Nachgedanken zum Weltfrauentag

Gestern war Weltfrauentag. Zwei Dinge sind mir aufgestoßen:

Gestern wurde publik, dass es – zumindest nach dem Ergebnis der Sondierungsgespräche zwischen der Union und der SPD die Flüge aus Afghanistan wieder gestoppt werden, bevor sie richtig angefangen haben. Zur Erinnerung: es geht um Menschen, die irgendwie in Gefahr geraten sind, weil sie oder Familienangehörige mit der Bundeswehr zusammengearbeitet haben (sog. Ortskräfte), ihr zugearbeitet haben oder sonst irgendwie in ihrem Dunstkreis unterwegs waren. Menschen, die hochgefährdet sind. Unter ihnen Frauen: Frauen haben in Afghanistan überhaupt keine Rechte mehr. Sie sind der Willkür der Männer ausgesetzt, und selbst wenn die eigene Familie anders tickt, sind sie anderen Männern hilflos ausgeliefert, sobald sie ihre Wohnung verlassen. Am Weltfrauentag wurde also beschlossen, diese Frauen ihrem Schicksal zu überlassen: Wie passt das zusammen mit den vollmundigen Grüßen an die Frauen, den Rosen, den weisen Reden zum Weltfrauentag?

Dann wurden auf verschiedenen Kanälen Frauen vorgestellt: Frauen, die es zu etwas gebracht haben, Frauen in Führungspositionen, an exponierter Stelle, kurz Frauen, die von sich reden machen. Mir fehlen die Frauen, die unsichtbar sind. Die sich zerreißen zwischen Vollzeitjob und Familie, die die Care-Arbeit übernehmen und dafür zurückstecken. Die in schlecht bezahlten Jobs systemrelevant unseren Staat und unsere Gesellschaft am Laufen halten. Die sich von Kollegen anmachen lassen müssen, einfach, weil es cool ist, Frauen anzumachen (und viele immer noch nicht kapiert haben, dass Frauen das selbst dann nicht mögen, wenn sie dazu lächeln). Deren Vergewaltiger freigesprochen werden, weil sie nicht deutlich genug nein gesagt haben. Deren gesundheitliche Probleme nicht rechtzeitig erkannt werden, weil unsere Medizin in ihrer Menschensicht immer noch auf den Mann schaut. Die illegal ins Land geschleppt werden und hier missbraucht, sich aber nicht outen können, weil sie dann wieder abgeschoben werden. Und die, die diesen Frauen ganz ohne großes Aufheben helfen. Kurz und gut, die Frauen, die nicht im Licht irgendeiner Öffentlichkeit stehen, sondern eher im Dunkeldunst verschwinden.

Ja, ich weiß. Ich habe da gerade vieles in einem Atemzug genannt, was doch vielschichtiger ist. Aber darum geht es: um das Leben von Frauen, um ihre Stellung in der Gesellschaft, ihre Gesundheit, ihre Freiheit. Hier, bei uns in Deutschland und in der ganzen Welt.

Und dann ist es eigentlich wie am Muttertag: es mag diesen Tag brauchen, um darauf aufmerksam zu machen. Das allein aber reicht nicht. Nicht hier bei uns, und nicht in der Welt.

Wir Frauen brauchen keine Rosen und keine Glückwünsche. Wir brauchen Gleichberechtigung. Wir müssen dahin kommen, dass ein Weltfrauentag kein Thema mehr ist, weil Frauen wirklich gleichberechtigt und gleichwertig sind. Wenn der Weltfrauentag ein Schritt dazu ist, dieses zu verwirklichen – dann ist er sinnvoll. Und feiern können wir dann, wenn er sich überlebt hat.

Funfact am Rande: an einem Tag im Jahr wird übrigens danach gegoogelt, ob es einen Weltmännertag gibt. Und ja, es gibt ihn. So viel zu „und wir Männer?“

Worte statt Wörtern

Ich bin ja Christin. Und ich befasse mich regelmäßig mit den Texten der katholischen Sonntagsliturgie. Letzen Sonntag war das Evangelium an der Reihe, in dem Jesus einen Taubstummen heilt. Der Schlüsselsatz in meinen Augen ist folgender: „Jesus seufzte und sagte zu ihm Effata, das heißt: öffne Dich! Sogleich öffneten sich seine Ohren, seine Zunge wurde von ihrer Fessel befreit und er konnte richtig reden“ (Mk 7,34bf)

Mir kam in den Kopf, dass ich immer wieder feststelle: wenn mir die Worte fehlen (und die Ereignisse der letzten Zeit: der Blick nach Afghanistan, auf den Klimawandel, auf den Wahlkampf und Querdenker, z.B. führen dazu), wenn ich nichts mehr hören oder lesen will weil ich es nicht ertrage, dann prodziere ich Wörter – weil ich eigentlich sprachlos bin.

Mit diesen Gedanken habe ich folgenden Text geschrieben:

Wenn mir Worte fehlen
stürze ich mich auf Wörter
Wenn mir alles zu viel wird
verschließe ich meine Ohren
Ich will nichts mehr hören
Ich kann nichts mehr sagen
Hilflos drifte ich durch die laute Stille


Aus meinen Wörtern
sollen Worte werden
Meine Ohren will ich öffnen
hinhören und zuhören
Meine Augen nicht verschließen
sondern hinsehen


Dann wird meine Hilflosigkeit
sich wandeln
ich werde hören und sehen
wo Hilfe nottut
ich werde Worte finden
die aufrütteln
trösten
helfen  



7

in Worten: sieben

Die Zahl des Tages

Ich bin sprachlos

Menschen rennen um ihr Leben

hängen sich an Flugzeuge

fallen runter, sterben.

640 im überfüllten US-Transportflugzeug

Die Bundeswehr rettet 7

Die waren berechtigt

Auffüllen mit denen die da sind?

Es braucht Visa

Und den richtigen Arbeitgeber

Deutschland kann nicht alle retten

Und wer überhaupt schafft es noch

Der Flugplatz ist fast nicht mehr zu erreichen

Wer für Deutsche gearbeitet hat

Wird als Verräter angesehen

Verrätern droht die Todesstrafe

Deutschland lässt sie sterben

Ich bin sprachlos

Die Zahl des Tages

7