ich machen, das Problem liegt nicht bei mir“ (ich habe inzwischen recherchiert: der Künstler heißt Malek Samo). Und der vielleicht etwas Ältere der beiden aus dem Nachbarvierer (B) stimmte ein. Als sie fertig waren, meinten sie „so ist das“ und lächelten mich an. Offensichtlich aufgefordert, ins Gespräch zu kommen, fragte ich nach: nein, beide seien sie inzwischen Deutsche, auch wenn es schwierig gewesen sei. A ist geflohen, als er im Irak rekrutiert wurde und auf Klassenkameraden, die von anderer Seite rekrutiert wurden, schießen sollte (er hat mir Bilder auf dem Handy gezeigt von sich als Soldat), B ist als Kind rumänischer Einwanderer in Deutschland geboren. Der dritte hatte auch einen rumänischen Hintergrund, da er sich am Gespräch aber nicht beteiligte, sondern die ganze Zeit nur lächelte, habe ich nichts Näheres erfahren.  Beide sprachen hervorragendes Deutsch und alle drei bereiteten sich gerade auf das Abitur vor, so erzählten sie mir.

Dann kam die unweigerliche Frage: „Und was machen Sie?“. Meine Antwort „ich studiere katholische Theologie“ brachte Staunen und Bewunderung hervor und das Bekenntnis, das A Muslim sei und die beiden anderen Evangelisch. Und dann kam etwas, was ich nicht erwartet hatte: ein tiefschürfendes Gespräch über den einen Gott, der die Liebe ist, über Extremismus und Fundamentalismus. Ich habe sehr bedauert, dass der Zug diesmal keine außerplanmäßige Halte hatte. Alle drei fühlen sich in Deutschland übrigens grundsätzlich wohl, solange sie nicht feindlich angegangen werden: solchen Situationen versuchen sie aus dem Weg zu gehen. Blöde Sprüche wie der des älteren Herrn verletzen sie zwar, sind für sie aber nicht typisch für Deutschland. Gott sei Dank, kann ich da nur sagen.

Warum ich das hier niederschreibe? Weil ich wieder mal erfahren habe, dass vieles nicht so ist, wie es scheint. Diese drei jungen Männer bereichern unser Land. Wir sollten positiv auf die Menschen zugehen. Wir sollten solche Begegnungen nutzen, ins Gespräch zu kommen.

Gedanken zum Weltflüchtlingstag

Heute ist Weltflüchtlingstag.
Die Meinungen zu Menschen, die flüchten, gehen ja weit auseinander, ein Grund für mich, einmal darüber nachzudenken, warum wir die Geflüchteten so unterschiedlich sehen und behandeln.
Sicher, es gibt verschiedene Fluchtgründe. Jetzt gerade, die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, die haben unser volles Mitgefühl: sie sehen fast so aus wie wir, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben, sind oftmals gut ausgebildet, überwiegend christlich sozialisiert, flüchten vor einem unmenschlich grausamen Krieg und sind Europäer. Ach ja, und es sind überwiegend Frauen und Kinder, die Männer bleiben zurück, weil sie ihr Land verteidigen wollen. Auch, wenn dieses Wollen oft nicht freiwillig ist: sie werden einfach nicht rausgelassen. Die meisten würden gerne schnell wieder zurückgehen. Ach ja, und manche von ihnen haben bei uns ja schon in der Pflege gearbeitet, so im 3 Monatsrhythmus… Kein Vergleich z.B. zu den Syrern, die kamen (und kommen) zwar auch aus einem Land, in dem ein grausamer Krieg immer noch herrscht, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben wie wir und sind oftmals gut ausgebildet: aber sie sind keine Europäer, viele junge Männer sind darunter (weil die Flucht an sich lebensgefährlich war), und Christen scheinen auch die wenigsten zu sein: also werden die Ukrainer schnellstens anerkannt, erhalten Sprach- und Integrationskurse, dürfen kostenfrei den ÖPNV nutzen und bekommen Hartz VI – und (fast) keiner schimpft darüber, dass sie Handys dabei haben (manche sind sogar mit dem Auto hier!) – und viele Syrer harren bis heute in den Unterkünften aus, von (schneller) Anerkennung, die Grundlage für Sprach- und Integrationskurse ist, und Hartz IV keine Spur, genau wie bei anderen Kriegsflüchtlingen aus aller Welt.
Dann gibt es die Asylbewerber: da unterscheiden wir dann sehr genau, ob sie vom Staat politisch verfolgt werden oder vielleicht doch nur von terroristischen Banden oder den Bürgern des Staates: nur erstere haben einen Asylgrund, auch wenn sie ebenfalls nicht so vorrangig behandelt werden wie die Ukrainer. Wenn sie dagegen nicht von Seiten des Staates verfolgt werden, haben sie keinen, manchmal bekommen sie eine Aufenthaltserlaubnis, z.B. christliche Frauen aus Nigeria, die dort besonders gefährdet sind – ein christlicher Nigerianer, den ich kennengelernt habe, durfte dagegen – trotz nachgewiesener Folter durch Boko Haram – nicht bleiben…
Und wer sein zu Hause verlässt, weil der Klimawandel ihm kein Bleiben ermöglicht, weil er oder sie vor Ausbeutung flieht, vor Hunger, vor behandelbaren Krankheiten, weil er oder sie sein Kind vor einem Leben in Elend und Not bewahren will – nun, diese Menschen haben keinerlei Recht, in die EU/nach Deutschland zu kommen.
Wie oft hört man, auch von Menschen, die sich christlich nennen, die NGOs mögen doch bitte die Schlepperei im Mittelmeer lassen: es sei nur ein Anreiz zur Flucht: dabei ist es längst bewiesen, dass die Menschen auch dann flüchten, wenn sie wissen, dass kein Seenotretter unterwegs ist. Ganz ehrlich: glauben wir wirklich, dass sich diese Menschen alle, oft auch mit Frauen und Kindern, in Lebensgefahr begeben, weil sie in Deutschland von Sozialhilfe leben wollen?
Ich verstehe diese Unterschiede nicht. Trotz allem, ja, auch trotz der hohen Energiepreise, sind wir ein reiches Land. Niemand muss aus Deutschland flüchten. Ja, es gibt soziale Verwerfungen, die nicht sein müssten, es gäbe durchaus Lösungsmöglichkeiten für viele Probleme. Aber dennoch: es fallen keine Bomben, die allermeisten haben ein Dach über dem Kopf, ein Bett für sich allein und jeder hat ein Recht auf Schulbesuch und Ausbildung. Und davon wird nichts weniger, wenn wir alle Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen, im Gegenteil: die allermeisten würden gerne Arbeiten, eine Ausbildung machen oder ihre (oft bessere) Ausbildung hier anerkennen lassen. Auf der anderen Seite gibt es freie Stellen, auch freie Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden können. Es fehlen Kräfte in der Pflege und in Handwerk und Industrie. Oft haben Geflüchtete Jugendliche in wenigen Jahren einen guten Schulabschluss, können studieren: wenn die Voraussetzungen dafür, dass sie in die Schule gehen können, entsprechend sind. Als Werktätige aber würden diese Menschen Steuern zahlen und in die Sozialkassen einzahlen: alles das wäre dringend erwünscht. Stattdessen schotten wir uns immer weiter ab, lassen Menschen ertrinken oder in den Wäldern an Polens Grenze jämmerlich erfrieren, verhungern oder an Krankheiten sterben, an denen kein Mensch sterben muss.

Warum machen wir diese Unterschiede? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es fatal ist: Menschen, die in Lagern leben, die nicht arbeiten dürfen, denen man um 10 Uhr das Licht abdreht oder das Rauchen verbietet, den Ausgang reglementiert, deren Traumata man nicht behandelt, werden schlimmstenfalls auf dumme Gedanken kommen. Die dann an den Umständen liegen, nicht an der Mentalität, wie so gerne gesagt wird. Menschen, die arbeiten wollen und deren Arbeitskraft auch dringend benötigt wird nicht kommen zu lassen ist zudem auch ziemlich dumm.
Vor allem ist es aber unchristlich. Auch, wenn die Menschen keine Christen sind. Und unmenschlich. Es gibt keinen Grund, Unterschiede zu machen. Es ist kein Verdienst, in Deutschland geboren worden zu sein statt in Afghanistan oder Nigeria. Es ist kein Verdienst, in einer sich christlich nennenden Umgebung aufgewachsen zu sein statt als Uigure in China. Es ist kein Verdienst, in ein Land hineingeboren zu sein, dass eine freiheitlich rechtsstaatliche Demokratie ist und nicht in eine Diktatur. Es ist Glück. Und Glück vermehrt sich, wenn man es weitergibt.  Wir sollten aufhören, die Welt auszubeuten. Den Klimawandel zu ignorieren. Flüchtlinge in richtig und falsch einzusortieren. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir weiter friedlich leben wollen, müssen wir uns klarmachen, dass das nur geht, wenn wir anstreben, dass alle Menschen menschenwürdig leben können. Und doch, wir können etwas dazu beitragen. Denn wir leben auf Kosten der anderen. Was können wir tun? Es sind ganz banale Dinge wie Energiesparen, öfter mal das Auto stehen lassen und statt 10 billiger T-Shirts, die nach der ersten Wäsche verzogen sind, vielleicht lieber nur ein oder zwei kaufen, die fair hergestellt sind und zu dem länger halten. Wir müssen keine Lebensmittel aus Übersee essen, deren Klima- und Umweltbilanz fatal ist. Auch, wenn sie vielleicht superlecker sind. Oder zumindest nicht täglich. Wir können Gemüse saisongerecht kaufen. Unseren Fleischkonsum einschränken – und zumindest vielleicht mal ausprobieren, wie es sich als Vegetarier oder Veganer lebt – und einiges davon vielleicht auch übernehmen. Kaffee aus fairem Handel ist pro Tasse nur ein paar Cent teurer als anderer. Jeder und jede kann für sich überlegen, welche Maßnahmen er oder sie in ihrem Leben umsetzen möchte – und manchmal stellt man fest, dass weniger mehr ist. Wir können auch politisch anders denken: muss ich vielleicht neu über Windräder nachdenken? Ist das St.Floriansprinizip immer die bessere Alternative? Wer hat die globale Welt im Blick, wenn ich das nächste Mal zur Wahl gehe? Welche Petitionen, welche Anliegen unterstütze ich? Sind Demos für mich eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen? Der Möglichkeiten sind viele für die, die eine gerechtere Welt wollen.
Es wäre auch für Menschen angebracht, darüber nachzudenken, denen die Welt am Popo vorbeigeht. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir anderen das Leben, das wir uns gönnen, nicht zugestehen: irgendwann überrennen sie uns dann vielleicht wirklich und holen sich das, was wir ihnen vorenthalten.

Tag der Menschenrechte im Advent 2021

Europa – und allen voran Deutschland – bekennen sich zu den Menschenrechten. Dazu gehören verschiedene bürgerliche und politische Freiheitsrechte und Beteiligungsrechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Unter anderem hat jeder Mensch ein Recht auf Leben, Gesundheit, Arbeit und Wohnen, auf Bildung, auf Gleichheit vor dem Gesetz, hinzu kommen das Verbot der Folter und die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und die Religionsfreiheit. Seit 2010 ist auch Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht. Zurzeit wird diskutiert, ob es ein Recht darauf geben soll, in sauberer Umwelt zu leben.

So weit, so gut. Gleichzeitig spielen sich an Europas Außengrenzen Dramen ab, bei denen alle diese Rechte, allen voran das Recht auf Leben, mit Füßen getreten werden: an der Grenze zwischen Polen und Belarus, in den griechischen Lagern, auf dem Mittelmeer: überall sterben Menschen, erfrieren, ertrinken, verhungern, sterben an fehlenden Zugang zur Gesundheitsfürsorge und an vermeidbaren Erkrankungen, die auf mangelnde oder gar nicht erst vorhandene sanitäre Einrichtungen etc. zurückgehen.
Von Arbeit, Wohnen, Bildung und so weiter gar nicht erst zu reden. Auch die Pressefreiheit wird mit Füßen getreten und Journalisten die Berichterstattung gewährt.

Und wir? Wir bereiten uns auf Weihnachten vor, auf das Fest des Friedens, der Familie, auf das Fest, an dem der Erlöser und Friedensfürst, wie Christen glauben, Mensch wird.

Aber was können wir tun, werden Sie und Ihr jetzt zurecht fragen. Mir fällt da gerade so einiges ein: Organisationen unterstützen, die vor Ort Hilfe leisten wie z.B. Sea-Watch oder Ärzte ohne Grenzen. Petitionen unterschreiben. Unterschriften sammeln. Mails und Briefe an Entscheidungsträger schicken.

Und, ganz wichtig: den Mund aufmachen, wenn Menschen richtig finden, was da passiert, wenn sie von „selbst schuld“ reden, von Sozialtourismus und ähnlichen Dingen: Kein Mensch begibt sich in Lebensgefahr um zwei Cent mehr in der Tasche zu haben. Diese Menschen wollen nichts anderes als das, was ihnen zusteht: die Wahrung ihrer Menschenrechte, ein Recht auf Leben und Gesundheit, Arbeit und Wohnen, auf Bildung, Gleichheit vor dem Gesetz, kurz gesagt auf eine menschenwürdige Zukunft.

Wenn wir den Mund aufmachen, nicht um jemanden niederzuschreien, sondern mit sachlichen Argumenten, wenn wir denen hörbar entgegentreten, denen das Schicksal der Geflüchteten bestenfalls egal ist und die oft auch mit falschen Fakten agieren, dann tragen wir dazu bei, dass mehr Menschen ein Lebensrecht bekommen.

Und wenn wir unseren Lebensstandard und unsere Gewohnheiten daraufhin überprüfen, welche negative Auswirkung auf das Leben anderer Menschen dadurch bedingt sind und wie wir das ein oder andere ändern können, dann ist das ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Dann tragen wir mit dazu bei, dass die Menschheit das verwirklicht, wozu sie sich bekannt hat: zur Einhaltung der Menschenrechte.

Gedanken zu St.Martin

Niederrhein. Heute ist St. Martin. Überall ziehen, zumindest in diesen Breiten hier, Martinszüge durch die Städte, und die Story vom Teilen wird Kindern nahegebracht: trotz Eiseskälte hat St. Martin seinen Mantel geteilt mit dem armen Bettler am Straßenrand (man kann darüber diskutieren, ob er es durfte oder ob es ihm sogar leicht viel, weil der Mantel seinem Arbeitgeber gehörte, aber sei es drum 😉 ).

Marin von Tours hat es wirklich gegeben – wieviele der Geschichten, die über ihn erzählt werden, einen Wahrheitsgehalt haben, weiß niemand so genau. Sulpicius Severus, einer seiner Weggefährten, schrieb einige Begebenheiten seines Lebens nieder. Sicher ist: Martin war vor Ablauf seiner Soldatenzeit ein hochrangiger Militär und hat, als er Christ wurde, versucht, vorzeitig aus dem Armeedienst auszusteigen. Sein Ziel: den Menschen zu helfen.

Ortswechsel: Grenze zwischen Polen und Belarus. Viele verzweifelte Menschen versuchen, an der Grenze in die EU zu gelangen, um einen Asylantrag stellen zu können. Sie kommen aus Afghanistan, aus dem Irak, und sie wollen eins: in Sicherheit leben können. Polen tut alles, die Flüchtlinge zu vertreiben, und geht dabei noch weiter, als es bisher üblich ist: neben illegalen Pushbacks, die von Amnesty International dokumentiert sind, wird ihnen Wasser und Nahrungsmittel verweigert und insbesondere auch die ärztliche Versorgung. Die Dokumentation vor Ort ist schwierig, weil auch Anwält:innen und Journalist:innen der Zugang blockiert wird, trotz einer eindeutigen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Aber manches dringt eben doch durch: Anwohner der dünnbesiedelten Zone erzählen von verhungernden Menschen, von dünnen Pullovern in Eiseskälte und schrecklichen Zuständen. Einer der Toten war Gailan Ismail, 26 Jahre alt, aus dem Irak: er starb, weil ihm medizinische Hilfe verweigert wurde. Er war auf dem Weg zu Verwandten nach Krefeld, wo er ein neues, sicheres Leben anfangen wollte.

Ortswechsel: EU. Die Politikerinnen und Politiker der EU gucken nicht weg. Sie schauen hin, debattieren und stellen dann fest: Polen soll fest bleiben, Lukaschenko soll aufhören, die Flüchtlinge zu schicken, und auf keinem Fall will man sich von ihm erpressen lassen. Das die Menschenrechte auch von Polen und somit von der EU mißachtet werden, dass das europäische Asylrecht ausgehebelt wird, wenn man die Menschen mit Gewalt davon abhält, europäischen Boden zu betreten – wen interessierts? Menschen werden zum Spielball politischer Kräfte. Sie werden quasi entmenschlicht, die Sprache, auch in den Medien, ist schon wieder entsprechend: von Flüchtlingsströmen ist die Rede, von Ansturm, von Durchbruch…

St. Martin teilt den Mantel mit dem Bettler. Das christliche Europa feiert ihn, heute. Während dessen lassen wir Menschen an unseren Grenzen erfrieren. Und die, die, zumindest im Internet, laut schreien, dass St. Martin St.Martin bleiben muss, tönen mit Blick auf die frierenden Menschen dort an der Grenze: „Wer sich in Gefahr begibt kommt darin um“.

Die Botschaft von St. Martin spielt da keine Rolle mehr: wir beschränken Teilen und Mitgefühl auf Folklorefeste.

(Quellen: z.B. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/polen-belarus-migranten-durchbruch-grenzsicherung-russland-100.html; https://www.tagesschau.de/ausland/europa/polen-belarus-123.html; https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/polen-belarus-afghanische-asylsuchende-rechtswidrige-push-backs; Seebrücke Krefeld)

Flüchtende an Europas Außengrenzen – Weltfrauentag 2020

Weltfrauentag. Eigentlich ein Anlass, über Gleichberechtigung in Kirche und Gesellschaft zu schreiben, hier und überall auf der Welt. Da liegt noch viel im Argen, auch bei uns, wenn man z.B. weiß, dass in Deutschland jeden 3. Tag eine Frau ermordet wird, weil sie ihren Partner verlassen hat. Die Ideologie, die da hinter steckt, ist immer noch die Gleiche: die Frau ist dem Mann untertan – und wenn sie es nicht ist, nun, dann muss das Konsequenzen haben. Auch die Kleinigkeiten, wenn z.B. bei „wichtigen“ Fragen eher dem Mann als der Frau Kompetenz zugesprochen wird, dass die Bezahlung immer noch nicht überall gleich ist, dass die sogenannten Frauenberufe, insbesondere die Pflegenden und Erziehenden, deutlich schlechter bezahlt sind als andere, obwohl sie doch die Verantwortung für uns Menschen als Menschen haben – geschenkt.

Ich bin in relativ emanzipatorischer Atmosphäre groß geworden, in einer traditionellen Familie, in der die Mutter für ihre Töchter genau das nicht wollte: dass sie zwangsläufig in traditionellen Strukturen landen.  Mein Vater sagte zwar durchaus so Dinge wie: wenn eine Frau nicht Brotschneiden kann, kann sie nicht heiraten (deshalb beherrsche ich diese Kunst bis heute nicht), aber abgesehen von solchen Sprüchen hat er uns Geschwister immer gleichbehandelt, unabhängig vom Geschlecht. In einer echten emanzipierten Gesellschaft wäre mein Leben zwar anders verlaufen, erst recht in einer emanzipierten Kirche. Aber ich war und bin mir immer bewusst: ich bin trotz allem privilegiert. Ich habe eine ausgezeichnete Schulbildung genossen, habe studieren dürfen, und ich hatte das Glück, meine Kinder immer entweder gut versorgen zu können oder aber gut versorgt zu wissen.

Und genau das ist hier und heute mein Problem. Vor ein paar Tagen gab es auf RTL ein Interview mit einer jungen Frau, 19 Jahre alt, die an der türkisch-griechischen Grenze mit ihren Kindern, 7 und 4 Jahre alt, ausharrt, um in die EU zu kommen. Sie möchte, wie sie in durchaus verständlichem Englisch erzählte, gerne hier die Möglichkeit haben, eine Ausbildung zu machen, vielleicht zu studieren.
Die Kommentare, die von deutschen Männern und Frauen, ja, auch Frauen, dazu abgegeben wurden, waren entlarvend: Selbst schuld, wer mit 19 schon 2 Kinder hat, will nur in die soziale Hängematte, sie kann offensichtlich nix außer Kinder kriegen, ist sicher strohdumm, wahrscheinlich hat sie noch nie eine Schule von innen gesehen, die will nur schmarotzen.

Und mir wurde mal wieder klar: bei allem Leid der Welt sind neben den Kindern die Frauen, die am meisten leiden müssen – sie sind aber zusätzlich die, die am meisten Häme ertragen müssen. Kann irgendeiner von den Kommentatoren auch nur erahnen, in welcher Lage diese Frau ist? Glaubt wirklich irgendjemand, dass sie an ihrem Schicksal selber schuld ist? Dass sie mit 12 bewusst das erste Kind bekommen hat, um nicht arbeiten zu müssen? Dass sie mit 2 Kindern diese erbärmliche Flucht auf sich genommen hat, weil sie sich in die soziale Hängematte legen will? Und dass jemand, der strohdumm ist, Englisch lernen kann?

Was geht da vor? Was geht in Menschen vor, die hier in Deutschland aufgewachsen sind, hier leben, von denen man eigentlich glauben müsste, dass sie die abendländischen Werte, die wir ja immer so gern verteidigt haben, mit der Muttermilch aufgesogen haben?

Mich wundert nicht, dass unsere Werte nichts mehr gelten. Sicher würde keiner sagen: ich bin für die Abschaffung der Menschenwürde. Aber es scheint doch so zu sein, dass jeder entscheiden will, für wen sie gilt – für solche Frauen schon mal nicht.

Die neuen deutschen Werte scheinen zu sein: Deutschland und die (richtigen) Deutschen zu erst, Abschottung gegenüber allem nichtdeutschen, Augen und Ohren verschließen vor dem Elend der Welt. Und den Mund nur aufreißen gegenüber denen, die noch Mitleid und Menschlichkeit verspüren. Und wenn einem da nix sachliches mehr einfällt – nun, dann kann man die „Gutmenschen“ ja beschimpfen, zum Arzt schicken, einen guten Zahnarzt empfehlen…

Das sind die Momente, wo es mich gruselt. Die Momente, in denen ich mich frage, was ich tun kann, außer schreiben, außer laut werden, außer auf die Straße gehen. Aber das sind auch die Momente wo ich weiß, dass ich das tun muss: schreiben, reden, laut werden. Und beten. Beten, dass wenigstens die Politiker endlich zur Einsicht kommen, dass wir den Menschen helfen müssen. Dass sie nichts dafürkönnen, diese Frauen, und diese Kinder. Und dass sie ein Recht haben auf Zukunft, so wie jeder andere Mensch auf dieser Erde auch. Wir sind ein reiches Land. Wir gründeten uns einmal auf Werte. Ich bete, dass wir uns darauf besinnen. Ich bete, dass unsere Werte nicht mit den Toten im Mittelmeer ersaufen.

Das Boot ist noch lange nicht voll

Nach meinen Gedanken zu Europa komme ich jetzt näher. Deutschland. Ein Land, in dessen Verfassung, dem Grundgesetz, an aller erster Stelle steht: die Würde des Menschen ist unantastbar.

Was Mut macht: viele Städte und Gemeinden, Landkreise und Bundesländer und auch Kirchengemeinden sind bereit, Menschen aus den griechischen Lagern aufzunehmen. Sie haben Kapazitäten und Möglichkeiten, sie sagen genau, was sie leisten können. Das würde die Lage vor Ort deutlich entschärfen, und insbesondere unbegleitete Kinder und Familien mit Kindern bekämen Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft, Nahrung, Hygiene, ärztlicher Versorgung und einem geordneten Verfahren, dass über ein Asyl- und/oder Bleiberecht entscheiden würde. Diese Bereitschaft lässt mich hoffen, dass wir doch noch nicht so tief gesunken sind, wie es erscheint.

Auf der anderen Seite steht die Politik, vor allem die Politiker mit dem „C“ im Namen ihrer Partei. Sie verhindern, dass diese Menschen hierherkommen können, indem sie so Sprüche klopfen wie: „nur im Rahmen aller/oder zumindest mehrerer Europäischer Staaten“, „ein Alleingang wäre fatal“, „wir können keinen aufnehmen, wir haben keinen Platz“, „jeder Flüchtling mehr bringt eine Stimme mehr für die AfD“ und vieles mehr, was in meinen Ohren teilweise so menschenverachtend klingt, dass ich es gar nicht aufführen möchte. Lindner spricht von „Kontrollverlust“ und Friedrich Merz sagt den Flüchtlingen direkt ins Gesicht, dass wir sie hier nicht haben wollen. Ursula von der Leyen (ok, die ist nun wieder Europa) lobt Griechenland – das Land, was gerade völkerrechtswidrig das Asylrecht außer Kraft gesetzt hat und Menschen, die bereits in Griechenland angekommen sind, zurückschickt – gegen jede Regelungen der Europäischen Union, gegen die Menschenrechte.

Und alle sind sich einig: kein zweites 2015. Nun, dass will niemand. Aber damit es nicht dazu kommt, muss man jetzt (und hätte man schon vor Monaten und Jahren) die kontrollierte Einreise ermöglichen, und ja, wenn‘s nicht anders geht, im Alleingang. Es gäbe keinen Kontrollverlust wie 2015: wir wüssten ja, wer kommt, wir würden die Menschen ja quasi kontrolliert einfliegen. Wir wissen nun auch wie’s geht – 2015 war da ein gutes Übungsjahr. Viele, die damals gekommen sind, sind inzwischen durch ein Anerkennungsverfahren gegangen, haben Deutsch gelernt und sind in Arbeit oder Ausbildung. Die Kinder gehen zur Schule – bei den meisten läuft es. Und wir haben Kapazitäten – es wurden damals ja gar nicht so viele wie befürchtet. Die Aufnahmewilligen haben ja geprüft, was sie leisten können. Und keiner will, dass alle Flüchtlinge dieser Welt nach Deutschland kommen. Und die meisten wollen auch nicht, dass auch die, die kein Bleiberecht haben, bleiben.

Aber: wir hätten die Möglichkeit den Menschen zu helfen. Wir nennen unsere Tradition und unsere Werte christlich: das, was da jetzt abgeht, dieser Grenzkrieg gegen die Ärmsten der Armen, neues Geld an Herrn Erdogan bis zur nächsten Erpressung, das ist nicht mehr christlich und auch nicht human. Das ist menschenverachtend.

Denken wir immer daran: es geht nicht um Verhandlungsmasse. Es geht um Menschen, die nach unserer Verfassung alle die gleiche Würde haben. Diese Würde wird an den EU-Außengrenzen mit unserem Geld, unserer Zustimmung und demnächst möglichweise mit unseren Soldaten mit Füßen getreten. Warum? Kapazitätsgründe können es, wie aufgeführt, nicht sein. Am Geld kanns auch nicht liegen, wenn unsere Regierung bereit ist, der Türkei noch einmal welches zu geben.

Am Erstarken der AfD? Nun, wenn wir jetzt nicht handeln, hat sie gewonnen. Dann ist Deutschland wieder ganz unten angekommen, so wie schon einmal vor fast 100 Jahren.

Daher gibt es nur eins: gehen wir auf die Straßen, machen wir Druck, damit unsere Politiker so handeln, wie es unseren Werten entspricht, egal ob christlich oder humanistisch: jetzt zeigt sich, wer Rückgrat hat, die Geschichte kennt und die Menschenrechte und unser Grundgesetz schützen will.

Quo Vadis, Europa?

An der Außengrenze Europas sterben Menschen. Schon länger übrigens, nicht erst seit gerade. Nunmehr auch an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland, nicht mehr nur im Mittelmeer.
Menschen, die als Bedrohung angesehen werden, als Welle, die uns überkommt, als Überschwemmung – und europäische Soldaten schießen. Mindestens mit Tränengras…

Was sind das für Menschen? Es sind Menschen, die aus den verschiedensten Gründen nicht in ihrer Heimat bleiben konnten – wegen Krieg, weil sie in die verschiedenen Armeen gezwungen werden sollten, weil sie unterdrückt werden, weil sie einfach Angst um ihr Leben haben. Sie fliehen, weil sie keine Zukunft mehr sehen für sich und ihre Kinder. Vom afrikanischen Kontinent fliehen viele, weil da die Folgen des Klimawandels bereits real sind und ganze Landstriche veröden.
Einige von ihnen haben es in die Türkei geschafft und dort bisher irgendwie überlebt – oft ohne ein Recht auf Arbeit, ohne Bildung, ohne menschenwürdige Unterkunft, ohne Zugang zu ausreichend Lebensmitteln, Hygiene, ärztlicher Versorgung. Dafür hat die Türkei Geld kassiert von der EU. Nun war es Erdogan nicht genug Geld, angeblich ist auch nicht alles gezahlt worden, jedenfalls hat der Herr Erdogan nun beschlossen, die Menschen Richtung Griechenland, Richtung EU zu schicken. Sie sind Erpressungsmittel, Verfügungsmasse für ihn.

Wer jetzt sagt, dass kommt völlig überraschend, der hat jahrelang die Augen verschlossen. Vor der Realität.

Und nun: Was passiert? Militär marschiert auf um die Flüchtlinge zurückzudrängen, man schießt mit Tränengas auf unbewaffnete Menschen, Männer, Frauen und Kinder. Auf dem Mittelmeer drängt die Küstenwache die Flüchtlinge mit Booten zurück und an den Küsten warten rechte Schläger und hindern die Menschen am Anlanden. Wen sie auf dem Weg dorthin so treffen, den verprügeln sie, wenn er irgendwie verdächtig aussieht, also möglicherweise einer NGO angehört, Journalist ist oder gar Flüchtling. Griechenland. Die Wiege der Demokratie, die Wiege unserer Zivilisation.

Und was sagt das restliche „christliche Abendland“? Wir dürfen Griechenland nicht im Stich lassen – so weit, so einverstanden. Bei den Verantwortlichen heißt das aber: Militär schicken, um beim Grenzschutz zu unterstützen. Schießen da demnächst auch deutsche Soldaten auf Flüchtlinge? Dann hätte Frau von Storch ja das, was sie sich schon vor Jahren gewünscht hat…

Herr Merz (ein richtig reicher Steuersparer, dem die Hartz IV Sätze zu hoch sind, der in den CumEx Skandal verwickelt ist und außerdem, und daraus zieht er seine Legimitation, CDU-Vorsitzender werden möchte) sagt ihn Richtung Flüchtlinge: bleibt wo ihr seid, wir haben keinen Platz für Euch. Erinnert mich fatal an die CDU der 80er Jahre: das Boot ist voll schrien sie damals…

Griechenland setzt das Asylrecht aus, der Aufschrei bleibt aus – Menschenrechte gelten nichts mehr in Europa, wenn man seine Privilegien und seinen Reichtum schützen will…

Griechenland hätte schon lange Hilfe gebraucht: Hilfe bei der Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge, durch Hilfe vor Ort und Verteilung der Menschen auf alle Länder der EU. Um Weihnachten ging das Elend der unbegleiteten Kinder durch die Presse. In Deutschland gab es jede Menge aufnahmewillige Städte – aber nein, sie durften nicht. Auch jetzt gibt es wieder Städte, die sich anbieten, eine Anzahl der Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, weisen nach, dass sie die Kapazitäten haben: die „christ“Demokraten interessiert es nicht.

Europa muss sich schnellstens überlegen, was Europa ausmacht. Bisher gehörte die Einhaltung der Menschenrechte dazu. Diese werden nun mit den Füßen getreten. Wie soll das weitergehen? Es werden immer mehr Menschen fliehen müssen – und es werden auch immer wieder Menschen nach Europa kommen wollen. Vor 80 Jahren hat man die Juden nicht haben wollen und zugesehen, wie sie starben. Dann waren es die Boat-People – jetzt sind es die Flüchtlinge an der Grenze.

Ich wünsche mir ein Europa, dass eine Verantwortung für die Menschheit wahrnimmt, das tätig wird, dass erkennt, dass es nicht um „Wellen“ geht sondern um einzelne Menschen. Die alle das gleiche Lebensrecht haben wie wir, denen man es aber nicht mehr zugesteht…