Tag der Deutschen Einheit 2022, Nachtrag

Aus einem Gespräch mit einem lieben Freund, der in Ostdeutschland lebt, weiß ich, dass mein gestriger Post leicht falsch verstanden werden kann und möchte dazu Stellung nehmen:

Es ging mir um die Frage, warum wir immer noch einteilen in West und Ost, was schiefgelaufen ist in den letzten 32 Jahren und darum, warum wir eine andere Sicht auf die Dinge bekommen sollten, nämlich das Positive betonen und nicht das Negative.

Sachliche Fehler waren drin: der Soli der Gemeinden war der Solidarpackt I und II, in dem zwischen 2004 und 2019 156 Milliarden für die Ostländer aufgewendet wurden: dieser ist 2019 ausgelaufen.

Mein „Gießkannenprinzip“ kann falsch verstanden werden: das Geld war nicht zweckbestimmt und wurde deshalb nicht immer so verwendet, wie es eigentlich hätte gedacht sein sollen, etwa 27 % blieben zwischen 1995 und 2021 in Westdeutschland. Aber eben auch im Osten wurde an manchen Stellen Geld ausgegeben für unsinnige Projekte: Kläranlagen, völlig überdimensioniert, die bis heute nicht in Funktion sind, Gewerbegebiete mit kompletter Infrastruktur, die nie gebraucht wurden: das meine ich mit modernen Lostplaces.

Meine Intention war: darauf hinzuweisen, dass viel falsch gemacht wurde von Seiten der Politik. Und dass das nun gerade eben nicht, wie geplant, die Einheit befördert hat, sondern eher gehindert.

Dazu stehe ich. Und dazu, dass wir uns allzu leicht einteilen lassen in West und Ost. Dass wir wahrnehmen müssen, dass die Ostdeutschen gar nicht so wie wir Westdeutschen werden können, weil es ja auch „die Westdeutschen“ gar nicht gibt. Ich bleibe dabei: wir sind ein Vielvölkerstaat. Die Bayern sind keine Rheinländer, die Sachsen keine Westfalen und wahrscheinlich tickt ein Mensch von der Ostsee anders als jemand aus dem tiefsten Thüringen. Wenn uns das klar ist, und wir da hinschauen, wo es gut läuft (mein Hinweis auf die Leag sollte eine Hilfe dazu sein), dann hören vielleicht die gegenseitigen Vorwürfe und Vorurteile auf. Und dann kann das was werden mit der Einheit.

Wir sind alle Deutsche. Egal wo wir wohnen, egal wo in Deutschland unsere Wurzeln liegen. Das ist es, was uns eint. Ansonsten sind wir alle verschieden, und dass macht es interessant und lebenswert.

Tag der Deutschen Einheit Nr. 32

Heute ist Tag der Deutschen Einheit. Wieder wird in offiziellen Veranstaltungen die Einheit beschworen. Eine Einheit, die sehr zwiespältig ist. Sicher haben die Bürgerinnen und Bürger sich damals mit großer Mehrheit dazu entschieden, sich der Bundesrepublik anzuschließen: wie mir sächsische Freunde erzählt haben, ging es da um Themen wie DM und Maiglöckchenseife und man glaubte an das gelobte Land Bundesrepublik, dass es so sicher nie gegeben hat: Aber im Westen gab es Reisefreiheit, echte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, und keine Bespitzelung durch Nachbarn und die eigenen Freundinnen und Freunde, es gab alles, wirklich alles zu kaufen (dass auch im Westen das Geld nicht auf der Straße lag, nun, das war vom Osten her wohl nicht so deutlich zu erkennen).

Die Politik hat dann versucht, eine Einheit zu schaffen: Westdeutsche Städte und Arbeitnehmer mussten (und müssen teilweise noch) einen Solidaritätszuschlag Aufbau Ost zahlen, zunächst befristet, dann immer wieder verlängert, der aber nicht immer sinnfüllend ausgegeben wurde und eher so im Gießkannenprinzip verteilt: das Geld fehlte im Westen und wurde im Osten teilweise für Projekte angelegt, die mehr oder weniger überflüssig waren. Im Ruhrgebiet fielen in Schulen Fenster aus dem Rahmen, im Osten gab es supersanierte Orte und daneben eine Menge Lost Places, letztere durchaus auch Soli-finanziert.

Gehälter und Renten sind bis heute nicht angeglichen. In der Lausitz wird Braunkohle abgebaut ohne Rücksicht auf Verluste – nun, da kommen wir der Einheit schon näher, im Rheinischen Braunkohlegebiet sieht es nicht viel besser aus. Alles in allem waren jedenfalls die staatlichen Bemühungen, eine Einheit zu schaffen, manchmal eher kontraproduktiv und sind es bis heute.

Auch nach 30 Jahren ist eine Einheit nicht wirklich erkennbar, manchmal glaubt man, es driftet alles eher wieder auseinander, gerade jetzt, wo der frühere „große väterliche Bruder“ Russland die Ukraine überfallen hat. Die Zustimmung zu Sanktionen der Bundesregierung und der EU ist im Westen Deutschlands deutlich höher als im Osten, und auch auf anderen politischen Gebieten gibt es Unterschiede. 20 – 30 % der Ostdeutschen geben an, die AfD wählen zu wollen, eine Partei, die klar faschistische Züge zeigt, rassistisch ist und den Klimawandel leugnet und vollstes Verständnis für Russlands „Militäroperation“ hat und die Sanktionen als „weiteren Versuch“ ansieht, die deutsche Bevölkerung zu eliminieren. Gleichzeitig kündigt ausgerechnet der ostdeutsche Braunkohleverstromer Leag an, in Zukunft ohne Braunkohle doppelt so viel Energie zu liefern, während das RWE in Nordrhein-Westfalen an der Braunkohle festhält.

Deutsche Einheit: ein schwieriges Thema von Anfang an und bis heute. Aber was für eine Einheit erwarten wir denn eigentlich? Gibt es die Einheit im Westen? Was haben NRW und Bayern wirklich gemeinsam? Vielleicht müssen wir die Einheit anders denken. Entgegen der Ansicht vieler eher rechts der Mitte angesiedelter Menschen gibt und gab es eine innere deutsche Einheit nie. Wir sind von Haus aus ein Vielvölkerstaat. Einen Einheitsbrei daraus zu machen mit gleichen Traditionen und „Werten“ wird uns nicht gelingen. Vielleicht sollten wir endlich aufhören, in Ost-West-Kategorien zu denken. Wenn 25 % Sachsen die AfD wählen, dann wählen 75 % nicht die AfD, dann sind es nicht „die Sachsen“. Wir sollten das positive ansehen, dass es überall gibt, und das betonen, belobigen, fördern. Vielleicht ergibt sich dann eine Einheit in Vielfalt unter einem gemeinsamen Dach.

Tag der deutschen Einheit: Betrachtung meines ganz persönlichen Lebens und Erlebens in Deutschland

30 Jahre Deutsche Einheit. Im Umkehrschluss für mich: 27 Jahre meines Lebens war Deutschland geteilt, für mich war, wie Reinhard Mey das mal besungen hat, Leipzig weiter weg als Rom (eine meiner Lieblingsstädte) oder New York (wo ich auch erst vor 2 Jahren war). Einfach exotischer als der Rest der für mich zugänglichen Welt.

Und dann kam der 9. November vor 31 Jahren, für mich der eigentliche Feiertag: die Mauer fiel.

Ein Jahr vorher waren wir noch mit dem Auto nach Berlin gefahren, voller Angst über die Transitautobahn, nach dem wir wegen eines Passfotos Stunden an der Grenze verbracht hatten (eine Mitfahrerin hatte an dem Tag einen Pferdeschwanz statt der Zöpfe vom Passbild). Auf der Fahrt nach Ostberlin wurde mein Bruder am U-Bahnhof stundenlang festgehalten, weil er sich einen Bart hatte wachsen lassen – die Angst fuhr also immer mit.  Vor dem Berliner Dom wurde mein Mann gebeten, doch seine Jeans auszuziehen, er könne dafür mehrere Dosen echten russischen Kaviar bekommen – was er natürlich nicht getan hat, uns aber sehr fasziniert.

Bereits Ende der 70er war ich einmal in Berlin gewesen – mit der Klasse – und hatte mein Geld in Noten investiert und war den Zwangsumtausch doch nicht losgeworden…

Das waren meine einzigen Berührungen mit der DDR, bis dahin – und das Ostberlin, dass ich kennengelernt habe (einschließlich mit: wir haben keinen Platz in offensichtlich leeren Cafés) irgendwie strange, aber sicher nicht repräsentativ.

Wir reisen gerne, auch innnerhalb Deutschlands. In den Folgejahren sind wir immer mal in den „neuen“ Bundesländern gewesen, weil es uns dort landschaftlich ungeheuer gut gefällt. Und haben eine Entwicklung beobachten können: vom teilweisen totalen Verfall bis hin zu Städten und Dörfern, die mit sanierten Häusern und Straßen sich durchaus sehen lassen können. Parallel dazu konnten wir beobachten, dass es im Westen immer mehr Verfall gab, weil es den Städten an Geld fehlt – und aus meiner Arbeit im Stadtrat weiß ich, dass der Soli zumindest mit schuld daran ist. All das sind aber persönliche Eindrücke, keine generellen Erfahrungen.

Jetzt, nach dreißig Jahren, frage ich mich durchaus: warum gibt es immer noch dieses Lohngefälle? Aber das frage ich mich nach über 70 Jahren, in denen der Gleichheitsgrundsatz ins Grundgesetz eingeführt wurde, auch bezüglich der Bezahlung Männer/Frauen) Aber auch: warum gibt es dieses Infrastrukturgefälle teilweise andersrum? Und wenn ich dann genau hinsehe, merke ich: es gibt diese Unterschiede überall in Deutschland, es gibt überall strukturschwächere und strukturstärkere Gegenden – diesbezüglich gibt es keine Einheit, aber die Grenze ist nicht mehr Ost/West, sie geht bunt durch unser Land. Das ist bedauerlich und muss dringend angepackt werden – ist aber keine Frage der Einheit an sich.

Ich glaube, manche Menschen verwechseln Einheit mit Gleichmacherei. Aber das, was wir heute Deutschland nennen, ist, wie das, was wir vorher Bundesrepublik nannten, ein Konglomerat von ganz verschiedenen Einzelteilen – schon Rheinländer*innen und Westfalen sind ziemlich unterschiedlich, wenn man pauschalisieren will (ich kann das beurteilen, ich lebe am Niederrhein mit einem Westfalen, der ziemlich westfälisch ist bzw. zumindest mal war). Und der Niederrheiner an sich ist nicht mit dem Kölner gleichzusetzen. Bayern sind keine Preussen und und und. Vielleicht ist der Ansatz einfach falsch.

Wenn wir begreifen, dass wir alle Menschen sind, die in diesem Land leben, unterschiedlich wie Menschen nun mal sind, der ein oder die andere so oder anders geprägt, egal, wo unsere Wurzeln auch immer liegen (als Rheinländerin weiß ich, dass wir Deutschen gar nicht so deutsch sind, wie manche das gerne hätten), und dass unsere Regionen ebenfalls unterschiedlich sind, Bayern ist nicht Mecklenburg Vorpommern und Mittelgebirge sind keine Alpen, der Rhein ist nicht die Elbe und der Meeresstrand liegt nicht am Baggersee) und daher verschieden geprägt sind und auch verschiedene Voraussetzungen haben: wenn wir das kapieren, dass es nur eine Einheit in der Vielfalt geben kann, dann können wir uns, vorbehaltlos, über die Deutsche Einheit freuen.

Was ich in den letzten Tagen über Rassismus gelernt habe – und über mich

Seit Tagen wird hin und her diskutiert: was ist Rassismus? Wer ist Rassist? Und wie groß ist das Problem eigentlich bei uns?


Zur Verdeutlichung: in den USA ist die Wahrscheinlichkeit, durch die Polizei zu sterben, wenn man POC ist, deutlich höher als wenn man Weißer ist, und zwar auch dann, wenn man absolut nichts getan hat. Bei uns passiert so etwas auch, aber eher seltener. Mir geht es in meinem Text aber um etwas anderes: mit geht es um den Nährboden, der überall vorhanden ist – und ohne denn diese Probleme vielleicht deutlich leichter in den Griff zu kriegen sind. Das heißt nicht, dass das, was in den USA passiert ist und immer wieder passiert, und was es auch bei uns gibt: das Menschen anderen Gewalt antun aus dem einfachen Grund, dass sie keine Weißen sind, nicht ungleich schlimmer ist als der Alltagsrassismus, aber: so lange wir Menschen in „Rassen“ einteilen (die es ja gar nicht gibt), so lange haben wir ein Problem, eine Grundlage, auf der der Rassismus wachsen kann.

Vorab: ich bin eine weiße Frau Mitte 50, ich weiß also, dass ich das Problem nur von der Täterseite kenne – auch wenn ich natürlich schon mal diskriminiert wurde als Frau.

Und mir fallen auf Anhieb drei Begebenheiten ein, die das Problem beleuchten:

Der Sohn, der nach der Schule fragte, ob er den asiatischen Schüler x doof finden darf oder dann ein Rassist ist – da war die Erklärung noch einfach: „wenn Du das „doof“ an seinem Verhalten und seinem Charakter festmachst, darfst Du ihn doof finden, keine Frage, wenn es aber an seiner Herkunft liegt, könnte das Rassismus sein.“

Die Tochter, die nicht verstand, warum die Freundinnen aus Migrantenfamilien immer wieder über die Deutschen als blöd, doof, dumm etc herfallen durften und Witze dazu machen – der umgekehrte Witz aber Rassismus sein sollte: da war die Erklärung schon deutlich schwieriger – die Kinder waren 11. Die Freundschaft ist darüber zerbrochen, von Seiten der anderen, und ich konnte nur schwer erklären, was da passiert ist.

Und dann die junge Frau, die uns durchs „persische Köln“ geführt hat, in Deutschland geboren, Studentin, die sagt, es nervt, dass sie immer gefragt wird „wo sie wirklich herkommt“ (aus Köln) und dass man ihr ein „gutes Deutsch“ bescheinigt – nun ja, sie ist Kölnerin. Da ist es ziemlich eindeutig: dass ist der Alltagsrassismus, der nicht einmal böse gemeint ist, aber zeigt, dass im Kopf immer noch unterschieden wird: Du bist anders, also muss ich nachfragen.

Man teilt die Menschen in verschiedenen Gruppen ein, je nach Aussehen. Da kann sich sicher keiner von freisprechen, auch, wenn ich von mir behaupten kann, dass mich Aussehen überhaupt nicht interessiert – was aber wohl auch daran liegt, dass ich an einer leichten Form der Prosopagnosie, der Gesichtsblindheit leide: ich kann Gesichter, die mir nicht sehr vertraut sind, auch nicht gut erkennen. Da richtet man den Fokus wahrscheinlich generell auf andere Dinge. Ich für meinen Teil schau den Menschen gerne in die Augen, beobachte, wie sie sprechen – und was sie sagen, natürlich auch.

In den letzten Wochen habe ich oft gelesen: alle Weißen sind Rassisten. Den Satz kann und will ich so nicht stehen lassen, weil es einfach auch nicht stimmt, auch nicht unbedingt unterbewusst: Pauschalisierungen führen nie weiter. Ich schäme mich auch nicht, weiß zu sein: da kann ich nämlich nichts für. Was aber stimmt: wir haben Privilegien, derer wir uns überhaupt nicht bewusst sind. Wir haben Namen, die als „deutsch“ erkannt werden, die allermeisten sehen auch so aus, als wären sie Deutsche, und so fallen wir von vornherein schon durch bestimmte Raster: man geht einfach davon aus, dass wir, wie soll ich das mal ausdrücken, „gute Menschen“ sind, denen man Wohnungen vermietet, die man einstellt – und bei anderen geht man erst mal davon aus, dass es Schwierigkeiten gibt. Das sollten wir immer parat haben. Und auch, dass der Charakter eines Menschen nicht am Aussehen, der Herkunft, der Sprache erkennbar ist. Und wir sollten wissen, dass ein nett gemeintes „Aber wo kommst Du ursprünglich her“ genauso weh tun kann, wie ein vermeindliches Lob: „Du bist aber hübsch“ (für eine POC) oder „Du sprichst aber gut Deutsch.“ Auch das ist Rassismus.

Ich habe gelernt: wir haben ein großes Problem mit Rassismus, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, da wir nicht alle gleichbehandelt werden. Ich kenne zwei deutsche Männer, die aussehen, als wären sie Türken bzw. muslimische Südländer – die werden tatsächlich öfter kontrolliert als andere. Das muss nicht böse gemeint sein, das hat vielleicht nicht mal ein System, aber es passiert. Es passiert, weil wir in unseren Köpfen immer noch nicht klar haben, dass Mensch gleich Mensch ist.

Was da hilft: Bildung und Begegnung. Bücher lesen von und über Menschen, die eben keine privilegierten Weißen sind. Menschen kennenlernen, die als anders empfunden werden, weil sie nicht „weiß genug“ aussehen. Und der Wille, sich selbst zu reflektieren, immer wieder zu prüfen, wo man selbst Schubladen aufmacht. Und, das allerwichtigste: den Mund aufmachen, wenn wir in Situationen kommen, wo Rassismus klar erkennbar ist. Dem Rassismus entgegentreten, nicht nur bei Demos und auf dem Papier, sondern auch im wirklichen Leben.

Wenn wir das klar haben und lernen, Menschen danach zu beurteilen, wie sie sind, was sie tun, wie sie sich verhalten und nicht nach irgendeiner Schublade, dann, ja dann kann es besser werden im Zusammenleben. Dann gehen wir endlich in Richtung Gleichberechtigung, und alle Menschen, die das möchten, können bei uns eine Heimat finden.