Zwischen den Jahren

Jetzt ist es schon wieder vorbei, das Weihnachtsfest – was hier bei uns doch von fast jedem gefeiert wird, mehr oder weniger feierlich, mehr oder weniger glamourös, mehr oder weniger inhaltlich, mehr oder weniger kommerziell, aber irgendwie doch. Vermehrt standen in Wohngebieten Autos mit fremden Kennzeichen – meine Tochter meinte: das ist doch schön, daran sieht man, das Familien zusammenkommen. Deshalb ergänze ich jetzt noch: mehr oder weniger freiwillig, mehr oder weniger friedlich.

„Wo ist er denn jetzt, Dein Gott?“ diese Frage höre ich immer häufiger. An Weihnachten stellt sie sich um so mehr, insbesondere, wenn man nicht die Weihnachtsscheuklappen aufzieht und doch noch mitbekommt, was sich in der Welt so tut. Da werden Kriege weitergeführt, da werden politisch Inhaftierte mehr oder weniger heimlich exekutiert, da sterben Kinder von Flüchtlingen in US-Haft, da fährt ein Schiff mit geretteten Flüchtlingen übers Mittelmeer und findet keine Herberge…

Darf man da überhaupt Weihnachten feiern? Darf ich der Weihnachtsbotschaft lauschen, während die Menschlichkeit auch in Europa immer mehr schwindet? Während Menschenrechte mit Füßen getreten werden?

„Wo ist er denn jetzt, Dein Gott?“ Hat Gott, falls es ihn überhaupt gibt, diese Welt nicht schon längst verlassen? Und überhaupt: „Engel erscheinen, verkünden den Frieden“ heißt es in einem meiner liebsten Weihnachtslieder – welchen Frieden denn? In den 2000 Jahren nach Christi Geburt, ist die Welt da wirklich friedlicher geworden?

Vielleicht sollten wir die Tage zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr, die sogenannten stillen Tage, dazu nutzen, einmal in Ruhe, abseits jeder Hektik, darüber nachzudenken. In was für einer Welt leben wir – und in was für einer Welt wollen wir leben? Und können wir überhaupt irgendetwas ändern?

Und da sollten wir ansetzen: wenn wir in einer menschlicheren Welt leben möchten, so müssen wir selbst anfangen, die Welt menschlicher zu machen. Wir müssen bei uns selbst anfangen – und in unserer engsten Umgebung. Ein Lächeln breitet sich so schnell aus wie Licht – und ist doch so leicht herzugeben: in die Gesichter der Menschen, die uns begegnen, der Fremden und der Vertrauten. Ein Lächeln, leicht verschenkt, wärmt die Herzen und wird weitergegeben. Ein gutes Wort, ein Danke, ein paar Minuten des Zuhörens – auch das verbreitet Wärme. Und dann könnten wir aufhören, Menschen in Schubladen zu stecken: uns unserer Vorurteile bewusst zu werden und diese kritisch zu hinterfragen, immer im Hinterkopf haben, dass ein Mensch erst einmal ein Mensch ist, unabhängig von Geschlecht, Hautfarbe, Religion, Herkunft und Staatsangehörigkeit. Das heißt nicht naiv jedem zutiefst zu vertrauen und möglicherweise dann reinzufallen. Das heißt einfach nur: mich drauf einzulassen, zu erfahren, was für ein Mensch hinter dem steckt, was ich auf Anhieb sehe (und evtl an der Sprache zu erkennen meine). Dann werden wir feststellen, dass der größte Teil der Menschen genau das gleiche möchte wie wir: in Frieden leben. Vielleicht ist auch das etwas, was, einmal angefangen, sich ausbreitet.

Und dann, ja dann habe ich eine Antwort auf die Frage: Gott ist da, wo Menschen sich dem anderen liebevoll zuwenden.

Und da, wo jemand keinen hat, der ihm zur Seite steht, wo Menschen in Verzweiflung leben, da ist er auch. Und leidet und lebt mit ihnen. Und wenn das Licht sich ausbreitet, wenn wir dem Licht zur Ausbreitung verhelfen, dann wird er auch spürbar. Ja, wir sollten Weihnachten feiern: als Fest des Friedens, als Aufforderung an uns, für diesen Frieden einzutreten. Egal, ob wir Christen, Muslime, Juden, Atheisten oder was auch immer sind: wenn wir in diesem Sinn Weihnachten feiern, dann wird sich der Friede ausbreiten in der Welt.

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