Weltflüchtlingstag 2023

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag.

Weltweit sind zurzeit ca. 110 Millionen Menschen auf der Flucht – mehr als je zuvor. Die Gründe sind vielfältig: Krieg und Vertreibung, lokale Konflikte und Gewalterfahrung, Diskriminierung und Verfolgung durch den Staat oder lokale Extremisten, aber auch Naturkatastrophen, Dürre, Überschwemmungen, Anstieg der Meere – alles, was dazu führt, dass Menschen dort, wo sie leben, keine Zukunft mehr haben. Die allermeisten von ihnen (ca. 58 %) bleiben im eigenen Land, viele drängen über die Grenze ins Nachbarland, in dem oft ebenfalls die Bedingungen schlecht sind, und versuchen so zu überleben und eine Zukunft zu bekommen. Darüber hinaus sind die drei größten Aufnahmeländer die Türkei mit 3,6 Millionen, der Iran mit 3,4 Millionen und Kolumbien mit 2,5 Millionen. 2,3 Millionen Menschen sind als Flüchtlinge und Vertriebene seit 1950 nach Deutschland gekommen, dazu gehören auch z.B. Vertriebene aus dem Osten (z.B. sogenannte „Russlanddeutsche), ca. 1 Million. Oder auch europäische Asylbewerber, z.B. aus dem Spanien Francos.
Die in den letzten Jahrzehnten Zugewanderten sind im Schnitt 40 Jahre alt, 41 % sind Frauen. (Quellen: Statistisches Bundesamt und UNO-Flüchtlingshilfe.)
So weit die trockenen Zahlen.

Viele Menschen haben Angst vor Geflüchteten, Vorurteile „alles junge aggressive Männer mit Messern, die es auf unsere Frauen abgesehen haben“ grassieren nicht nur im Internet. Ich fahre mehrmals die Woche mit dem Zug nach Bochum, im Zug herrscht fröhliches Sprachenwirrwar und auch an der Ruhruni gibt es viele Studenten und Studentinnen mit erkennbarem Migrationshintergrund – da gehen z.B. fröhliche Frauen mit Kopftuch in der juristischen Fakultät ein und aus, und auch sonst prägt das Nationengemisch des Ruhrpotts auch den Unicampus. Ich habe da noch nie negative Erlebnisse gehabt, im Gegenteil.

Ein Erlebnis aus der letzten Woche möchte ich schildern: es war in der RB 35 nach Duisburg. Ich steige im Forsthaus ein, in Krefeld HBF steigen dann viele aus und neu wieder zu. Drei junge Männer stiegen ein, einer setze sich mit einem freundlichen Salem Aleikum zu mir, zwei andere in den benachbarten Vierer. Alle drei sahen so aus, als könnten sie Migrationshintergrund haben: sicher weiß man das ja nie. A, der bei mir saß, grüßte auch alle anderen Einsteigenden mit Salem Aleikum – was ihm von einem älteren, durchaus seriös aussehenden Herrn ein „ich komm Dir gleich Salem Aleikum“ eintrug.

Dann fing er an, einen RAP zu singen: „10 Jahre ich bin hier, immer noch keine Papier, Leute, was soll ich machen, das Problem liegt nicht bei mir“ (ich habe inzwischen recherchiert: der Künstler heißt Malek Samo). Und der vielleicht etwas Ältere der beiden aus dem Nachbarvierer (B) stimmte ein. Als sie fertig waren, meinten sie „so ist das“ und lächelten mich an. Offensichtlich aufgefordert, ins Gespräch zu kommen, fragte ich nach: nein, beide seien sie inzwischen Deutsche, auch wenn es schwierig gewesen sei. A ist geflohen, als er im Irak rekrutiert wurde und auf Klassenkameraden, die von anderer Seite rekrutiert wurden, schießen sollte (er hat mir Bilder auf dem Handy gezeigt von sich als Soldat), B ist als Kind rumänischer Einwanderer in Deutschland geboren. Der dritte hatte auch einen rumänischen Hintergrund, da er sich am Gespräch aber nicht beteiligte, sondern die ganze Zeit nur lächelte, habe ich nichts Näheres erfahren.  Beide sprachen hervorragendes Deutsch und alle drei bereiteten sich gerade auf das Abitur vor, so erzählten sie mir.

Dann kam die unweigerliche Frage: „Und was machen Sie?“. Meine Antwort „ich studiere katholische Theologie“ brachte Staunen und Bewunderung hervor und das Bekenntnis, das A Muslim sei und die beiden anderen Evangelisch. Und dann kam etwas, was ich nicht erwartet hatte: ein tiefschürfendes Gespräch über den einen Gott, der die Liebe ist, über Extremismus und Fundamentalismus. Ich habe sehr bedauert, dass der Zug diesmal keine außerplanmäßige Halte hatte. Alle drei fühlen sich in Deutschland übrigens grundsätzlich wohl, solange sie nicht feindlich angegangen werden: solchen Situationen versuchen sie aus dem Weg zu gehen. Blöde Sprüche wie der des älteren Herrn verletzen sie zwar, sind für sie aber nicht typisch für Deutschland. Gott sei Dank, kann ich da nur sagen.

Warum ich das hier niederschreibe? Weil ich wieder mal erfahren habe, dass vieles nicht so ist, wie es scheint. Diese drei jungen Männer bereichern unser Land. Wir sollten positiv auf die Menschen zugehen. Wir sollten solche Begegnungen nutzen, ins Gespräch zu kommen.

Jahrestag

Seit ungefähr einem Jahr stehen wir mit einer Handvoll Menschen jeden Freitag um 18 Uhr auf dem Rathausplatz unserer Kleinstadt, um eine halbe Stunde zu schweigen. Wir schweigen ganz bewusst: wir wollen nicht einstimmen in den großen Chor derer, die genau wissen, oder zumindest zu wissen glauben, was zu tun ist. Wir wollen uns nicht einreihen in den Streit um die Frage, ob alle Grünen Kriegstreiber sind oder alle Pazifisten Putinfreunde. Wir schweigen für den Frieden in der Welt – die Schweigeminute ist ein uraltes Ritual der Solidarität. Und genau darum geht es uns: wir wollen uns solidarisch zeigen mit den Opfern dieses Krieges und aller Kriege auf der Welt. Wir wollen drauf aufmerksam machen, dass er immer noch wütet, dieser Krieg. Wir wollen verhindern, dass der Krieg als Dauerzustand irgendwann „normal“ wird und in den Hintergrund gedrängt, wie so viele Kriege dieser Welt.

Wir stimmen darin überein, dass Kriege nicht sein sollen in dieser Welt und dass Wege gefunden werden müssen, diesen Krieg und alle anderen zu beenden. Wir stimmen auch darin überein, dass man an der Seite der Opfer stehen muss, die in dem Krieg in der Ukraine ganz klar auf der Seite der Ukrainer zu finden sind. Und mit diesen Überzeugungen stehen wir da, jeden Freitag, solidarisch im Schulterschluss mit den Opfern der Kriege dieser Welt.

Manchmal werden wir angesprochen und am Rande des Schweigens gibt es – in der Regel vorher oder nachher – durchaus interessante Gespräche. Wir bekommen viel Zuspruch, aber auch Ablehnung, die meist den Tenor hat: Schweigen ist einfach, bewirkt aber nichts. Wer mich kennt weiß: diese halbe Stunde ist für mich eine echte Zumutung. Manchmal hören wir auch: „niemand hat was von Eurer Solidarität“. Auch das sehe ich anders: ab und an kommen Ukrainerinnen und Ukrainer vorbei und freuen sich und finden gut, dass wir solidarisch sind und an den Krieg erinnern.

Dennoch mache ich mir natürlich meine Gedanken zu den Ereignissen. Ich, von Haus Pazifistin, die immer voller Überzeugung „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“ auf Rad und Auto kleben hatte, finde die Forderungen der Ukraine, noch mehr, auch geächtete Waffen wie z.B. Phosphorbomben zu bekommen unerträglich – aber genauso unerträglich finde ich den Ruf der selbsternannten Friedensschützer, die nach einem sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen rufen, ohne eine Idee, wie man die Ukraine dann schützen kann.

Natürlich werden Kriege nicht durch Waffen beendet, sondern durch Verhandlungen. Und verhandeln ist immer besser als schießen. Zum Verhandeln aber gehören immer zwei. Zwei, die bereit sind, zu verhandeln, also miteinander zu reden und um Lösungen zu ringen. Heute (23.2.) vor einem Jahr wurde noch verhandelt. Ich habe die Bilder noch im Kopf: lange Tische, Putin auf der einen Seite und die zu Verhandlungen angereisten Personen meterweit entfernt. Und ungeachtet all dessen, was Putin dort gesagt, gefordert, versprochen hat, ist er von diesem Tisch aufgestanden und in die Ukraine einmarschiert, in dem Glauben, es wäre in ein paar Tagen vorbei. Womit er, aber wahrscheinlich auch sonst niemand gerechnet hat: es war nicht in ein paar Tagen vorbei. Womit er auch nicht gerechnet hat: seine Soldaten wurden nicht mit offenen Armen empfangen und als Befreier gehandelt: im Gegenteil. Selbst große Teile der russischstämmigen Bevölkerung stellten sich ihnen entgegen oder flohen. Ich hatte letzten Sommer Gelegenheit, mit einigen zu sprechen: sie wollen diesen Krieg nicht, sie wollen auch nicht in Russland leben.

Und dann kam das Ringen um die Frage: darf man Waffen liefern (und gerungen wird immer noch, das ist auch gut so)? Ich denke, man darf nicht nur, man muss sogar. Man muss den Opfern helfen, sich zu wehren, sie haben ein Recht darauf. In den Diskussionen wird oft gesagt: wir müssen uns schützen, unsere Wirtschaft, unsere Unversehrtheit – müssen wir das? Geht das überhaupt? Was bleibt denn unversehrt, wenn wir zuschauen, wie ein Land brutal unterworfen wird, ohne zu helfen? Was bleibt denn unversehrt, wenn wir dem Krieg den Rücken zuwenden und zur Tagesordnung übergehen oder gar die Ukraine auf dem Silbertablet anbieten? Niemand bleibt unversehrt, im Gegenteil. Im zweiten Weltkrieg haben die Deutschen in der Ukraine schwer gewütet: erwächst nicht schon allein daraus eine Verantwortung zu helfen? Mit Hilfsgütern, mit der Aufnahme von Geflüchteten, aber eben auch mit Waffen?

Den ganzen Diskussionen um das Ende der Waffenlieferungen und der Forderung nach sofortigen Verhandlungen fehlt meiner Meinung nach das Wichtigste, nämlich die Frage nach den Folgen und nach dem Wie. Niemand ist gegen Verhandlungen. Niemand liefert leichtfertig Waffen in ein Kriegsgebiet, eigentlich ein no go, der Meinung bin ich ja auch. Aber wenn der Westen aufhört, die Ukraine zu unterstützen, dann bekommt Putin freien Raum. Dann wird er die Ukraine annektieren. Und wie er mit Menschen umgeht, die nicht seiner Meinung sind, was die Ukrainerinnen und Ukrainer dann zu erwarten haben, wenn sie sich nicht fügen, dass kann man überall beobachten, wo Putin seine Finger im Spiel hat. Opposition darf es nicht geben, Freiheitsstreben wird als staatsschädigend angesehen, wer die Wahrheit sagt, kommt in den Knast oder begeht Selbstmord: ist es dass, was wir für die Ukraine wollen, damit wir unsere Ruhe haben?

Und dann? Wie soll es dann weitergehen? Putin wird sich mit der Ukraine nicht zufriedengeben. Auch das zeigt die jüngere Vergangenheit. Er will den Einfluss Russlands zur früheren Größe erheben. Und bei ihm heißt Einfluss: alles beherrschen. Er wird also weitermachen, weil er gelernt hat, dass er, wenn er irgendwo einmarschiert, auf Dauer bekommt was er will. Denn er macht ja immer wieder deutlich, dass er nicht bereit ist, in eine Richtung zu verhandeln, bei der eine freie Ukraine überbliebe. Die Frage ist also erstens: opfern wir die Ukraine unserer Sicherheit? Und wird uns das Gelingen? Ich glaube nicht. Und deshalb darf Putin nicht gewinnen, deshalb darf man ihm die Ukraine so lange nicht überlassen, wie die Ukrainer selbst es nicht wollen.

Ich bin für Verhandlungen. Und für Frieden. Und eigentlich grundsätzlich gegen Waffenlieferungen in Kriegsgebiete. Ich bin zerrissen, wie viele. Es gibt nicht nur dafür und dagegen. Die Welt ist nicht schwarz-weiß und niemand wird unbeschadet aus der Situation wieder rauskommen. Deshalb schreibe ich keine offenen Briefe an den Bundeskanzler. Weil ich nichts anzubieten habe. Außer einem „ich will das nicht“. Aber ich bin überzeugt: er will das auch nicht, und die Grünen auch nicht. Niemand will das. Es ist eine Zwickmühle. Die uns alle verändert. Aber die Hoffnung bleibt: dass es eine Veränderung zum Positiven ist, eine Veränderung in Richtung Menschlichkeit. Trotz der grausamen Opfer, die dieser Krieg fordert. Oder gerade deswegen. Ich hoffe, dass wir lernen, miteinander zu sprechen und aufeinander zu hören. Und zuzugeben, wenn wir keine Lösung haben, anstatt von anderen zu verlangen, sofort etwas zu tun, dessen Folgen wir nicht abschätzen können oder die andere ausbaden müssten.

Und deshalb werde ich auch morgen Abend wieder auf dem Rathausplatz stehen und schweigen. Solidarität zeigen und erinnern, was da geschieht, mitten in Europa. Wir dürfen nicht zur Tagesordnung übergehen.

Gedanken zum Weltflüchtlingstag

Heute ist Weltflüchtlingstag.
Die Meinungen zu Menschen, die flüchten, gehen ja weit auseinander, ein Grund für mich, einmal darüber nachzudenken, warum wir die Geflüchteten so unterschiedlich sehen und behandeln.
Sicher, es gibt verschiedene Fluchtgründe. Jetzt gerade, die Menschen, die aus der Ukraine flüchten, die haben unser volles Mitgefühl: sie sehen fast so aus wie wir, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben, sind oftmals gut ausgebildet, überwiegend christlich sozialisiert, flüchten vor einem unmenschlich grausamen Krieg und sind Europäer. Ach ja, und es sind überwiegend Frauen und Kinder, die Männer bleiben zurück, weil sie ihr Land verteidigen wollen. Auch, wenn dieses Wollen oft nicht freiwillig ist: sie werden einfach nicht rausgelassen. Die meisten würden gerne schnell wieder zurückgehen. Ach ja, und manche von ihnen haben bei uns ja schon in der Pflege gearbeitet, so im 3 Monatsrhythmus… Kein Vergleich z.B. zu den Syrern, die kamen (und kommen) zwar auch aus einem Land, in dem ein grausamer Krieg immer noch herrscht, lebten zumindest zu einem großen Teil ein ähnliches Leben wie wir und sind oftmals gut ausgebildet: aber sie sind keine Europäer, viele junge Männer sind darunter (weil die Flucht an sich lebensgefährlich war), und Christen scheinen auch die wenigsten zu sein: also werden die Ukrainer schnellstens anerkannt, erhalten Sprach- und Integrationskurse, dürfen kostenfrei den ÖPNV nutzen und bekommen Hartz VI – und (fast) keiner schimpft darüber, dass sie Handys dabei haben (manche sind sogar mit dem Auto hier!) – und viele Syrer harren bis heute in den Unterkünften aus, von (schneller) Anerkennung, die Grundlage für Sprach- und Integrationskurse ist, und Hartz IV keine Spur, genau wie bei anderen Kriegsflüchtlingen aus aller Welt.
Dann gibt es die Asylbewerber: da unterscheiden wir dann sehr genau, ob sie vom Staat politisch verfolgt werden oder vielleicht doch nur von terroristischen Banden oder den Bürgern des Staates: nur erstere haben einen Asylgrund, auch wenn sie ebenfalls nicht so vorrangig behandelt werden wie die Ukrainer. Wenn sie dagegen nicht von Seiten des Staates verfolgt werden, haben sie keinen, manchmal bekommen sie eine Aufenthaltserlaubnis, z.B. christliche Frauen aus Nigeria, die dort besonders gefährdet sind – ein christlicher Nigerianer, den ich kennengelernt habe, durfte dagegen – trotz nachgewiesener Folter durch Boko Haram – nicht bleiben…
Und wer sein zu Hause verlässt, weil der Klimawandel ihm kein Bleiben ermöglicht, weil er oder sie vor Ausbeutung flieht, vor Hunger, vor behandelbaren Krankheiten, weil er oder sie sein Kind vor einem Leben in Elend und Not bewahren will – nun, diese Menschen haben keinerlei Recht, in die EU/nach Deutschland zu kommen.
Wie oft hört man, auch von Menschen, die sich christlich nennen, die NGOs mögen doch bitte die Schlepperei im Mittelmeer lassen: es sei nur ein Anreiz zur Flucht: dabei ist es längst bewiesen, dass die Menschen auch dann flüchten, wenn sie wissen, dass kein Seenotretter unterwegs ist. Ganz ehrlich: glauben wir wirklich, dass sich diese Menschen alle, oft auch mit Frauen und Kindern, in Lebensgefahr begeben, weil sie in Deutschland von Sozialhilfe leben wollen?
Ich verstehe diese Unterschiede nicht. Trotz allem, ja, auch trotz der hohen Energiepreise, sind wir ein reiches Land. Niemand muss aus Deutschland flüchten. Ja, es gibt soziale Verwerfungen, die nicht sein müssten, es gäbe durchaus Lösungsmöglichkeiten für viele Probleme. Aber dennoch: es fallen keine Bomben, die allermeisten haben ein Dach über dem Kopf, ein Bett für sich allein und jeder hat ein Recht auf Schulbesuch und Ausbildung. Und davon wird nichts weniger, wenn wir alle Flüchtlinge mit offenen Armen empfangen, im Gegenteil: die allermeisten würden gerne Arbeiten, eine Ausbildung machen oder ihre (oft bessere) Ausbildung hier anerkennen lassen. Auf der anderen Seite gibt es freie Stellen, auch freie Ausbildungsplätze, die nicht besetzt werden können. Es fehlen Kräfte in der Pflege und in Handwerk und Industrie. Oft haben Geflüchtete Jugendliche in wenigen Jahren einen guten Schulabschluss, können studieren: wenn die Voraussetzungen dafür, dass sie in die Schule gehen können, entsprechend sind. Als Werktätige aber würden diese Menschen Steuern zahlen und in die Sozialkassen einzahlen: alles das wäre dringend erwünscht. Stattdessen schotten wir uns immer weiter ab, lassen Menschen ertrinken oder in den Wäldern an Polens Grenze jämmerlich erfrieren, verhungern oder an Krankheiten sterben, an denen kein Mensch sterben muss.

Warum machen wir diese Unterschiede? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es fatal ist: Menschen, die in Lagern leben, die nicht arbeiten dürfen, denen man um 10 Uhr das Licht abdreht oder das Rauchen verbietet, den Ausgang reglementiert, deren Traumata man nicht behandelt, werden schlimmstenfalls auf dumme Gedanken kommen. Die dann an den Umständen liegen, nicht an der Mentalität, wie so gerne gesagt wird. Menschen, die arbeiten wollen und deren Arbeitskraft auch dringend benötigt wird nicht kommen zu lassen ist zudem auch ziemlich dumm.
Vor allem ist es aber unchristlich. Auch, wenn die Menschen keine Christen sind. Und unmenschlich. Es gibt keinen Grund, Unterschiede zu machen. Es ist kein Verdienst, in Deutschland geboren worden zu sein statt in Afghanistan oder Nigeria. Es ist kein Verdienst, in einer sich christlich nennenden Umgebung aufgewachsen zu sein statt als Uigure in China. Es ist kein Verdienst, in ein Land hineingeboren zu sein, dass eine freiheitlich rechtsstaatliche Demokratie ist und nicht in eine Diktatur. Es ist Glück. Und Glück vermehrt sich, wenn man es weitergibt.  Wir sollten aufhören, die Welt auszubeuten. Den Klimawandel zu ignorieren. Flüchtlinge in richtig und falsch einzusortieren. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir weiter friedlich leben wollen, müssen wir uns klarmachen, dass das nur geht, wenn wir anstreben, dass alle Menschen menschenwürdig leben können. Und doch, wir können etwas dazu beitragen. Denn wir leben auf Kosten der anderen. Was können wir tun? Es sind ganz banale Dinge wie Energiesparen, öfter mal das Auto stehen lassen und statt 10 billiger T-Shirts, die nach der ersten Wäsche verzogen sind, vielleicht lieber nur ein oder zwei kaufen, die fair hergestellt sind und zu dem länger halten. Wir müssen keine Lebensmittel aus Übersee essen, deren Klima- und Umweltbilanz fatal ist. Auch, wenn sie vielleicht superlecker sind. Oder zumindest nicht täglich. Wir können Gemüse saisongerecht kaufen. Unseren Fleischkonsum einschränken – und zumindest vielleicht mal ausprobieren, wie es sich als Vegetarier oder Veganer lebt – und einiges davon vielleicht auch übernehmen. Kaffee aus fairem Handel ist pro Tasse nur ein paar Cent teurer als anderer. Jeder und jede kann für sich überlegen, welche Maßnahmen er oder sie in ihrem Leben umsetzen möchte – und manchmal stellt man fest, dass weniger mehr ist. Wir können auch politisch anders denken: muss ich vielleicht neu über Windräder nachdenken? Ist das St.Floriansprinizip immer die bessere Alternative? Wer hat die globale Welt im Blick, wenn ich das nächste Mal zur Wahl gehe? Welche Petitionen, welche Anliegen unterstütze ich? Sind Demos für mich eine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen? Der Möglichkeiten sind viele für die, die eine gerechtere Welt wollen.
Es wäre auch für Menschen angebracht, darüber nachzudenken, denen die Welt am Popo vorbeigeht. Wir leben in einer globalen Welt. Wenn wir anderen das Leben, das wir uns gönnen, nicht zugestehen: irgendwann überrennen sie uns dann vielleicht wirklich und holen sich das, was wir ihnen vorenthalten.

Tag der Menschenrechte im Advent 2021

Europa – und allen voran Deutschland – bekennen sich zu den Menschenrechten. Dazu gehören verschiedene bürgerliche und politische Freiheitsrechte und Beteiligungsrechte sowie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Unter anderem hat jeder Mensch ein Recht auf Leben, Gesundheit, Arbeit und Wohnen, auf Bildung, auf Gleichheit vor dem Gesetz, hinzu kommen das Verbot der Folter und die Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und die Religionsfreiheit. Seit 2010 ist auch Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht. Zurzeit wird diskutiert, ob es ein Recht darauf geben soll, in sauberer Umwelt zu leben.

So weit, so gut. Gleichzeitig spielen sich an Europas Außengrenzen Dramen ab, bei denen alle diese Rechte, allen voran das Recht auf Leben, mit Füßen getreten werden: an der Grenze zwischen Polen und Belarus, in den griechischen Lagern, auf dem Mittelmeer: überall sterben Menschen, erfrieren, ertrinken, verhungern, sterben an fehlenden Zugang zur Gesundheitsfürsorge und an vermeidbaren Erkrankungen, die auf mangelnde oder gar nicht erst vorhandene sanitäre Einrichtungen etc. zurückgehen.
Von Arbeit, Wohnen, Bildung und so weiter gar nicht erst zu reden. Auch die Pressefreiheit wird mit Füßen getreten und Journalisten die Berichterstattung gewährt.

Und wir? Wir bereiten uns auf Weihnachten vor, auf das Fest des Friedens, der Familie, auf das Fest, an dem der Erlöser und Friedensfürst, wie Christen glauben, Mensch wird.

Aber was können wir tun, werden Sie und Ihr jetzt zurecht fragen. Mir fällt da gerade so einiges ein: Organisationen unterstützen, die vor Ort Hilfe leisten wie z.B. Sea-Watch oder Ärzte ohne Grenzen. Petitionen unterschreiben. Unterschriften sammeln. Mails und Briefe an Entscheidungsträger schicken.

Und, ganz wichtig: den Mund aufmachen, wenn Menschen richtig finden, was da passiert, wenn sie von „selbst schuld“ reden, von Sozialtourismus und ähnlichen Dingen: Kein Mensch begibt sich in Lebensgefahr um zwei Cent mehr in der Tasche zu haben. Diese Menschen wollen nichts anderes als das, was ihnen zusteht: die Wahrung ihrer Menschenrechte, ein Recht auf Leben und Gesundheit, Arbeit und Wohnen, auf Bildung, Gleichheit vor dem Gesetz, kurz gesagt auf eine menschenwürdige Zukunft.

Wenn wir den Mund aufmachen, nicht um jemanden niederzuschreien, sondern mit sachlichen Argumenten, wenn wir denen hörbar entgegentreten, denen das Schicksal der Geflüchteten bestenfalls egal ist und die oft auch mit falschen Fakten agieren, dann tragen wir dazu bei, dass mehr Menschen ein Lebensrecht bekommen.

Und wenn wir unseren Lebensstandard und unsere Gewohnheiten daraufhin überprüfen, welche negative Auswirkung auf das Leben anderer Menschen dadurch bedingt sind und wie wir das ein oder andere ändern können, dann ist das ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Dann tragen wir mit dazu bei, dass die Menschheit das verwirklicht, wozu sie sich bekannt hat: zur Einhaltung der Menschenrechte.

2020 – kann das weg?

(Ein Rückblick aus persönlicher Sicht)

Ja. Definitiv. Wenn ich die Schlagzeilen zu den Geflüchteten lesen, wenn ich die Zustände in den Lagern bedenke, wenn ich die Kommentare dazu lese – dann hat das Jahr gar nicht erst stattgefunden. Nur dass halt jetzt noch mehr tote Geflüchtete zu beklagen sind.

Ja. Definitiv. Ich bin ein Kontaktmensch. Ein Kontaktloses Jahr hat nicht stattgefunden für mich. Diese Krankheit tötet Menschen oder hinterlässt ihnen lebenslange Andenken. Sie legt unser ganzes öffentliches Leben lahm, hier und überall auf der Welt. Sie verbreitet sich mit wahnsinniger Geschwindigkeit. Kann weg, das Jahr der Pandemie.

Ja. Definitiv. Ein Jahr, in dem viele eigentlich gesunde mittelständische Betriebe in Konkurs gingen. Ein Jahr, in dem viele Menschen ihre Arbeit verloren haben. Ein Jahr, in dem Schülerinnen und Schüler, die sowieso schon schlechte Ausgangsbedingungen haben, noch mehr abgehängt wurden. In dem Femizide und häusliche Gewalt zugenommen haben. So ein Jahr kann weg.

Ja. Definitiv. Wenn ich die Berichte über die Krisenherde dieser Welt lese, über Kriege, die eigentlich vorbei sind und doch noch weitergehen wie in Syrien. Über Waffenverkäufe. Über Ausbeutung. Über nicht stattfindende, dringende Maßnahmen zum Klimaschutz, dann hat sich nichts geändert seit 2019. Dann hat das Jahr gar nicht stattgefunden.

Ja. Definitiv. Ein Jahr ohne Konzerte und Kultur. Kann weg.

Ja. Definitiv. Kirchlicherseits der Skandal um Kardinal Woelki, die unsäglichen Weihnachtspredigten über die die Tatsache, dass Frauen auf keinen Fall Priester werden können und darüber, dass Gott den Mensch als Mann und Frau erschaffen hat und nicht queer, die Predigten zur Abtreibung, die mit keinem Wort erwähnen, was in der Kirche mit den Geborenen passiert – da ist etwas eskaliert. Kann weg.

Stimmt das? Kann das Jahr weg?

Nein, kann es nicht. Wenn ich sehe, wie viele Menschen immer noch bereit sind, zu helfen. Wie viele deutsche Städte im Laufe des Jahres angeboten haben, Geflüchtete aufzunehmen jenseits aller Quoten, dass auch in diesem Jahr weitere „sichere Häfen“ dazugekommen sind, weitere Seenotretterschiffe und und und – dann macht dieses Jahr auch Hoffnung und kann bleiben.

Nein, kann es nicht. Es war auch nicht wirklich kontaktlos, dieses Jahr, Kontakte wurden nur anders gehalten. Meine Mutter z.B. spielt fast jeden Sonntag abend skypenderweise mit ihren Enkeln und hat so mehr Kontakt als vor der Pandemie. Viel lief mit viel Kreativität draußen: von der Geburtstagsfeier dreier Menschen im Garten mit 3 Paaren auf Abstand, einem Grill, den jeder für sich selbst bedienen musste und einem Geschenkehaufen mitten auf dem Rasen, einer Beerdigung, bei der nach der Beisetzung der letzte, vom Verstorbenen gekaufte, schottische Whisky ausgeschenkt wurde bei entsprechender Begleitmusik, statt Beerdigungskaffee, draußen trotz eisiger Kälte (aber der Whisky wärmte ja), natürlich auf Abstand und mit Maske, Treffen zu Wanderungen, Radtouren und Spaziergängen und sogar der eine oder andere Urlaub, wenn auch anders, als geplant: dann stelle ich fest, dass das Jahr die Kreativität, was Begegnungen angeht, geweckt hat und hoffentlich nicht alles anschließend verschwindet.

Nein, kann es nicht. Es ist viel passiert in diesem Jahr, die Pandemie hat neben der Krankheit selbst für viel Elend in der Welt gesorgt, das stimmt. Aber es gab auch das andere: spontane Bildung von Gruppen, die Menschen in Quarantäne mit Einkäufen versorgten. Solidarität überall, Hilfe für alle, jenseits von Klopapierhamstern. Wildfremde Menschen, die einander grüßen und ein paar Worte miteinander wechseln, vielleicht froh, mal einem realen Menschen gegenüber zu stehen. Auf dem Weihnachtsspaziergang ein „Fröhliche Weihnacht“ von wirklich jedem, dem man begegnet: es hat sich was verändert, zwischenmenschlich. Was positives, wie ich finde.

Nein, kann es nicht. Zwar hat sich der Frieden tatsächlich nicht weiter ausgebreitet in der Welt, und die Klimakatastrophe geht weiter. Aber eine Menge Menschen haben sich virtuell vernetzt, die einander vielleicht sonst nie über den Weg gelaufen wären. Die sich in Videokonferenzen kennen- und schätzen gelernt haben, die ihre Arbeit nun anders bündeln und so vielleicht auch mehr Erfolg haben. Menschen, die aufs Rad umgestiegen sind. Das erneuerbare Energiengesetz, das vielleicht immer noch schlecht ist, aber besser als geplant. Es muss noch viel passieren, keine Frage, aber es ist vielleicht ein Licht am Horizont erkennbar.

Nein, kann es nicht. Ja, es war ein Jahr ohne Konzerte. Aber viele haben den Eintrittspreis nicht zurückgefordert. Viele folgen nun ihren Lieblingskünstlern im Netz. Auch hier haben sich mit viel Kreativität Formen gefunden, die es vorher so noch nicht gab – das gibt Hoffnung, dass da das eine oder andere auch bleibt.

Nein, kann es nicht. Ein Vorsitzender der Bischofskonferenz, der sich positiv zur Frauenweihe äußert. Pfarrer, die sich trauen, ihren Kardinal zu kritisieren. Priester, die mit ihrer Meinung, es müsse was passieren, nicht mehr hinterm Berg halten. Es tut sich was. Es gibt Hoffnung.

Was nun mein Jahr angeht, war auch nicht alles schlecht. Ich habe angefangen zu studieren, langsamer zwar als geplant, aber es geht. Online. Und hab darüber tatsächlich schon Menschen kennengelernt, deren Bekanntschaft ich nicht mehr missen möchte. Ich hatte einen wunderschönen Urlaub mit Kindern, Geschwistern, Neffen und Nichten in meiner zweiten Heimat Osttirol, auf Abstand, aber das Wetter war ja schön… Statt Slowenien waren wir an der Ostsee und auf Usedom, im Oktober, und sind da viel Rad gefahren – Abstand war eigentlich überall möglich. Ich durfte neue Menschen kennenlernen. Wir sind uns näher gekommen, mein Mann und ich – aber auch meine Eltern und ich noch einmal auf eine andere Art und Weise, dadurch, dass wir ja die einzigen Realkontakte sind, die wir regelmäßig haben, weil wir zusammenwohnen. Ein befreundetes Ehepaar, das in der Nachbarschaft wohnte, meinte sogar: durch den Abstand sind wir uns näher gekommen und ja, da ist was dran. Mit den Kindern spielen wir online und haben dadurch regelmäßigeren Kontakt als vorher. Und es steigt die Vorfreude und die Hoffnung auf bessere Zeiten.

Es war sicher kein gutes Jahr, das Jahr 2020. Aber wenn man genau hinschaut, dann findet man ganz viele positive Ansätze…